Politische Dürre am Nil könnte ein Ende finden

Tuesday 07th, June 2011 / 22:13 Written by

 Es ist genug für alle da, behaupten viele Experten. „Ein Fluss, zehn Länder, viele Probleme“ verkündet dagegen Die Zeit im Juli 2009. Knapp ein Jahr später titelt die Taz „Böses Blut am Nil“ und regionale Stimmen wie die Somalilandpress wollen gar den Schlag von Kriegstrommeln in Ostafrika vernommen haben.

von Paula Zöhl

Dabei hatte die Gründung der Nile Basin Initiative 1999 der internationalen Gemeinschaft noch Hoffnung gegeben, dass die Anrainerstaaten eine friedliche Lösung für den jahrzehntealten Konflikt um die Rechte am Nil finden würden. Es geht um den Bau von Staudämmen und Ablaufmengen, um historische Rechte und nationalstaatliche Ansprüche, um die gerechte Wassernutzung für Stromgewinnung und Landwirtschaft – von Kigali bis Kairo.

Tatsächlich wurde am 14. Mai 2010, nach zehn Jahren Verhandlungszeit, das Agreement on the Nile River Basin Cooperative Framework zur Unterschrift freigegeben. Alle zehn Nilanrainer hatten seither ein Jahr lang Zeit zu unterschreiben. Doch der Sudan und Ägypten weigern sich bislang, das neue Abkommen zu ratifizieren.

Was bei der Aushandlung des Vertragswerks noch ferne Zukunft war, könnte nun für die entscheidende Kehrtwende in der trockenen Diplomatie am Nil sorgen. Der “arabische Frühling” lässt erste Knospen eines Klimas für offene Verhandlungen gedeihen.

Der Nil ist mit 6.699 Kilometern neben dem Amazonas der längste Fluss der Welt. Zwei Hauptquellen speisen das Wasser für über 300 Millionen Menschen an seinen fruchtbaren Ufern. Der Weiße Nil entspringt in Rutanda in Burundi mit dem Quellfluss Kagera, der in den Viktoria See mündet. Der wesentlich kürzere Blaue Nil (4.500 km) entspringt dem Tana See in Äthiopien.

In Uganda verlässt der Weiße Nil den Viktoriasee und verbrüdert sich im nordsudanesischen Karthum mit dem Blauen Nil. Von dort aus bahnt sich der Strom eine grünende Schneise durch die Wüsten des Nordsudan und Ägyptens und ergießt sich schließlich wenige Kilometer nördlich von Kairo in einem gewaltigen Delta ins Mittelmeer. Ein weiterer Quellfluss entspringt in Rwanda und fließt durch die demokratische Republik Kongo und vereint sich an der Grenze zu Uganda mit dem dort verlaufenden Weißen Nil.

Nicht nur die direkten Nilanrainer erheben Anspruch auf das Wasser, sondern auch die Anrainer seiner Quellflüsse und Quellseen. Diese Quellen werden als die sogenannten äquatorialen Seen zusammengefasst. Im äthiopischen Hochlandplateau entspringt außer dem blauen Nil noch der Fluss Atbara, der durch Eritrea fließt und sich nördlich von Karthoum in den Nil ergießt.

Insgesamt sind also zehn Staaten vom Wasser des Nils abhängig: Burundi, Rwanda, die Demokratische Republik Kongo, Tansania, Kenia, Uganda, Äthiopien, Eritrea, Sudan und Ägypten. Die momentane Wassernutzung des Nils entfällt zu etwa 86 Prozent der Wassermenge auf die Gebiete nördlich von Khartum, sie stammen also aus Äthiopien und Eritrea. Den Rest speist das Seeplateau Ostafrikas. Im Sudan und Ägypten wird dem Nil kein weiteres Wasser zugeführt.

 

 

In Ägypten regnet es fast nie. Die Wasserversorgung des Landes hängt zu 99 Prozent vom Nil ab, dessen Quellen tausende Kilometer außerhalb der Landesgrenzen liegen. Derzeit verschärft sich das bestehende Wasserversorgungsproblem in Ägypten durch ein Bevölkerungswachstum von knapp zwei Prozent jährlich. Um einem wirtschaftlichen Niedergang vorzubeugen, muss Ägypten seine Wassernutzung weiter ausbauen.

Den übrigen Nilanrainern geht es nicht anders. Der äthiopische Politik-Professor und Regierungsberater Yakob Arsano hebt hervor, wie sehr Äthiopien mit seinen mehr als 80 Millionen Einwohnern auf den Strom angewiesen ist. In Äthiopien verschärft sich die Situation jedoch durch das weit höhere Bevölkerungswachstum von derzeit 3,4 Prozent und einer Bevölkerung, die nachwievor zu 80 Prozent von der Landwirtschaft lebt. Allerdings verbraucht die ägyptische Landwirtschaft bereits jetzt mehr als 80 Prozent des insgesamt genutzten Nilwassers.

Um künftig Hungerkatastrophen zu verhindern, plant Äthiopien jedoch neue Bewässerungssysteme für seine Nahrungsmittelproduktion. Konkretisiert werden die Maßnahmen zu intensivierter Landwirtschaft derzeit im Zuge eines Fünf-Jahres-Plans. Die anderen Nilanrainer stellen ebenfalls Anforderungen, das Nilwasser gerecht aufzuteilen und planen Dämme, um ihre Landwirtschaft oder eine verbesserte Energieversorgung auszubauen. Doch dabei gestaltet sich die rechtliche Situation schwierig.

Koloniale Verträge als Verhandlungsbasis für aktuelle Probleme

Zu Beginn der Kolonialzeit wurde eine Reihe von Verträgen geschlossen. Der erste Vertrag ist das 1881 abgeschlossene britisch-italienische Protokoll. Das Verhandlungsobjekt ist der Fluss Atbara. Elf Jahre später folgt der politisch brisante anglo-abessinische Grenzvertrag. Hierbei geht es um den Blauen Nil. 1906 schließt Großbritannien einen Vertrag mit dem „Freistaat Kongo“ über die Flüsse Semliki und Tsango, sowie den Albert See. In allen drei Verträgen verzichten Italien als Kolonialmacht im heutigen Eritrea, der belgische König Leopold II. als persönlicher Eigentümer des damaligen Freistaats Kongo  und der äthiopische Kaiser Menelik II. auf jegliche Beeinträchtigung des freien Wasserlaufs, die einen Nachteil des Sudans und Ägyptens zur Folge hätten.

Ägypten beruft sich noch heute auf diese Verträge, insbesondere auf die Vereinbarungen von 1902, die jegliche Staustufe am blauen Nil untersagen. Ein etwaiges Staudammprojekt südlicher Anrainerstaaten galt in Kairo lange Zeit gar als Kriegsgrund. Die Nutzung von Wasser war in der Tat der vordergründige Streitpunkt zu Beginn des sudanesischen Bürgerkriegs – vor der Verteilung des Öls.

Während der Dekolonisierung der einzelnen Nilanrainer wurden immer wieder Ansprüche auf das Wasser des Flusses erhoben – Ansprüche, die mit der anstehenden Unabhängigkeit des Südsudans erneut aufkommen und alte Diskussionen neu entflammen könnten. Bislang konnte Ägypten durch seine militärische Vormachtstellung seine historischen Rechte verteidigen.

Nicht grundlos unterhält Ägypten bis heute neben der ugandischen Haupstadt Kampala eine weitere Botschaft im eher beschaulichen Jinja, wo der Weiße Nil dem Victoria See entströmt. Bereits seit 1954 generiert hier der Nalubaale-Staudamm Energie. In absehbarer Zeit soll zudem ein weit größerer, moderner Damm zusätzlichen Strom produzieren.

 

Der Nalubaale-Staudamm in Jinja - Foto von Fredrick Onyango

Der Nalubaale-Damm im ugandischen Jinja kontrolliert die Ablaufmenge des Blauen Nils aus dem Victoria See. Bis heute unterhält Ägypten hier eine zweite Botschaft – Foto von Frederick Onyango

Mit Ausarbeitung des Agreement on the Nile River Basin Cooperative Framework, das alle beteiligten Staaten bis zum 13. Mai diese Jahres zur Unterschrift vorlag, zeichnen sich ernsthafte Bemühungen im gemeinsamen Ansinnen um einen gerechten Umgang mit dem Nilwasser ab. Lediglich Ägypten und der Sudan weigern sich weiterhin, ihr Vetorecht und ihre Überwachungsgewalt über die anderen Anrainer aufzugeben.

Abgesehen vom steigenden Wasserbedarf, interpretiert Stephan Roll, Ägypten-Experte der Stiftung für Wissenschaft und Politik, die unnachgiebige Haltung Ägyptens vor allem als Angst der Staatsmacht, eine langfristige Quotenregelung könne als politische Niederlage des Regimes ausgelegt werden. Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen um den Sturz des autoritären Mubarak-Regimes verliert dieser Gedanke zwar an Bedeutung. Inwiefern sich Ägyptens neue, wenig etablierte Führungselite eine nachgiebigere Haltung erlauben wird, bleibt abzuwarten.

“Es ist genug für alle da”

Laut GIZ-Mitarbeiter Winfried Zarges gibt es auch in absehbarer Zukunft genug Wasser für alle Nilanrainer. Es bestehe die Möglichkeit einer friedlichen Lösung im Interesse aller, wenn alle Parteien bereit wären, einen Vertrag zu unterzeichnen, der die Unteranrainer vor der Macht der Länder an den Nilquellen schützt. Umgekehrt müsste den Niloberanrainern der Anlass zu militärischer Gewalt und die bislang proklamierten Vorrechtsansprüche genommen werden.

Dauerhaft wird die bisherige Position Ägyptens nicht mehr vertretbar sein. Der stetig wachsende Bedarf an Anbauflächen für die Nahrungsmittelproduktion lässt bereits jetzt vor allem in Äthiopien und Ägypten in ehemaligen Wüsten grüne Plantagen und Weizenfelder gedeihen. Doch lange wird dieser Umgang mit dem knappen Gut nicht funktionieren. Hält man rücksichtslos an den derzeitigen Bedingungen fest, droht der Nil, die Lebensader Nordostafrikas, auszutrocken.

 

Das Nildelta nördlich von Kairo. Ägyptens Wasserversorgung hängt zu 99 Prozent vom Nil ab.

Das Nildelta nördlich von Kairo auf Satellitenaufnahmen der NASA. Ägyptens Wasserversorgung hängt fast ausschließlich vom Nil ab. 80 Prozent des Gesamtvolumens verbraucht das Land. Gespeist wird das dringend benötigte Nass aber zum Großteil in Äthiopien – wo dem Fluss allerdings vertragsbedingt nur geringe Mengen abgeführt werden dürfen.

 

Erste Annäherungen zwischen Ägypten und Äthiopien

Und doch, der Besuch von Essam Sharaf in Äthiopien am 13. Mai gibt unerwartete Hoffnung. Der Gesandte der ägyptischen Regierung sagte zwar nicht zu, das Agreement vorbehaltlos zu unterzeichnen, der äthiopische Premierminister Meles Zenawi verkündete nach Sharafs Besuch jedoch zuversichtlich:

We are hopeful that the new Egyptian leadership will join the club.”

Für den Bau des Gibe III Staudamm am Omo River, ungefähr 300 km südwestlich von Addis Abeba, gab Sharaf jedenfalls grünes Licht.

On the part of Ethiopia there is a 100 percent belief that the dam will never have a negative impact on Egypt. The international experts can thoroughly evaluate it. We are willing to form an independent technical group composed of our experts, Egyptians and other international experts. The delegation was happy when we forwarded this idea“,

ergänzte ein Sprecher des äthiopischen Außenministeriums.

Während das äthiopische Staudamm-Projekt vor allem von Umweltrechtlern Kritik erntet, könnten die jüngsten Verhandlungen insgesamt eine historische Kehrtwende in der bis zuletzt oftmals schwierigen Diplomatie eingeleitet haben, womit zumindest die akute Gefahr militärischer Auseinandersetzungen gebannt scheint.

Weiteren Anlass für Verhandlungen dürfte jedoch in absehbarer Zeit mit der bevorstehenden Unabhängigkeit des Südsudans aufkommen – ein elfter Anrainerstaat, eine elfte Meinung, eine elfte Kraft im Kampf um die gerechte Verteilung des Nilwassers.

 

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