“Bürgerinitiativen” gegen AsylbewerberInnen: Des Volkes Stimme?
Vielerorts hetzen selbsternannte „Bürgerinitiativen“ gegen AsylbewerberInnen. Dahinter steckt immer öfter die organisierte Rechte. Die Zahl der Anschläge steigt.
Mehr als zwanzig Jahre nach der Wende schallt es aus hunderten Kehlen über den Marktplatz im Erzgebirgsstädtchen Schneeberg: „Wir sind das Volk!“ Was einst als Aufruf gegen das DDR-Regime gemeint war, eint dieser Tage die GegnerInnen der örtlichen Erstaufnahmestelle für Geflüchtete. Fast 2.000 Menschen sind versammelt. Später werden sie sich mit einem als „Lichtellauf“ getarnten Fackelmarsch in Richtung des Heims in der ehemaligen Jägerkaserne in Bewegung setzen. Viele der Ordner stammen aus der regionalen Neonaziszene. Auf ihren Westen steht „Mut zur Demokratie“, doch damit ist es nicht weit her. Die Polizei nimmt drei Männer wegen Zeigen des Hitlergrußes fest. Protestler tragen Plakate mit Aufschriften wie „Unsere Heimat, unser Recht“. Gespenstische Szenen in einem Ort mit nur 15.000 Einwohnern.
Anmelder der Demonstration ist Stefan Hartung, Gemeinderat der NPD aus dem Nachbarort Bad Schlema. Hartung ist Initiator einer selbsternannten „Bürgerinitiative“ namens „Schneeberg wehrt sich“. Ihr zweiter Sprecher ist der sächsische NPD-Landtagsabgeordnete Mario Löffler. Beide betonen, dass sie beim Protest gegen das Heim „als Privatpersonen“ auftreten.
Tatsächlich jedoch zeigt sich in Schneeberg deutlich, wie NPD und organisierte Rechte das Thema Asyl neuerdings wieder auf ihre Agenda setzen. In vielen Landkreisen entstehen neue Heime für AsylbewerberInnen– und häufig fühlen die AnwohnerInnen sich bei der Entscheidung zum Standort der Unterkünfte übergangen und mit ihren Befürchtungen alleingelassen. Dass die Zuteilung der Geflüchteten Ländersache ist und die Gemeinden in der Regel frühzeitig in öffentlichen Sitzungen über das Thema informieren, wird gerne ausgeblendet. Tatsächlich erfahren die meisten AnwohnerInnen häufig erst durch Flugblätter oder die Facebook-Seiten der „Bürgerinitiativen“ davon, dass in ihrer Nachbarschaft ein AsylbewerberInnenheim entstehen soll.
In einem solchen Klima der Unwissenheit haben rechte Kräfte leichtes Spiel. Sie stilisieren sich zur einzigen Kraft, die die Ängste und Nöte der Bevölkerung wahrnehme. Dabei geben sie sich betont unparteilich, agieren unter dem Deckmantel der Bürgerlichkeit. Und so stimmen viele AnwohnerInnen, die behaupten, „nicht rechts“ zu sein, mutwillig in den Kanon der Rechten gegen „die da oben“ ein.
Schneeberg ist beileibe nicht der einzige Ort, an dem es Protest gegen AsylbewerberInnenheime gibt. Deutschlandweit gründen NPD-Funktionäre und rechte Kader sogenannte „Bürgerinitiativen“: Beichlingen, Bretten, Chemnitz, Duisburg, Eisenhüttenstadt, Friedland, Gransee, Güstrow – die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Nach Recherchen des ARD-Magazins Report Mainz beteiligte sich die NPD in diesem Jahr deutschlandweit an 47 Demonstrationen gegen Asylbewerberheime.
Im Innenministerium Brandenburg spricht man von einer „bedenklichen Entwicklung“. Ministeriumssprecher Ingo Decker ist überzeugt, dass sich für die rechte Szene nach einer langen Zeit ohne gesellschaftsfähiges Auftreten mit der aktuellen Asyldebatte wieder ein anschlussfähiges Thema eröffnet: „Die NPD versucht den Brückenschlag zur Bevölkerung.“ 2014 finden in Brandenburg, Sachsen und Thüringen Kommunal- und Landtagswahlen statt, dazu die Europawahlen – und allein in Sachsen sollen in den nächsten zwei Jahren mehr als 40 neue Asylbewerberheime entstehen.
Auch die „Mimikry“-Strategie der Neonazis ist den Behörden nicht entgangen. „Die rechte Szene versucht sich eine Tarnkappe überzuziehen, man gibt sich bürgerlich. Die stellen zwar Banner und Lautsprecherwagen, NPD-Logos tauchen aber nicht auf“, so Decker.
Die bürgerliche Maske wirkt. Der MDR interviewte in Schneeberg eine „besorgte Bürgerin“. Bei der Interviewten handelte es sich um Gitta Schüßler, die für die NPD im sächsischen Landtag sitzt.
Das „Hellersdorfer Modell“
Die Masche ist immer die selbe, bestätigt Ministeriumssprecher Decker: „Die örtlichen Kader übernehmen das Hellersdorfer Modell.“ Im Sommer erregte der Protest gegen das geplante AsylbewerberInnenheim in Berlin Hellersdorf deutschlandweites Aufsehen. Auch hier hatten rechte Kader zusammen mit AnwohnerInnen eine selbsternannte „Bürgerinitiative“ gegen eine geplante Unterkunft formiert.
Nach dem Hellersdorfer Vorbild gründen die HeimgegnerInnen allerorten Facebook-Seiten, alle mit fast identischen Namen und ähnlicher graphischer Gestaltung. Die Schneeberger Facebook-Gruppe hat mittlerweile fast 3.000 Mitglieder, wobei diese mehrheitlich nicht aus Schneeberg kommen, wie das Innenministerium Sachsen feststellt. Unter den SympathisantInnen finden sich Neonazis aus ganz Deutschland, die im sozialen Netzwerk die Gerüchteküche befeuern.
Während die Neonazis auf der Straße Volksnähe und bürgerliche Anständigkeit an den Tag legen, geht es im Internet hoch her. Kommentare auf den Facebook-Seiten wie „Deutschland wach auf!“ erinnern stark an das Kampflied „Deutschland erwache“ der SA. Den Schneeberger HeimgegnerInnen „gefällt“ unter anderem die Facebook-Seite der Zeitung „Junge Freiheit“, dem Sprachrohr der Neuen Rechten. Kritische Kommentare Andersdenkender werden von den Administratoren blockiert.
Im brandenburgischen Gransee vermutet das Innenministerium hinter der zugehörigen Facebook-Seite „eine maßgebliche Beteiligung Robert Wolinskis, Kreisvorstand der NPD Oberhavel.“ Zu den “Freunden” der Granseer Facebook-Seite gehören unter anderem der NPD-Bundesvorsitze Holger Apfel, der NPD-Landesvorsitzende Klaus Beier und der rechte Szenemusiker Uwe Menzel. Ein Nutzer aus dem Nachbarort rief auf der Pätzer Seite zu einem Brandanschlag auf: „Die Heime werden noch brennen, und ich hoffe, das passiert noch bevor das Nächste geöffnet wird.” Das Innenministerium Brandenburg prüft derzeit eine strafrechtliche Verfolgung derartiger Beiträge.
Auch das bürgerliche Image kopieren die neu gegründeten „Bürgerinitiativen“ vom Hellersdorfer Vorbild. Tatsächlich stellt Josh S. vom „Antirassistischen Infoportal Hellersdorf“ fest: „Die Masse der Rassist_innen online wie offline sind Menschen, die nicht der organisierten Naziszene zugerechnet werden können.“ Übereinstimmend mit den Beobachtungen des antirassistischen Infoportals geht der Berliner Verfassungsschutz jedoch davon aus, dass auch die „Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf maßgeblich von Rechtsextremisten beeinflusst“ sei. So fungiert etwa Thomas Crull, ehemals Kandidat der NPD im Bezirk, als presserechtlicher Verantwortlicher für die Flugblätter der „Bürgerinitiative“. Bei der Bundestagswahl dankten bis zu 10,2 Prozent der Stimmberechtigten in einzelnen Wahllokalen im Bezirk der NPD mit ihrem Kreuz auf dem Wahlschein, im gesamten Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf erzielte die Partei mit mehr als vier Prozent eines ihrer besten Ergebnisse deutschlandweit.
So verwundert es nicht, dass bei der jüngsten Demonstration der „Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf“ am 26. Oktober unter dem Motto „Tag der Meinungsfreiheit“ erneut etliche Neonazis aufliefen, etwa der NPD-Landesvorsitzende Sebastian Schmidtke mit seiner Lebensgefährtin Maria Fank, Vorsitzende des Berliner „Ring Nationaler Frauen“. Auch Uwe Dreisch, mittlerweile Landesvorsitzender der Partei „Die Rechte“, marschierte mit.
Wer sich gegen die „Bürgerinitiative“ stellt, macht sich unbeliebt. Zu spüren bekam das etwa die grüne Bezirksverordnete Rafaela Keine. Auf der Facebook-Seite „Hellersdorf hilft Asylbewerbern“ adressierten offensichtliche Sympathisanten der „Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf“ eine Drohung an die 23-jährige, die Sprecherin gegen Rechtsextremismus in der örtlichen Grünen-Fraktion ist: „Sie haben klarzustellen, dass hier weder die NPD noch sonst ein Verein die Bürgerinitiative unterstützt.“ Sollte Kiene dieser Aufforderung nicht nachkommen, „werden wir Sie öffentlich bekannt geben und unseren Befürwortern empfehlen, Sie anzuzeigen“.
Jürgen Gansel, sächsischer Landtagsabgeordneter der NPD, macht keinen Hehl aus der Verbindung zwischen „Bürgerinitiativen“ und seiner Partei: „Wir begrüßen es sehr, wenn eine aktive Bürgergesellschaft Flagge zeigt.“ Zwar seien die örtlichen Initiativen „überparteilich organisiert“ und folglich nicht zentral von der NPD gesteuert, „wer möchte, bekommt von uns aber juristische Beratung zur Anmeldung einer Kundgebung oder auch logistische Unterstützung.“ Zudem mobilisiert die NPD über die Facebook-Seite „Keine weitere Asylantenheime in Deutschland“ bundesweit für die Veranstaltungen der einzelnen Initiativen.
Greiz im thüringischen Vogtland. Auch hier gibt es seit einigen Wochen regelmäßig rechte Fackelmärsche. Für die Logistik und Anmeldung der Kundgebungen zeichnen mit Kevin Pahnke und David Köckert zwei Rechte verantwortlich, die sich aus gemeinsamen Zeiten bei der „Reichenbacher Aktionsfront“ kennen. Neonazis aus dem Umfeld der „Revolutionären Nationalen Jugend“ (RNJ) Vogtland mobilisieren seither jeden Freitag zur Kundgebung gegen die örtliche Geflüchtetenunterkunft. Wenngleich der RNJ im September 2012 ihre Homepage abgeschaltet wurde und die Kameradschaft daraufhin ihre Auflösung bekannt gab, trat sie bereits wenige Wochen später wieder bei überregionalen rechten Demonstrationen mit einem eigenen Banner in Erscheinung. Für die RNJ spielt der Kampf gegen „Multikulti und den deutschen Volkstod“ eine zentrale Rolle – Inhalte, wie sie auch immer wieder auf den Kundgebungen in Greiz zu hören sind. Dabei gibt es auch personelle Überschneidungen zwischen RNJ und NPD, insbesondere in Person von Rico Döhler. Döhler ist Gründungsmitglied der RNJ, zuvor war er bis 2005 Bezirksvorsitzender der NPD Schwaben und zwischen 2009 und 2010 NPD-Kreisvorsitzender im Vogtland.
Seit der ersten Demonstration im September ist der Rückhalt für die Neonazis in der Greizer Bevölkerung zwar sichtbar zurückgegangen, sodass sich inzwischen bei der allfreitäglichen Kundgebung in unmittelbarer Nähe des Heims nur noch rund 80 Neonazis aus der Umgebung und einige wenige AnwohnerInnen versammeln. Doch wozu die örtliche Szene fähig ist, zeigte sich bereits 2003. Damals versuchte eine Gruppe von Neonazis das bereits bestehende Geflüchtetenheim im Greizer Ortsteil Irchwitz anzuzünden, was nur durch Zufall misslang. Einer der mutmaßlichen Brandstifter von damals, Norman Wilkins, stimmt heute wieder kräftig in die Hetze mit ein, wie ein Sprecher des antifaschistischen Netzwerks „AufAndHalt“ in Greiz sagte.
„Weltmeister 1945“
Doch nicht nur die Neonazis lernen aus dem Beispiel Hellersdorf. Auf einer Informationsveranstaltung im August ergriff der Berliner Landeschef der NPD, Sebastian Schmidtke, das Mikrofon, um gegen das Heim in Hellersdorf zu hetzen. Anwesend waren Neonazis aus ganz Berlin und Brandenburg. Die Veranstaltung ist in linken Kreisen seither als „brauner Dienstag“ bekannt.
In Pätz zog man daraus eine kluge Konsequenz. Ein Sicherheitsunternehmen gewährte zur dortigen Infoveranstaltung nur Anwohnern Einlass. Doch welch geistiges Kind einige von ihnen sind, zeigte der Auftritt eines jungen Mannes in einem T-Shirt mit dem Aufdruck „Weltmeister 1945“. Er blökte in den Saal, das Asylbewerberheim sei in Hoyerswerder oder Rostock besser aufgehoben. Ein anderer meinte, man könne die Flüchtlinge doch im früheren KZ Ravensbrück unterbringen.
Zugleich versammelten sich vor dem Gebäude etwa 80 Neonazis, um gegen das Heim zu protestierten. Der Anmelder, Frank Knuffke, ist Kreistagsabgeordneter der NPD. Bei der Veranstaltung ergriff auch Pierre Dornbrach, Bundesvorsitzender und Bundesschulungsleiter der Jungen Nationaldemokraten (JN), der Nachwuchsorganisation der NPD, das Wort. Außerdem beteiligten sich die “Freien Kräfte Königs-Wusterhausen” und Neonazis aus dem Umfeld der verbotenen Kameradschaft “Freie Kräfte Teltow-Fläming”, inzwischen in JN-Strukturen aktiv, an der Kundgebung. Vor dem geplanten Heim skandierten einige: „Bis es wieder brennt.“
Wenn aus Schlagworten Brandsätze werden
Mancherorts werden aus Worten Taten. In Premnitz im Landkreis Havelland versuchten Unbekannte das geplante Asylbewerberheim anzuzünden. In Waßmannsdorf (Landkreis Dahme-Spreewald) wurde ein bereits bezogenes Heim nachts mit Steinen attackiert. Zurück blieb eine eindeutige Botschaft, mit silberner Farbe an die Hauswand gesprüht: Ein zwei Meter großes Hakenkreuz, versehen mit der Parole „Rostock ist überall“. Einen ähnlichen Vorfall gab es auch in Luckenwalde (Teltow-Fläming), wo Unbekannte Brandsätze in Richtung des dortigen Heims warfen. Auch im baden-württembergischen Wehr zündelten Unbekannte an einem Heim. Die Liste lässt sich fortführen: insgesamt 22 Anschläge auf Asylbewerberheime gab es allein in diesem Jahr, mehr als doppelt so viele wie 2012. Die geistigen Brandstifter sind dabei zum Teil die selben, die schon Anfang der 90er Jahre gegen Asylbewerber hetzten. Michael Andrejewski etwa, Landtagsabgeordneter der NPD. Er entwarf damals die rassistischen Flugblätter, die zur „Wehr“ gegen das Asylbewerberheim in Rostock-Lichtenhagen aufrief. Heute verbreitet er wieder „Infomaterial“ mit ähnlichen Inhalten.
Im thüringischen Greiz will sich ein antifaschistisches Bündnis am 9. November, dem 75. Jahrestag der Reichspogromnacht, alldem entgegenstehen. Ihr Motto: „Pogrome verhindern bevor sie entstehen“
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