Afrika wird armregiert – Buchrezension
„Afrika ist ein faszinierender Kontinent, der von freundlichen, dem Leben zugewandten Menschen bewohnt wird“.
Dieser Satz, mit dem Volker Seitz‘ Buch beginnt, ist vielleicht der Schlüsselsatz seiner Botschaft, der seine Haltung widerspiegelt: Seitz geht es um die Menschen in Afrika. Sein Buch ist ein Imperativ an die Eliten in Europa und Afrika, aufzuwachen und umzusteuern.
Es ist nicht weniger als ein Plädoyer für eine radikale Änderung der Entwicklungspolitik.
Volker Seitz verbrachte insgesamt 17 Jahre als Diplomat in sieben afrikanischen Ländern und kann auf einen großen Fundus an Erfahrungen zurückgreifen. In erfrischender Klarheit schildert er die Malaise internationaler Entwicklungszusammenarbeit in all ihren Facetten und prangert Besitzstreben und das Versagen von Kontrollinstanzen sowohl in Afrika als auch bei den Selbsterhaltungsbürokratien nationaler und internationaler Entwicklungshilfe an.
Bei Seitz kann man nachlesen, wie bizarr es wirkt, wenn afrikanische Führungseliten Gewinne aus Ressourcenreichtümern und den Geldtöpfen internationaler Geber am Volk vorbei abschöpfen, um dann die katastrophalen Zustände dem Kolonialismus zuzuschreiben. Tatsächlich hat die Armut nach fünf Dekaden Unabhängigkeit afrikanischer Staaten zu- und die Wirtschaftsleistung drastisch abgenommen.
Afrikanische Eliten in der Verantwortung
Ob Bildung, Umweltverschmutzung, Demokratisierung, Gute Regierungsführung, Gesundheit oder Infrastruktur: Der Wandel muss aus eigener, afrikanischer Kraft geschehen. Solange die Geber einspringen, wann immer die Lage mangels Erfüllung der übernommenen Verpflichtungen durch afrikanische Regierungen unerträglich wird, ändert sich nichts.
Ebenso im Bereich der Menschenrechte, „c’est les choses des blancs“, sagen die Führungsriegen, das ist eine Sache der Weißen, und rechtfertigen die Einschüchterung Andersdenkender allen papiernen Verpflichtungen zum Trotz mit nebulöser Staatsräson. Auch die Korruption grassiert; sie wird durch den Entwicklungshilfesektor noch angeheizt.
Andererseits schildert Seitz in plastischen Bildern die grotesken Züge, die der Wettlauf internationaler Entwicklungshilfestrukturen angenommen hat. Gelder des BMZ und der EU müssen abfließen, um Folgebudgetierungen zu rechtfertigen, private Spenden werden auf Kontos geparkt oder in Millionenhöhe für Werbung, Tagesdiäten und den Unterhalt riesiger Dienstflotten ausgegeben; Kontrollen, wie das Geld ausgegeben wird – auch durch deutsche Nichtregierungsorganisationen – fehlen.
Laut Geschäftsbericht der UNICEF wies die Bilanz 2010 ein Guthaben von 37 Millionen Euro aus, zusätzlich wurde 92,5 Millionen Euro Spenden eingesammelt. Die Milliarden, die in den vergangenen Jahren nach Afrika gepumpt wurden, sind schlicht verdampft. Profitiert haben davon nur kleptokratische Eliten und ihre Entouragen und die Entwicklungshilfeindustrie. Einschließlich der Versicherungswirtschaft übrigens: Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) hat mit der französischen AXA Re eine Versicherung für humanitäre Notfälle in Äthiopien abgeschlossen – Deckungssumme: 5,8 Millionen Euro. Die Gründe für Hungersnöte, die vor allem in Misswirtschaft und Korruption zu finden sind, bleiben unerhellt.
Seitz bleibt nicht in der Analyse, sondern macht auch pragmatische Lösungsvorschläge. Die Abkehr von zweckgebundenen Investitionen etwa, die direkte Förderung von Gesundheit und Bildung – vor allem aber wirksame Kontrollen der verteilten Mittel und konsequente Mittelkürzung, wenn die zugesagten Eigenleistungen ausbleiben.
Komplexe Zusammenhänge
In die investigativen Töne Seitz‘ mischen sich aber auch Passagen, die merkwürdig einseitig anmuten in diesem aufgeklärten und mitreißenden Aufruf. Der kulturell andere Umgang mit Zeit etwa, den Seitz als einen der Gründe für den Schlendrian ausmacht, während er selbst betont, dass es uns um Kulturimperialismus nicht zu tun sein kann. Andere Gedanken bleiben an der Oberfläche und die Reduzierung manch komplexer Sachverhalte weckt Zweifel an der Stimmigkeit seiner Vorschläge. So ist fraglich, ob Investitionen in Agrarwirtschaft und Blumenanbau wie er inzwischen industriell in Kenia, Uganda und Ruanda betrieben wird, um sie schockgefroren zu den europäischen Umschlagplätzen in den Niederlanden zu fliegen, tatsächlich die Lösung sein können.
Zwar werden dadurch Arbeitsplätze geschaffen, aber die Folgen für Umwelt und Bevölkerung sind zweifelhaft. Ähnliche Projekte, wie etwa die massenhafte Zucht von Rosen in Äthiopien durch den indischen Investor Ram Karuturi haben zu Enteignung und Wassermangel in einer Umgebung geführt, deren arme Bevölkerung auf den Ackerbau angewiesen ist. Die Arbeitskräfte haben zwar ein Einkommen. Aber es ist so niedrig, dass die Arbeiterinnen, die teilweise stundenlange Fußmärsche zurücklegen, um zu den Gewächshäusern zu kommen, 12-15 Stunden täglich arbeiten müssen.
Durch die Zeilen blinkt der Eindruck auf, dass einmal mehr die Modelle europäischer Kultur übernommen werden soll, sowohl im Hinblick auf kulturelle Werte als auch in Bezug auf politische Entwicklungen wie Demokratie.
Kein Weiter so!
Nichtsdestotrotz trifft Seitz den neuralgischen Punkt: Ein Weiter so kann es nicht geben.
Und: Niemand, weder Geber, noch afrikanische Führungen, dürfen sich aus der Verantwortung stehlen. Wie das Menschenbild einer ausgewogenen und stimmigen Entwicklungshilfe letztlich aussieht, lässt sich zwar nicht in einem Buch erarbeiten. Aber dass es ein Umdenken braucht, das steht nach der Lektüre von Seitz‘ Buch endgültig fest.
Volker Seitz, Afrika wird armregiert – oder Wie man Afrika wirklich helfen kann. Dtv, München 2012 (6. Auflage), € 14,90.