Drei-Kinder-Politik soll Nigerias Bevölkerungswachstum drosseln

Wednesday 25th, May 2011 / 22:32 Written by

 Goodluck Ebele Azikiwe Jonathan, jüngst im Amt bestätigter Staatspräsident Nigerias, und UN-Generalsekretär Ban Ki-moon schmieden gemeinsame Pläne für die Bevölkerungsentwicklung Nigerias. Jonathan kündigte unlängst grundlegende Veränderungen an, die nach dem Willen der regierenden People’s Democratic Party Nigerias wirtschaftliche Entwicklung maßgeblich verbessern sollen. Wichtiger Bestandteil der geplanten Regulierungen soll eine Beschränkung der Geburtenrate auf drei Kinder pro Familie sein. Das enorme Bevölkerungswachstum Nigerias soll so gebremst, die Wirtschaft stabilisiert werden.

Die nötigen Reformen auf dem Weg in Nigerias Zukunft präsentierte Jonathans Minister of National Planning, Dr. Shamsuddeen Usman, dessen Kompetenzbereich neben dem Posten als stellvertretender Generaldirektor der nigerianischen Nationalbank ebenso den Chefsessel im Finanzministerium umfasst. Die Regierung will die politischen Geschicke des bevölkerungsreichsten Staats in Afrika richtungsweisend beeinflussen. Zur optimalen Nutzung des ökonomischen Potentials, so betonte Jonathan, sei eine Regulierung der hohen Geburtenrate in Nigeria notwendig. Mit den Formeln des wirtschaftlichen Wachstums verspricht Jonathan, was er als designiertes Mitglied einer nationalen Wirtschaftskommission aus Politikern und privaten Unternehmern, erhofft. Bis zur offiziellen Aufnahme in die Runde der Wirtschaftsweisen muss sich Jonathan jedoch noch voraussichtlich bis Sonntag gedulden. Dann erst soll er vereidigt werden.

Doch schon jetzt prangert Jonathan an und entwirft öffentlich vage Zukunftsvisionen für Nigeria. Die hohe Arbeitslosenquote von über 20 Prozent, die einen hohen informellen Sektor ausspart, ist in der Tat beängstigend – und das bei über 150 Millionen Einwohnern, genauere Zahlen bleiben lediglich Spekulationen. Etwa jeder Sechste Afrikaner lebt in Nigeria, jeder von ihnen hat ein Kind – fast. Zumindest wenn man Statistiken traut, nach denen die Geburtenrate in Nigeria bei 5,9 Prozent liegt. Eine Festsetzung der erlaubten Kinderzahl erwähnte Jonathan als mögliche Maßnahme. So soll der beständig hohen Geburtenrate Einhalt geboten werden, die Nigeria Prognosen zu Folge bereits 2020 zur drittgrößten Nation hinter China und Indien anwachsen lassen könnte. Problematisch sei diese Entwicklung vor allem angesichts der zunehmenden Verjüngung der nigerianischen Gesellschaft. Ein Anhalten des derzeitigen Bevölkerungswachstums sei nicht länger tragbar.

http://www.guardian.co.uk/katine/katine-chronicles-blog/2010/may/10/maternal-health-film-festival

Foto: Getty/Georges Gobet

UN-Generalsekretär Ban Ki-moon wird da schon konkreter. Über den Sonderberater der Millenium Development Goals, Jeffrey Sachs, lässt er die Forderung verlauten, Nigerias Geburtenrate müsse auf ein Maximum von drei Kindern pro Frau beschränkt werden. Das momentane Bevölkerungswachstum sei „ungesund“. Die Bevölkerung Nigerias hat sich in den letzten 50 Jahren verdreifacht. Experten prognostizieren bis 2100 eine mögliche Einwohnerzahl von 730 Millionen. Die Vorgaben Ban Ki-moons passen zu einer Reihe von Reformpaketen in der „traditionellen Partnerschaft“ zwischen dem hochverschuldeten Nigeria und UN. Nigeria ist einer der Hauptadressaten der  Empfehlungen zum Erreichen der globalen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen. Im Einklang mit der UN führt auch die Ständige Vertretung Nigerias vor den Vereinten Nationen aus:

The entrepreneurial spirit of Nigerians and the challenge to meet the needs of the large and growing Nigerian population drives a socio-economy that is constantly undergoing reforms and restructuring as the country searches for an ideal equilibrium.”

Gegenüber China, das bereits seit 1979 die sogenannte Ein-Kind-Politik propagiert, halten sich die Vereinten Nationen mit Kritik zurück. Die Geburtenregulierung führt in der Volksrepublik zu Ungleichgewichten in der Geschlechterverteilung. Auf 100 Mädchen kommen derzeit etwa 120 Jungs. In manchen Jahren liegt die Abtreibungsrate bei 30 bis 50 Prozent, vor allem weibliche Embryonen sind häufig betroffen. Experten werfen der Regierung neben Verstößen gegen die Menschenrechte uneinsichtige Ignoranz gegenüber den negativen Auswirkungen der Geburtenkontrolle vor.

Der Falsche Weg zum richtigen Ziel

Isaac Ogo ist Leiter der bereits eingerichteten Geburtenaufsichtsbehörde (Planned Parenthood Federation). Nigeria sei eine „high birth, high death“-Gesellschaft, sagt er. Dementsprechend lehnt er die Vorschläge der UN ab, glaubt aber an die Notwendigkeit grundlegender Änderungen in Nigeria. In der patriarchalen Gesellschaft Nigerias seien Polygamie und Kinderreichtum bis heute fest verankert, argumentiert Ogo weiter. Bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung von unter 50 Jahren setzen in der Tat viele nigerianische Familien bis heute auf den Nachwuchs. Laut UN-Statistiken ist Nigeria einer der ungünstigen Orte der Welt, um ein Kind zu gebären. Täglich sterben demnach schätzungsweise 145 Frauen bei der Geburt eines Kindes. 2008 erlebte etwa jedes fünfte Kind das fünfte Lebensjahr nicht.

Ähnlich wie China hat Nigeria eine äußerst unausgeglichene Verteilung seiner Bevölkerung. Während die urbanen Zentren, vor allem im Süden des Landes, massiv anwachsen, wandern immer mehr Menschen aus dem dünner besiedelten Norden ab. Bereits unter britischer Kolonialherrschaft wurden die nördlichen Provinzen gezielt unterentwickelt. Der Ausbau der Infrastruktur konzentrierte sich auf den Süden des Landes, Bildung und Soziales wurden im Norden fahrlässig vernachlässigt. Landflucht und krisenbedingte Binnenmigration sind die Folge. Städte wie Kano oder Ibadan wachsen unkontrolliert. Nigeria dürfte das erste Land Afrikas sein, das einen Urbanisierungsgrad von über 50 Prozent erreicht.

Bevölkerungsdichte nigerischer Bundesstaaten

Bevölkerungsdichte nigerischer Bundesstaaten Karte: Marcel Krüger

Vor allem Lagos entwickelt sich zu einem immer größeren Moloch wuchernder Elendsviertel. Die ehemalige Hauptstadt ist mittlerweile zur zweitgrößten Stadt des Kontinents angeschwollen. Mehr Einwohner als die rund 11 Millionen-Metropole an der Südwestküste hat nur Kairo. Doch Lagos gehört zu den mit Abstand am rasantesten wachsenden Städten der Welt, ein Ende des Wachstums ist nicht in Sicht.

Der Konflikt um den Zugang zu den Ressourcen des Landes spitzt sich mit dem steigenden Bevölkerungsdruck immer weiter zu. Nicht selten entlädt sich die Frustration in gegenseitigen Anschuldigungen der Religionsgemeinschaften. Die unsichtbare Trennlinie verläuft auch entlang politischer Grenzen. Gerade die zentralen Distrikte Nigerias sind seit vielen Jahren Ziel gewaltsamer Übergriffe. Es geht um die Demonstration von Macht und darum, den jeweiligen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Anschlagsserien erschüttern seitdem immer wieder den sogenannten „middle belt“ des Landes. Wegen blutiger Unruhen im Anschluss an die Wahlen im Januar konnte Goodluck Jonathan seine offizielle Amtseinführung bislang nicht antreten und wartet daher auch weiter auf seine Benennung zum Mitglied der Wirtschaftskommission. Der Vorwurf der Manipulation stand im Raum, vor allem der Norden fühlte sich – wieder einmal – betrogen. Jonathan war erst im Mai 2010 ins Amt gehoben worden, nachdem der vorherige Präsident Umaru Yar’Adua verstorben war. Die Bevölkerung im Norden des Landes sah das ungeschriebene Gesetz verletzt, nach dem einem Präsidenten aus dem Norden ein Amtsinhaber aus dem Süden folgen soll. Zwar war dieser Umstand bei der Machtübernahme durch Jonathan, der aus dem südlichen Teil des Landes stammt, gegeben. Ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Amt sahen jedoch viele nicht als Grund, Jonathan ohne demokratische Entscheidungsfindung mit dem Segen der Nationalversammlung vom Gouverneur der Provinz Kaduna zum Staatspräsidenten zu erheben. Am Tag nach dem Tod seines Vorgängers, der aus ungeklärten Gründen nicht die Ernennung seines Vizepräsidenten anbot oder dies aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zu tun vermochte, wurde Jonathan vereidigt. Die BBC titelte in Anspielung auf Jonathans Vornamen Goodluck, er habe die Angewohnheit, zur richtigen Zeit am richten Ort zu sein.

Die Millionenmetropole Lagos ist zur zweitgrößten Stadt des Kontinents angewachsen

Die Millionenmetropole Lagos ist zur zweitgrößten Stadt des Kontinents angewachsen

Vor allem die sunnitische Mehrheit im Norden Nigerias beklagt seit dem Amtsantritt Jonathans, der Christ aus dem Süden übergehe die Anliegen der Muslime im Norden. Dabei schien auch sein Vorgänger Umaru Yar’Adua in seiner dreijährigen Amtszeit als Staatsoberhaupt die Geschicke Nigerias nicht entscheidend zu Gunsten seiner Glaubensbrüder im Norden lenken zu können. Weder den Reichtum aus den Diamantminen, die das Land zum viertgrößten Edelsteinexporteur der Welt aufsteigen ließen, noch die Milliardeneinnahmen aus dem sprudelnden Geschäft mit dem Erdöl vor der nigerianischen Küste führten zu spürbaren Verbesserungen an den Lebensumständen der Bevölkerung – weder im Norden, noch im Süden. Dennoch verschärfte sich der Konflikt zwischen Nord und Süd mit der Wiederwahl Johnathans erheblich. Das Geschäft mit dem Öl hat die einstige Stellung von Agrarprodukten wie Palmöl in der Ausfuhr nigerianischer Erzeugnisse verdrängt. Dennoch sind bis heute über 60 Prozent der arbeitenden Bevölkerung Nigerias in der Landwirtschaft beschäftigt. Doch Nigeria ist mittlerweile auf Reisimporte aus dem benachbarten Benin oder aus Asien angewiesen. Selbst petrochemische Produkte müssen heute importiert werden. Dabei deckt nigerianisches Öl etwa 8 Prozent des Weltbedarfs. Allein, die Raffinerien sind veraltet und unproduktiv.

Zudem zerfressen Vetternwirtschaft und Bestechung die Gewinne. Für die arme Mehrheit Nigerias fallen nicht einmal die Krümel ab. Es ist ein systemimmanentes Problem, die Korruption der Militärs und niedriger Verwaltungsbeamte tut lediglich ihr Übriges. Diese ungerechte Verteilung der Ressourcen drückt sich in einer höchst polarisierten Gesellschaft von reichen Eliten und massenhafter Armut aus. Eine Mittelschicht hat es in Nigeria schwer. Das große Geld verdienen Staatskonzerne, etwa in der Telekommunikationsbranche, oder ausländische Unternehmen, vor allem in der Rohstoffgewinnung. Die Perspektivlosigkeit vieler Jugendlicher – das Durchschnittsalter in Nigeria liegt bei unter 18 Jahren – formiert sich immer öfters in Protesten. Gut ausgebildete Leute verlassen das Land in Scharen, während die wenigen Prädestinierten und Privilegierten weiterhin die Funktionen in Politik und Wirtschaft übernehmen, um den Reichtum des Landes nach bestem Eigenwillen zu verwalten. Daran, so sind sich viele Experten einig, dürften auch die Reformvorschläge zur Geburtenkontrolle wenig ändern.

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Marius Münstermann is based in Berlin where he works as a freelance journalist. Marius serves as editor-in-chief at eufrika.org.

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