Schlagabtausch auf Augenhöhe?
Cyber-Kriegsführung gehört nicht nur zum modernen Repertoire staatlicher Militärs. Hacker holen im Zeichen der Freiheit zum digitalen Gegenschlag aus, wie die jüngsten Drohungen gegen Ägyptens Präsident Mursi verdeutlichen.
Die Guy-Fawks-Maske über das Gesicht gezogen, die Stimme am Computer verzehrt, das bedrohliche Knacken des Tons und die Aufnahmestörungen am Anfang der Warnbotschaft. Mit gewohnt dramatischer Inszenierung wendeten sich Unbekannte im Namen des losen Hackerkollektivs Anonymous unter dem Hashstag #OpEgypt in einem Youtube-Video an Ägyptens Präsident Mursi. Die Forderung: Sollte Mursi sein umstrittenes Dekret nicht zurückzuziehen, würden die Hacker private und Regierungswebsites lahmlegen.
Die Attacken von Anonymous richten sich in der Regel gegen datenhungrige Konzerne oder staatlich lancierte Kontrollvorhaben, je nachdem, welche Absicht den AktivistInnen hehr erscheint. Gegen Mursi agieren sie aus der Überzeugung, dem ägyptischen Volk würden seine „Grundrechte und menschlichen Freiheiten aberkannt“. Mursi habe „wiederholt die elementare Werte der Demokratie missachtet“ und sich „mit seiner jüngsten Erklärung die Machtbefugnisse eines Pharaos verliehen und zum neuen Gott Ägyptens ernannt“.
Direkt an den Präsidenten gewandt, beschuldigt Anonymous Mursi „für den Tod zweier junger Ägypter und hunderter weiterer Verletzter“ verantwortlich zu sein.
Dass die Hacker ihre Drohung durchaus ernst zu machen verstehen, haben sie bereits mehrfach unter Beweis gestellt. “Operation Brotherhood Takedown“ brachte am Freitag, 11. November zeitgleich mindestens vier Seiten der Muslimbruderschaft zum Erliegen, aus deren Reihen auch Mursi kommt. Dabei agierte Anonymous wie meist international, von Rechnern in Deutschland, Frankreich, der Slovakei und den USA. Bis zu 380.000 simulierte Zugriffe pro Sekunde zwangen vier Seiten der Muslimbrüder in die Knie.
Im Zuge der Protestbewegung seit Ende 2010 entwickelte sich ein ägyptischer Zweig des ideologisch weit gefassten Hackerkollektivs. Laut Aussage eines Beteiligten arbeiteten etwa 500 Aktivist_innen an einem Angriff, der am 2. Februar 2011 zeitweise alle ägyptischen Regierungsseiten lahmlegte. Zuvor gab es ähnliche Cyber-Angriffe auch auf die tunesische Regierungsseiten und die Börse in Tunis, mit denen Machthaber Ben Ali geschwächt werden sollte.
Die Attacken seien als Unterstützung der Proteste zu verstehen, hieß es 5 Tage nachdem Ägyptens damaliger Präsident Mubarak das Land in den offline-Modus versetzt hatte. Zu dieser Zeit war Anonymous ebenfalls maßgeblich an einer Versorgung der Aktivist_innen mit kurzfristig bereit gestellten Alternativdiensten beteiligt. Die Regierung hatte auch das Mobilfunknetz abgeschnitten. Die wenigen Internetprovider waren in die Pläne nicht eingeweiht worden und spontan nach einander per Telefon zum Abschalten ihrer Dienste aufgefordert worden. Hauptsächlich dank diverser dial up-Verbindungen konnten die Informationen aus Ägyptens Straßen ihren Weg in die Welt finden.
Nicht erst seit Bekanntwerden der amerikanischen Angriffe auf das Atomprogramm des Irans ist es kein Geheimnis mehr, welch immense Schäden Hacker anrichten können. Anonymous und Co haben bereits Websites einer Vielzahl technologisch hochgerüsteter Staaten oder auch der NATO attackiert. Zuletzt folgte Syriens Machthaber Assad dem Vorbild Mubaraks und isolierte sein Land noch weiter von der Außenwelt; regimetreue Hacker attackierten Reuters und Al Jazeera, nachdem Oppositionelle im März dieses Jahres angeblich über 3.000 private Mails zwischen Assad und seiner Frau veröffentlichten. Aus Protest gegen die Angriffe auf Gaza nahm Anonymous vor kurzem erfolgreich Israels hochmoderne Technik unter Beschuss und veröffentlichte die Daten von 5.000 Staatsbediensteten.
Ebenso wie Cyber-Attacken für viele Staaten mittlerweile selbstverständlich zum Repertoire gehören, setzen Aktivist_innen das Internet nicht nur als Kommunikationsmittel für ihre Zwecke ein. Pikante Details aus streng geheimen Akten haben dank wiki leaks diplomatische Krisen verursacht. Gezielte Angriffe sind darüber hinaus geeignet, ohnehin angeschlagene Regimes durchaus empfindlich zu stören.
Solange es beim Abschalten staatlicher Websites bleibt, mag der Schaden für die Betroffenen verkraftbar sein (wenngleich kein Geheimdienst der Welt das wahre Ausmaß eines Angriffs freiwillig preisgeben wird). Welchen Vorteil die online-Aktivisten jedoch haben, wenn es zum finalen Angriff im digitalen Schlagabtausch kommt, hat das Beispiel Ägypten bereits gezeigt: Im vermeintlichen offline-Modus übernahm der analoge Verstand die ideologischen Anliegen aus Internetforen und Chaträumen, die Menschen trugen ihren im Netz geborenen Mut auf die Straßen.