Aufbruch in der Arabischen Welt
Seit einigen Wochen schaut die Welt fasziniert auf die rasanten Entwicklungen in der arabischen Welt. Begeistert, aber auch besorgt, ob sich eine nachhaltige Demokratie erringen lässt, werden die revolutionären Bewegungen beobachtet. Anlass für die Heinrich-Böll-Stiftung eine Informationsveranstaltung mit dem Titel “Aufbruch in der arabischen Welt” mit anschließender Diskussion zum Thema durchzuführen. Deswegen versammelten sich am vergangen Montag zahlreiche Interessierte und folgten den Ausführungen Joachim Pauls, dem Leiter des Regionalbüros Arabischer Naher Osten der Böll-Stiftung. Im Fokus der Veranstaltung standen die Ereignisse in Ägypten. Denn mit den Protesten in Tunis waren es besonders die Proteste in Kairo, die eine politische Wende herbeigeführt, das alte Regime hinweggefegt und damit eine Welle in der arabischen Welt in Bewegung setzten. Auch wenn, wie die Böll-Stiftung einräumt, die revolutionären Bewegungen in den verschiedenen Ländern unterschiedliche lokale Ursachen und die Menschen unterschiedliche Gründe für ihren individuellen Protest haben, so ist ihnen doch eines gemein: Das Aufbegehren gegen verkrustete, korrupte Herrschaftsforen, der Ruf nach mehr Beteiligung und Zukunftschancen, nach Demokratie und Freiheit. Gegenwärtig gehen in Algerien, Marokko, Jemen, Bahrain, Jordanien und Libyen die Bürgerinnen und Bürger auf die Straße und fordern die Machthaber heraus. Um diesen Auf- und Umbruch in der gesamten arabischen Welt aber vollends verstehen und nachvollziehen zu können, bedarf es einer breitgefächerten und differenzierten Analyse, für die weder auf der Veranstaltung selbst noch an dieser Stelle ausreichend Raum besteht, welche aber ein äußerst interessantes Unterfangen wäre.
Das Beispiel Ägypten
Am Beispiel Ägyptens skizzierte Joachim Paul sehr anschaulich das Aufbauen und Überschwappen der „revolutionären Welle“. Die Ereignisse in Ägypten kamen nicht plötzlich. Eine Bewegung war bereits länger aktiv. Dass sie dann so sehr an Geschwindigkeit gewann und eine gesamtarabische Bewegung auslösten, überraschte auch den Kenner Paul. Besonders bemerkenswert vor dem Hintergrund, dass über die Hälfte der Bevölkerung, sowohl in Ägypten als auch in den anderen Ländern, sehr jung ist und nie ein anderes Regierungsoberhaupt erlebt hat. In Ägypten beispielsweise war Muhammad Husni Mubarak 30 Jahre lang der bestätigte Präsident und gleichzeitig Oberbefehlshaber der Streitkräfte.
Gründe und Ursachen
Gründe für den Umbruch sind in sozialen, ökonomischen und politischen Strukturen zu finden. Bei über 80 Millionen Ägyptern lebten allein 20 Prozent unterhalb der Armutsgrenze. Die Modernisierungsprozesse, die stattfanden, erreichten den größten Teil des Volkes nicht. Von den Privatisierungen öffentlicher Wirtschaftszweige, wie beispielsweise der Stahlproduktion, profitierten nur wenige. Soziale Marginalisierungen und eine schlechte Rentenökonomie führten zu nicht mehr tragbaren sozialen Repressionen. Politische Gründe lagen vor allem in dem entmündigenden System. Gleichzeitig charakterisiert Paul dieses als ein „hybrides Regierungssystem“, das eine gewisse politische Öffnung zugelassen hat. Dadurch erfolgte in den vergangenen Jahren eine sukzessive Verlagerung des politischen Einflusses vom Militär in den internen Sicherheitssektor. Als Symbolfigur ist hier der ex-Innenminister Habib Adli zu nennen, der ein Stasi-System mit rund 2 Millionen Informanten aufbaute und steuerte.
Ein konkreter Ausgangspunkt der revolutionären Geschehnisse in Ägypten erkennt Paul schließlich in den ersten Parlamentschaftswahlen 2005, die auch auf Druck der USA stattfanden. Dies war eine partielle Öffnung für Opposition und mehrere Präsidentschaftskandidaten, was Paul als Art „Kairoer Frühling“ bezeichnet. Der Wendepunkt liegt für Paul schließlich in der Verfassungsänderung 2007, bei der Paragraphen aus der Notstandsgesetzgebung in die Verfassung aufgenommen wurden. Die Vorbereitung der Amtsübernahme durch den Sohn Mubaraks, Gamal Mubarak, und damit die Gefahr auf eine monarchische Republik und die manipulierten Präsidentschaftswahlen 2010, brachten das Fass schließlich zum Überlaufen.
Chronologie der Ereignisse
Anfang dieses Jahres überschlagen sich dann die Ereignisse: Der 25. Januar wird zum Tag des Zorns (offiziell der Tag der Polizei) erklärt und markiert den Beginn der offensiven Proteste. Am 28. Januar beginnt als „Baltagiya“ der Rückzug der Polizei und der Sicherheitskräfte, die Armee beginnt einzugreifen. Mubarak entlässt am 29. Januar schließlich die Regierung und ernennt mit Ahmad Shafiq, den vormaligen Chef der Luftwaffe, einen neuen Ministerpräsidenten. Am 11. Februar tritt Mubarak dann als Reaktion auf die andauernden Proteste zurück. Die erste Regierung nach der Mubarak-Ära tritt am 07. März mit dem neuen Interimsregierunsgchef Essam Sharaf ihr Amt an. Dieser vereidigt sieben neue Mitglieder der zivilen Übergangsregierung. Es folgen am 15. März die Auflösung der Stasi Amn al-Dawla und am 19. März das Referendum über eine temporäre Verfassung.
Planmäßig stehen nun im September diesen Jahres neue Parlamentswahlen und eine Reform des Wahlrechts an. Im Dezember soll dann das neu gewählte Parlament die Mitglieder der Verfassungsgebenden Versammlung wählen. Bis Mitte 2012 soll dann ein neuer Verfassungsentwurf erarbeitet werden.
Kritik
Paul merkt jedoch an, dass Demokratieaktivisten diesen Zeitplan als zu kurz kritisieren. Es bleibe zu wenig Zeit für die Konstituierung neuer Parteien und einen guten Wahlkampf. Des Weiteren führen die Kritiker an, dass bereits etablierte politische Bewegungen, wie die Muslimbrüder, von dem knappen Zeitplan begünstigt seien. Darüber hinaus verlange die Ausarbeitung eines neuen Verfassungsentwurfs die Einbeziehung einer breiten Basis, was unter den gegebenen Voraussetzungen schwer möglich sein könnte.
Es bleibt also äußerst spannend, wie sich die Entwicklung in Ägypten in den kommenden Monaten gestalten wird. Ebenso blickt die Welt mit Hoffnung und Sorge auch auf die Ereignisse in anderen Ländern der arabischen Welt. Wie Paul bereits zu Beginn der Veranstaltung zu verstehen gab, sind die Protestursachen und die Rahmenbedingungen im gesamten arabischen Raum als sehr heterogen einzustufen und können nicht in jedem Fall mit Ägypten verglichen werden. Gemein ist den Menschen jedoch das Verlangen nach Freiheit und Demokratie und nach Emanzipation gegenüber unfairen und korrupten Herrschaftsregimen.