“Ernten, was wir säen”: Tansania 50 Jahre nach der Unabhängigkeit

Friday 09th, December 2011 / 13:02 Written by

  

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Substistenzwirtschaft ist wie hier an der Grenze zu Ruanda bis heute weit verbreitet in Tansania - Copyright: eufrika.orgSubstistenzwirtschaft ist wie hier an der Grenze zu Ruanda bis heute weit verbreitet in Tansania - Copyright: eufrika.org

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Im zweiten Jahr der großen Dekolonisationswelle, am 9. Dezember 1961, erlangte das damalige Tanganyika die formale Unabhängigkeit im Verbund des Commonwealth of Nations von der britischen Kolonialmacht. Zunächst von vielen westlichen Regierungen als Musterbeispiel eigenständiger Entwicklung gepriesen, sah sich Tansania in der Folge wie viele der jungen Nationalstaaten mit den harten Realitäten einer zunehmend globalisierten Weltwirtschaft konfrontiert. Bestrebt, sich dem Einfluss der bipolaren Ordnung des Kalten Kriegs zu entziehen, wurden Autarkie und Unabhängigkeit zu Schlagworten der post-kolonialen Ära. Der tansanische Sozialismus sollte zum Vorbild für viele junge Staatsführer werden, die Ideen von Uhuru und Ujamaa gingen in den weltweiten Diskurs ein. In keinem anderen Bereich war diese neue politische Philosophie so tiefgreifend wie in der Landwirtschaft.

In dieser Reihe stellen wir die 50jährige Erfahrung einer Unabhängigkeit am Beispiel des tansanischen Agrarsektors dar. Von der Landnahme während der Kolonialzeit, der politischen Neuausrichtung ab 1961 und den radikalen Veränderungen der Ujamaa-Ära, bis zur allmählichen Liberalisierung ab Mitte der 1980er.

Das heutige Tansania stand ab 1885 im Verbund mit den gegenwärtigen Nachbarstaaten Burundi und Rwanda sowie einem kleinen Zipfel des nördlichen Mozambique als Deutsch Ostafrika unter kolonialer Herrschaft.

Es waren die europäischen Kolonialherren, die den kapitalistischen Begriff von Landeigentum nach Ostafrika brachten. Das zuvor kommunal bewirtschaftete und gemeinschaftlich verwaltete Land wurde aufgeteilt, das vielfache Unverständnis der lokalen Eliten durch sogenannte Schutzverträge zu Gunsten europäischer Siedler missbraucht. Die traditionelle Ordnung war aufgehoben.

In der Folge resultierte die Mehrheit der anti-kolonialen Bewegungen in Ostafrika aus Konflikten um die Deklaration von Land, da diese der lokalen Bevölkerung Zugang, Besitz und die eigenständige Nutzung ihres Grund und Bodens zunehmend erschwerte.

Der Verkauf der eigenen Erzeugnisse wird auf dem Land meist ohne Zwischenhändler abgewickelt - Copyright: eufrika.org

Der Verkauf der eigenen Erzeugnisse wird auf dem Land meist ohne Zwischenhändler abgewickelt – Copyright: eufrika.org

Mit Ende des Ersten Weltkriegs übernahm Großbritannien die imperiale Herrschaft in Ostafrika und erlangte mit dem Segen der Alliierten die Verwaltungshoheit über das nunmehr in Tanganyika Territory umbenannte Treuhandgebiet. Um die Entstehung organisierter Widerstandsgruppierungen zu verhindern, forcierte die britische Kolonialverwaltung eine Agrarpolitik, die eine Fragmentierung der Landbevölkerung beabsichtigte, lebte die Menschen doch fast alle auf dem Land. Zu diesem Zweck propagierten die Briten das sogenannte small scale farming: Kleinbäuerliche, hoch besteuerte, kommerzialisierte und exportorientierte Feldarbeit sollte die traditionelle Subsistenzwirtschaft ersetzen. Zugleich wollte man auf diese Weise entsprechend dem Prinzip der Indirect Rule potentielle Aufstände unterbinden. Das Prinzip der Indirect Rule war eine Herrschaftsmethode des europäischen Kolonialismus, die vor allem im britischen Empire Anwendung fand. Wesentlich war hierbei der nominelle Beibehalt der vorgefundenen, traditionellen Machtstrukturen, wobei diese von der Kolonialregierung gezielt zu deren Zwecken einbezogen wurden.

Rückblickend waren ähnlich der deutschen Kolonialzeit auch die ersten Jahre der Agrarpolitik der Briten durch Arroganz und Ignoranz gegenüber den Praktiken der Bauerngesellschaften in Tanganyika gekennzeichnet. Die Bauern sollten zunächst (vor dem zweiten Weltkrieg) Exportfrüchte produzieren und an den Markt angeschlossen werden. Aber die Kommerzialisierung wurde von der Administration gelenkt, Anweisungen für landwirtschaftliche Praktiken bis hin zur Beschränkung jeglicher Eigeninitiative gegeben. Das war die bestimmende Politik des kolonialen Dirigismus. Dennoch waren prozentual nur wenige Bäuerinnen vom Weltmarkt abhängig, da zwar etwa drei Viertel der Exporte auf sogenannte cash crops entfielen, diese jedoch nur knapp 13 Prozent des BIPs generierten. Dabei war Subsitenzwirtschaft zu dieser Zeit weiterhin dominierend.

Das unproportionale Verhältnis von Export- und Binnenmarkt sollte bis zur staatlichen Unabhängigkeit Tanganyikas beinahe unverändert bestehen bleiben, was einige Rückschlüsse auf die ökonomische Erschließung der Kolonie erlaubt. So konstatiert der Historiker John Iliffe die Situation der tansanischen Bevölkerung unter britischer Kolonialherrschaft wie folgt:

A population ill-educated and ill-equipped to master its harsh environment; an infrastructure whose sparseness and inadequacy was remarkable even by the standards of tropical Africa; […] an international status which since 1918 had been of sufficient ambiguity further to discourage investment and entrepreneurial effort.”

Wie hier in den Uluguru-Bergen bei Morogoro findet Landwirtschaft in Tansania unter oftmals unwegsamen Bedingungen statt - Copyright: eufrika.org

Wie hier in den Uluguru-Bergen bei Morogoro findet Landwirtschaft in Tansania unter oftmals unwegsamen Bedingungen statt – Copyright: eufrika.org

In dieser Situation allgemeiner Armut kristallisierte sich eine zunehmende Ungleichheit innerhalb der tansanischen Gesellschaft heraus. Diese resultierte im Wesentlichen aus der Vergabe von Land und der Kontrolle der Arbeit, wurde jedoch ebenso vom ungleichen Zugang zu finanziellen wie machtpolitischen Ressourcen des Kolonialstaats geformt. Durch eine Anstellung im Dienste des kolonialen Verwaltungsapparats wurde wenigen Einheimischen eine gesonderte soziale Stellung eröffnet, welche für die Profiteure mit finanziellem Aufstieg verbunden war. Vergleichbare Disparitäten lassen sich auf die rurale Gesellschaft übertragen, in der sich einige Wenige durch ihre gesonderte Position ökonomische Vorteile zu verschaffen wussten. Besonderen Antrieb erfuhr diese Ausdifferenzierung der ökonomischen Besitzverhältnisse mit den ab 1921 beginnenden Versteigerungen deutscher Farmen und Plantagen.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs verfolgte die britische Verwaltung das Ziel, die „angeschlagene, einseitig ausgerichtete Wirtschaft des Landes“ zu diversifizieren. Kernelement dieser neuen Strategie war die Ausweitung des bis dahin beschränkten Angebots an Agrarerzeugnissen. Zu diesem Zweck fuhr man eine in London ausgearbeitete co-operative policy: Bis 1959 wuchs die Zahl dieser Kooperationsgemeinschaften von 37 (1938) auf 152, wobei die Mehrheit in der Landwirtschaft agierte. Auf diese Weise erreichte der Output an Agrarerzeugnissen mit einem Gesamtvolumen von fast 60 Millionen Pfund Sterling gegen Ende der Kolonialära ein historisches Maximum, Tanganyika verzeichnete in der Außenhandelsbilanz ungeahnte Überschüsse.

 

Bestandsaufnahme: Tansania nach der Unabhängigkeit

1961 gab es landesweit nur 380 Produktionsbetriebe mit mehr als 10 Mitarbeitern. Insgesamt waren rund 22.000 Menschen in der Industrie tätig, die lediglich 3,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts erwirtschaftete. Gleichzeitig wurden nachwievor zwei Drittel aller Güter importiert, während die Produktion im Land vorrangig exportorientiert war, vor allem Sisal, Baumwolle oder Tabak, die entweder als Rohstoff, seltener verarbeitet in den Verkauf gingen.

Das post-koloniale Potential der tansanischen Landwirtschaft kann als Sinnbild einer wenig hoffnungsvollen Charakterisierung gesehen werden, wie sie der Afrikanist und Politikwissenschaftler Göran Hydén 1975 in seinem Werk Ujamaa Villagization and Rural Development in Tanzania formulierte. Auch für die tansanische Landwirtschaft galt, was Hydén für den gesamten afrikanischen Kontinent mit Ausnahme der Siedlerkolonien Zimbabwe und Südafrika wie folgt formulierte:

Die afrikanischen Kleinbäuerinnen („small scale farmers“) liefern einen enormen Beitrag zum Bruttosozialprodukt vieler Staaten. Dabei erzeugten nicht etwa Eigentumsrechte die teils gravierenden Einkommensunterschiede. Diese sind nach Hydén primär durch „differenzierte Fähigkeiten“ der einzelnen Akteure zu erklären.

Aus der geringen Bevölkerungsdichte der meisten afrikanischen Länder* wiederum ergibt sich ein vergleichsweise schlechtes Rekrutierungsangebot an Arbeitskräften. Dieser Umstand, komplementiert durch die oftmals rudimentäre Technologie, macht die Bewirtschaftung größerer Farmen nahezu unmöglich.

* Diese Aussage lässt sich auch auf Tansania übertragen. Laut Weltbank hat sich die Bevölkerungsdichte seit 1980 (22) zwar mehr als verdoppelt (2009: 49). Im weltweiten Vergleich belegt Tansania damit jedoch weiterhin einen der hinteren Ränge.

Die Interaktion zwischen bäuerlicher Landbevölkerung und Regierung sei historisch bedingt schwach ausgeprägt, fährt Hyden fohrt. Ähnlich verhielt es sich mit der Integration der afrikanischen Landwirtinnen in die (inter-) nationale Marktökonomie, die Mehrheit der Bäuerinnen betreibt Subsistenzwirtschaft.

Fahrräder sind in manchen ländlichen Gegenden nachwievor das einzig verfügbare Transportmittel - Copyright: eufrika.org

Fahrräder sind in manchen ländlichen Gegenden nachwievor das einzig verfügbare Transportmittel – Copyright: eufrika.org

Hyden zieht aus dieser Charakterisierung den Schluss, dass eine „kapitalistische Entwicklung für afrikanische Gesellschaften nicht nützlich“ sei. Diese Hypothese revidiert er 1986 jedoch radikal, indem er stattdessen im Kapitalismus die einzige Entwicklungsperspektive für die afrikanischen (Land-) Bevölkerung erkennt.

Tatsächlich war der Diskurs um ökonomische Entwicklung seit der ersten Unabhängigkeitsbewegung auf dem afrikanischen Kontinent von eben dieser Bipolarität der politischen Weltanschauung geprägt. Wie Hyden waren dabei die meisten Beobachterinnen lange Zeit von einer eurozentrischen Perspektive eingenommen. Eigenständigen Entwicklungsansätzen abseits der geläufigen Ost-West-Szenarien wurde dagegen wenig Beachtung geschenkt. Eine separate Betrachtung, losgelöst von den globalen Strömungen Sozialismus respektive Kapitalismus fand somit kaum statt.

 

Julius Kambarage Nyerere – “Schoolmaster by choice and a politician by accident”

Dennoch hatte sich bereits ab den späten 50er Jahren in vielen Staaten des unabhängigen Afrikas ein Diskurs um Selbstständigkeit und alternative Entwicklungsmodelle etabliert. Anfänglich stark von den lateinamerikanischen Dependenztheorien und den Debatten über Produktionsweisen bestimmt, sollte der Diskurs bald eigene, auf sogenannten afrikanischen Charakteristika basierte Ansätze hervorbringen.

Prägte nicht nur das politische Denken Tansanias: Nyerere auf einem 1.000 Shilling-Schein - Copyright: Fanny Schertzer

Prägte nicht nur das politische Denken Tansanias: Nyerere auf einem 1.000 Shilling-Schein – Copyright: Fanny Schertzer

Einer der Vorreiter dieser neuen, spezifisch afrikanischen Auslegung des Sozialismus war Julius Kambarage Nyerere. Trotz seiner gewissermaßen privilegierten Herkunft (sein Vater war der oberste Chief der Bevölkerungsgruppe der Zanaki am westlichen Ufer des Victoriasees) verdankte der junge Nyerere seinen Aufstieg vor allem seinen herausragenden schulischen Leistungen. Wenngleich er erst im Alter von zwölf Jahren eine Schule besuchte, erkannten katholische Missionare bald sein Potential und schickten ihn zur weiteren Ausbildung an die Makere Universität im ugandischen Kampala. Nyerere wollte Lehrer werden.

Später sollte er erste Tansanier sein, dem ein Studium im Mutterland der britischen Kolonialherren vergönnt war, und überhaupt erst der zweite Absolvent an einer Universität außerhalb Afrikas. Viele Biographen vermuten, dass Nyerere während seines Wirtschafts- und Geschichtsstudiums in Edinburgh erstmals mit der Wirtschaftslehre der  fabian society in Kontakt kam, welche sein politisches Denken fortan prägen sollte. Unbestritten ist indes, dass Nyerere die Idee, Sozialismus und das Gemeinschaftswesen seiner Heimat miteinander zu verknüpfen, nicht mehr losließ.

Zunächst stellte ihn die britische Kolonialverwaltung bei seiner Rückkehr in die Heimat jedoch vor die Wahl: Sein frühes politisches Engagement stieß im repressiven Kolonialstaat auf Ablehnung, die weitere Karriere als Lehrer war gefährdet. Aus dieser Zeit stammt einer der berühmtesten Aussprüche Nyereres:

I am a schoolmaster by choice and a politician by accident.”

Letztlich sollte Nyerere die Politik wählen, die bald sein Leben werden sollte und der er seine Überzeugungen bis zum Schluss widmen würde.

Bereits 1953 formte Nyerere aus dem losen Interessenbündnis der Tanganyika African Association (TAA) die Tanganyika African National Union (TANU), die sich zu einer der führenden Kräfte der tansanischen Unabhängigkeitsbewegung entwickeln sollte. Unter Nyerere als Ministerpräsidenten erlangte Tanganyika 1961 schließlich die staatliche Unabhängigkeit von der britischen Kolonialmacht, bevor Nyerere ein Jahr später zum ersten Staatspräsidenten gewählt wurde.

 

Uhuru: Die post-koloniale Erfahrung

Die regierende TANU verfolgte unter Staatspräsident Nyerere bereits in den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit (Uhuru, Swahili für Freiheit) ab 1961 einige essentielle Veränderungen der kolonialen Wirtschaftsordnung.

Im nunmehr unabhängigen Nationalstaat Tanganyika wurden sogenannte settlement schemes (makazi mapya) eingeführt. Durch diese zentrale Ansiedlung sollte nicht nur ein Nationalbewusstsein geweckt, sondern vor allem die Kontrolle über die Lebensmittelversorgung und die Vermarktung der Agrarerzeugnisse, die zu diesem Zeitpunkt zum größten Teil in ausländischer Hand lag, zurückerlangt werden. Nyerere formulierte seine Auffassung damals wie folgt:

So etwas wie auf Gewinn ausgerichteten Sozialismus gibt es nicht, denn das wäre wiederum ein Widerspruch in sich. Sozialismus impliziert dem Wesen nach gerechte Verteilung. Sein Interesse liegt darin, dass die, die säen, auch einen gerechten Anteil von dem ernten, was sie gesät haben.“

In allen größeren Städten wie hier in Iringa erinnert die zentral gelegene Uhuru-Fackel an das brennende Feuer der Freiheit - Copyright: mwanasimba

In allen größeren Städten wie hier in Iringa erinnert die zentral gelegene Uhuru-Fackel an das brennende Feuer der Freiheit – Copyright: mwanasimba

Gleichzeitig wurde die traditionell in allen Bevölkerungsgruppen des Landes verbreitete Siedlungsform, die sogenannte Streusiedlung, unter dem Vorwand der Modernisierung zunehmend durch zentralisierte Wohnsiedlungen abgelöst. Allerdings betrafen diese Maßnahmen nur Teile der Gesellschaft und können daher keinesfalls als flächendeckendes, systematisches Phänomen betrachtet werden.

Ab 1963 wurden die zuvor uneingeschränkten Eigentumsrechte der Farmer zu Gunsten des Staates umgewandelt. Bäuerinnen als auch ausländische Unternehmen mussten fortan das Land in Form von Pacht erwerben. Auch in der Wahl des Anbaus waren die Bäuerinnen in der Folge nicht mehr gänzlich frei. Spätestens als die Regierung 1969 die Pachtrechte zu Besitzrechten deklarierte, unterstand der Agrarsektor der faktischen Kontrolle des Staates. Diese sukzessive Ausweitung der staatlichen Kontrolle über die Landwirtschaft respektive die graduelle Herabstufung der Bäuerinnen in ihrer Entscheidungsfreiheit setzte sich in der Zentralisierung der Produktvermarktung durch Kooperativen und die Regulierung der Absatzpreise fort. Insgesamt entwickelte Tanganyika in der Folgezeit jedoch zunächst eine liberale Ausrichtung, mit der ein Zulauf ausländischer Investitionen (Foreign Direct Investment, FDI) gefördert werden sollte.

Ziel war neben der Sicherung der landwirtschaftlichen Produktion vor allem die Industrialisierung des Landes, hatte die junge Regierung doch wie gezeigt eine schwache Wirtschaft mit primärer Auslegung auf den Export von Rohstoffen und Agrarerzeugnissen vererbt bekommen.

So steuerte der verarbeitende Sektor 1962 gerade 3,6 Prozent zum BIP bei. Ausländisches Geld war gern gesehen, wobei das externe Know-how seinerseits zum Aufbau des Industriesektors beitragen sollte.

Neben attraktiven Faktoren wie der günstigen Arbeitskraft wurden in der Folge auch die politischen Rahmenbedingungen weiter zu Gunsten ausländischer Investoren ausgeweitet. Zusätzliche Sicherheiten wurden gewährt, darunter der Foreign Direct Investment Act von 1963, der garantierte, dass ausländische Industrieunternehmen nicht von der Verstaatlichung, wie sie der Agrarsektor erlebte, betroffen sein würden. Vor allem die Aussicht auf eine staatlich gewährte Monopolstellung lockte viele ausländische Firmen nach Tansania, dessen Binnenmarkt lohnendes Potential versprach. Das günstige Investitionsklima erfuhr ab 1963 mit der Gründung der East African Common Services Organization (EACSO) weitere Stabilisierung.

 

Die Arusha-Deklaration

Noch bevor die EACSO im Juni 1967 ihre Ausweitung zur East African Community (EAC) erfahren sollte, verabschiedete Nyerere anlässlich einer eigens anberaumten Initiative in Arusha im nördlichen Tansania eine gleichnamige Deklaration. Sie legte die wesentlichen Zielsetzungen eines afrikanischen, beziehungsweise tansanischen Sozialismus fest. Entsprechend der Vorstellung sogenannter afrikanischer Kollektivität und einer gemeinschaftsorientierten Gesellschaft, prägte Nyerere sein politisches Leitmotiv unter dem Begriff Ujamaa, was im Swahili für Gemeinschafts- oder Familiensinn steht. Ab 1967 sollte der bis dato erreichte Lebensstandard gehalten und mittelfristig ausgebaut werden.

Die Umsetzung der sozialistischen Maxime der Ujamaa-Politik Nyereres strebte letztlich drei Ziele an: Freiheit, Gleichheit und Einigkeit. Diese gesellschaftlichen Ideale waren nach Nyerere in Afrika keineswegs fremd, müssten jedoch zunächst an die Maßstäbe des post-kolonialen Zeitalters angepasst werden.

Saftig grüne Felder...

Saftig grüne Felder…

Um diese Vision realisieren zu können, unternahm die TANU einen abrupten Bruch ihrer bis dahin moderaten Wirtschaftspolitik: Das Vertrauen in die Kraft des von ausländischen Unternehmen dominierten Privatsektors wich dem Vertrauen in den öffentlichen Sektor, der nunmehr als Motor der nationalen Ökonomie gepriesen wurde.

... und dürre Böden: Tansanias Landwirtschaft ist besonders anfällig für Wind und Wetter - Copyright: Alexander Johmann

… und dürre Böden: Tansanias Landwirtschaft ist besonders anfällig für Wind und Wetter – Copyright: Alexander Johmann

Statt der vorrangigen Betonung der Landwirtschaft zur autarken Versorgung des Landes, beabsichtigte man im Zeitraum des ersten Fünf-Jahres-Plans die Abhängigkeit der Wirtschaft von Importen – insbesondere von Konsumgütern – zu verringern und durch heimische Produktion auszugleichen. So machte der Agrarsektor zwischen 1966 und 1971 nur einen geringfügigen Teil an der Zusammensetzung der staatlichen Investitionen aus. Diese flossen stattdessen vor allem in Bereiche, von denen man annahm, dass sie das Kapitalvermögen der tansanischen Volkswirtschaft erhöhen würden. Daher bekamen das verarbeitende Gewerbe (54 Prozent), das Transportwesen (27 Prozent) und auch die Tourismusbranche (13 Prozent) die meisten Gelder zugesprochen.

Die in der Arusha-Deklaration enthaltenen Zielsetzungen widersprachen in ihrer Auslegung in Teilen den später getroffenen Vereinbarungen der EAC zur Entwicklung einer supranationalen Regionalgemeinschaft, die unter anderem die Schaffung einer gemeinsamen Agrarpolitik (CAP) beabsichtigten. In der Folge divergierte die politische wie ökonomische Ausrichtung der Bündnispartner Tansania, Kenia und Uganda zunehmend. Doch erst nach dem Militärputsch in Uganda durch Idi Amin 1971 offenbarten sich die grundlegenden Differenzen innerhalb der EAC, sodass diese 1977 zerfiel.

Folgt man einer gängigen Kategorisierung der Agrarwissenschaften, nach der politische Ansätze zur ruralen Entwicklung anhand der drei wesentlichen Ausprägungsformen technokratisch, reformistisch und radikal zu unterscheiden sind, so lässt sich die tansanische Agrarpolitik unter Nyerere ab 1967 mit Inkrafttreten der Arusha-Deklaration der letzteren Kategorie zuordnen: Der radikale Umbruch des politischen Denkens mit einer stark sozialistischen Orientierung war darauf bedacht, fundamentale Veränderungen in der gesellschaftlichen Ordnung herbeiführen.

 

 

Die sozialistische Entwicklung der Landwirtschaft

 

Die übergeordnete Doktrin Nyereres – die Schaffung gesellschaftlichen Reichtums – beruhte notwendigerweise auf drei Faktoren:

Erstens Land. Gott hat uns das Land gegeben, und vom Land beziehen wir die Rohmaterialien, die wir unseren Bedürfnissen entsprechend umgestalten. Zweitens Werkzeuge. Durch einfache Erfahrung haben wir herausgefunden, dass uns Werkzeuge helfen! Darum machen wir eine Hacke, eine Axt, eine moderne Fabrik oder einen Traktor, die uns helfen sollen, Wohlstand zu schaffen – die Güter, die wir benötigen. Und drittens menschliche Anstrengung – Arbeit.“

Das „gottgegebene“ Land fand in den Ausführungen Nyereres, der als frommer Katholik vor seiner politischen Karriere an christlichen Missionarsschulen unterrichtet hatte, trotz der Predigt über industrielle Modernisierung nicht grundlos an erster Stelle Erwähnung. Bei einem Anteil der ruralen Bevölkerung an der Gesamtpopulation Tansanias von etwa 90 Prozent, die ihr Einkommen hauptsächlich in der Landwirtschaft erwirtschaftete, sollte der Landnutzung in den folgenden Jahren die zentrale Rolle in der Umsetzung der sozialistischen Grundsätze zukommen.

 

Vijiji vya Ujamaa – Das Dorf im Zentrum der Entwicklungspolitik

Das Ujamaa-Village-Programm diente als Grundlage für die ökonomische wie soziale Transformationen im Sinne des Sozialismus. Die Ujamaa-Dörfer waren kommunalisierte Produktionsgemeinschaften zur Bewirtschaftung des staatlich verwalteten Bodens, jedoch entsprechend der Doktrin nationaler Selbstständigkeit nicht von Anfang an auf die kommerzielle Erzeugung von Nahrungsmitteln ausgelegt. Lediglich größere Überschüsse wurden über nationale Kooperativen (marketing boards) wie etwa die National Milling Corporation (NMC) vertrieben. Diese Vertriebsgenossenschaften dienten in ihrer zwischengeschalteten Position ebenso dazu, ausländische Investoren an der Eingliederung tansanischer Agrarfirmen zu hindern. Seltener wurden die Erzeugnisse auf regionalen Märkten angeboten, was auf Grund der oftmals rudimentären Infrastruktur ohnehin nur schwer möglich war. Üblich war hingegen die Verteilung der Ernteerträge zu den an der Produktion beteiligten Familien und dem zentralen, ebenfalls staatlich betriebenen Dorfladen (duka) zu gleichen Teilen. So sollte die grundlegende Nahrungssicherheit der Bevölkerung – entsprechend dem Prinzip der self-reliance – gewährleistet werden.

Sisal-Plantage in der Nähe von Tanga - Copyright: eufrika.org

Sisal-Plantage in der Nähe von Tanga – Copyright: eufrika.org

Ähnlich wie in den sowjetischen Republiken Zentralasiens folgten jedoch bald Pläne seitens der Regierung zum Anbau sogenannter cash crops, vor allem Kaffee, Baumwolle und Sisal. Aber auch mit bis dahin unbekannten Agrarprodukten wie Weintrauben oder Cashewnüssen wurde experimentiert. Die Ergebnisse variierten dabei stark. Während sich Weintrauben wegen schlechter Ernteerträge langfristig nicht durchsetzen konnten, machten manche Regionen überaus positive Erfahrungen mit Cashewnüssen oder anderen Erzeugnissen. Anders als beispielsweise im sowjetischen Usbekistan forcierte man in Tansania jedoch einen exportorientierten Anbau von Rohmaterialien.

Mit Einführung des Villages and Ujamaa Villages Act (VfUV Act) 1975 setzte sich die politische Organisationsstruktur eines Ujamaa-Dorfes aus mehreren Einheiten der kleinsten Verwaltungsebene, der zehn Haushalte umfassenden Zelle (kumi kumi), zusammen. Darüber waren die Dorfversammlung und der Dorfrat, dessen 25 auf fünf Jahre gewählte Mitglieder die „Dorfregierung“ für mindestens 250 Haushalte bildeten, angeordnet.

Der Dorfrat bildete fünf Komitees mit unterschiedlichen Kompetenz- und Aufgabenbereichen, von der Verwaltung der Finanzen bis zur Erarbeitung strategischer Entwicklungsvorhaben. Eine Kontrolle der höheren Entscheidungsträger der Planungskomitees existierte hier nicht.

Politische Partizipation machte ab der Ebene der Dorfversammlung die Mitgliedschaft in der nationalen Einheitspartei obligatorisch. Dies war zunächst die TANU. Später entstand die CCM (Charma cha Mapinduzi), welche 1977 aus dem Zusammenschluss der TANU mit der zanzibarischen Einheitspartei Afro-Shirazi Party (ASP) geformt wurde.

Die flächenmäßig große Ausdehnung Tansanias von knapp 945.000 Quadratkilometern bei dünner Besiedlung erlaubte eine wenig limitierte Verteilung des staatlichen Bodens. Der Staat gewährte seinen Bürgern großzügigen Zugang zu Land. Neben einer festgelegten Fläche, deren Größe von Dorf zu Dorf variierte und zu deren Bewirtschaftung die Bewohner an mehreren Tagen pro Woche verpflichtet waren (Andernfalls drohen vielerorts empfindliche Geldstrafen), war jedem Mann und jeder Frau der Erwerb von mindestens einem acre (≈ ein Morgen) zur Subsistenzproduktion erlaubt. Prinzipiell war eine Begrenzung der maximal in privater Verantwortung zu bearbeitenden Feldfläche nicht vorgesehen. Allerdings ergaben sich aus den genannten Faktoren wie der verfügbaren Arbeitskraft und dem eingeschränkten Zugang zu technischen Hilfsmitteln gewisse Grenzen. Technisches Gerät, Düngemittel, Kraftstoffe und Saatgut wurden zentral verwahrt und aus einer Gemeinschaftskasse angeschafft. Ebenso wurden die mancherorts vorhandenen Nutztiere für die Feldarbeit in kommunalem Besitz gehütet. Ihre Obhut und Pflege rotierte monatlich innerhalb der Familien und wurde finanziell entlohnt.

 

Die soziale Komponente der Ujamaa-Politik

Zusätzlich implementierte Nyerere mit Inkrafttreten der Arusha-Deklaration eine Reihe von Reformen, die nicht primär agrarpolitischer Natur waren, nichtsdestotrotz im Zuge der Ujamaa-Bewegung zunächst an der gesellschaftlichen Basis – bei der ruralen Bevölkerung – ansetzen sollten. So avancierte „Siasa ni Kilimo – Politik ist Landwirtschaft“ zu einem der prägnantesten Slogans der TANU.

Tee-Felder bei Tukuyu - Copyright: Joachim Huber

Tee-Felder bei Tukuyu – Copyright: Joachim Huber

Zwar zielte die Ausrichtung des akademischen Systems bereits ab Beginn der 60er verstärkt auf die Ausbildung agrarökonomischer Experten ab. Auch eine Vielzahl sogenannter Farmer’s Training Centres (FTC) wurde zu diesem Zweck errichtet. Die in diesen Institutionen vermittelten Inhalte verfehlten jedoch die Bedürfnisse der einfachen Landbevölkerung bei Weitem und Hochschulabsolventen sahen ihre Zukunftschancen vor allem in der Verwaltung oder der staatlichen Forschung, beispielsweise im Landwirtschaftsministerium.

Dabei zielte die Bildungspolitik der Ujamaa-Ära ebenso auf Erwachsene ab. Jedes Ujamaa-Dorf erhielt daher ein Gemeinschaftszentrum, in dem regelmäßig Fortbildungskurse angeboten wurden.

 

Probleme bei der Implementierung der Ujamaa-Politik

Die strukturellen Probleme der Ujamaa-Politik Nyereres begannen jedoch bereits auf der niedrigsten Ebene, den Agrarproduzenten in den Ujamaa-Dörfern.

Die Entlohnung (finanzieller oder materieller Natur) einzelner Arbeitskräfte, die gesonderte Funktionen wie etwa Viehhaltung oder den Betrieb des Dorfladens innehatten, schuf bei mehrheitlich unentgeltlicher Arbeit der übrigen Dorfgemeinschaft erste Ungleichheiten. Nicht alle Landeigentümer, die zuvor kapitalistisch gewirtschaftet hatten, verließen das Land. Viele von ihnen unterwarfen sich zwar nominell dem Zwang der Kooperativen, blieben jedoch weit weniger abhängig von der gemeinschaftlichen Produktion als ihre mittellosen Mitbürger, die keine Möglichkeit hatten, sich der zwangsweisen Gemeindearbeit zu entziehen.

Seit kurzem hat sich an den Küsten der Anbau von Seegras zum Export nach Asien etabliert. Obwohl Seegras in vielen asiatischen Ländern als Delikatesse gilt, profitiert nur ein kleiner Teil der tansanischen Bevölkerung von den neuen Märkten - Copyright: eufrika.org

Seit kurzem hat sich an den Küsten der Anbau von Seegras zum Export nach Asien etabliert. Obwohl Seegras in vielen asiatischen Ländern als Delikatesse gilt, profitiert nur ein kleiner Teil der tansanischen Bevölkerung von den neuen Märkten – Copyright: eufrika.org

Der Umstand, dass weiterhin ein Gefälle zwischen wohlhabenden und armen Dorfbewohnern vorherrschte, war wiederum einer gewissen Inkonsequenz der Regierung geschuldet. Zwar durchbrach Nyerere mit der Ujamaa-Politik die dichotome Wahrnehmung von Eigentum im Bezug auf Landrecht und dessen Erwerb, die der europäische Kolonialismus nach Afrika gebracht hatte, indem er durch die Verstaatlichungspolitik einen gewissen Grad an Egalität schuf. Doch betraf die Verstaatlichungspolitik in vielen Regionen nur den Boden, nicht aber die Viehhaltung, was vor allem in (semi-) pastoralen Gesellschaften die traditionellen Besitzrechte und die damit einhergehende soziale Stratifikation aufrecht erhielt.

Gleichzeitig hatten die post-kolonialen Jahre bis zum Inkrafttreten der Arusha-Deklaration eine Schicht progressiver Bäuerinnen hervorgebracht, die im Gegensatz zum Großteil der Landbevölkerung den Modernisierungswünschen der Regierung gefolgt und mit den damit einhergehenden Privilegien gesegnet waren. Dazu zählte vor allem der bevorzugte Zugang zu den eigentlich kollektiv zu nutzenden technischen Geräten.

Allerdings wurden Erscheinungsformen der von Regierungsseite propagierten Modernisierung seitens der Landbevölkerung nicht selten gänzlich abgelehnt. Statt zum Beispiel das moderne Kücheninventar im zentralen Gemeindehaus zu nutzen, vertrauten viele Frauen weiterhin lieber auf ihre traditionellen Holzkohlekocher. Die willkommenen technischen Hilfsmittel wie Traktoren verwahrlosten dagegen zusehend, es fehlte schlicht an geschultem Personal zur Wartung der Maschinen. Dennoch gab es ein durchaus ausgeprägtes Bedürfnis der Bevölkerung, sich einen höheren Lebensstandard anzueignen. Es fehlten schlichtweg die Mittel. Der Anteil der von der Regierung bezahlten Löhne lag durchschnittlich bei marginalen 4,5 Prozent, während die Landbevölkerung (zwangsläufig) ihr traditionell stark ausgeprägtes familiäres Fürsorgesystem weitgehend beibehielt. Im Gegenzug entfielen die Löhne der Ujamaa-Bewohner zu durchschnittlich 80 Prozent auf verwandtschaftliche Beziehungen

Mangels finanzieller Unterstützung in Form von Krediten seitens der staatlich kontrollierten Banken (diese bevorzugten aus genannten Gründen den industriellen Sektor) erlaubten Dorfräte mancherorts reicheren Familien den privat finanzierten Ausbau ihrer Häuser. Während einige Familien ihren relativen Wohlstand auf diese Weise aus eigener Kraft in moderne Vorstellungen von Lebensqualität (meist nach europäischem Vorbild) umsetzen konnten, war die breite Mehrheit der Dorfgemeinschaft auf staatliche Zuneigung angewiesen. Die staatlich auferlegte Egalität weichte mehr und mehr auf.

Aus der verstärkten Polarisierung in Bezug auf Einkommen negative Konsequenzen für die dörfliche Kollegialität zu ziehen, wäre allerdings ein Trugschluss. Vielmehr verknüpfte die Dorfgemeinschaft mit der überdurchschnittlichen finanziellen Stellung einzelner Mitglieder gesteigerte Zugeständnisse, was den traditionellen Moralvorstellungen der Gemeinschaft entsprach. Da besser gestellte Familien den Forderungen nach finanzieller Unterstützung für die weniger Privilegierten in der Regel nachkamen, empfanden die übrigen Dorfbewohner die Ungleichheit selten als eklatanten sozialen Missstand. Die diffamierende Bezeichnung „kulak“, die mit Bezug auf die verbleibenden Großgrundbesitzer Eingang in den Wortgebrauch der Regierung und den allgemeinen sozialistischen Diskurs zu dieser Zeit fand, ist daher äußerst unzutreffend.

Copyright: Sémhur

Copyright: Sémhur

Die gezielte Entwicklung der sogenannten rückständigen Gebiete stellte den tansanischen Sozialismus bald vor eine Reihe weiterer Probleme. So gestaltete sich die infrastrukturelle Erschließung der ruralen Gegenden schwieriger als zunächst erwartet. Die von den Dorfräten eigenständig vorgeschlagenen Entwicklungsstrategien zum Nutzen des gesamten Dorfes konnten mangels finanzieller Unterstützung seitens der Regierung häufig nicht umgesetzt werden und führten in vielen Fällen zu Frustration und Lethargie.

Trotz Bemühungen der TANU, die Attraktivität der ruralen Gebiete mit vielfältigen Angeboten wie einem Steuererlass für die Landbevölkerung, dem Ausbau der Wasserversorgung, medizinischen Einrichtungen oder Grundschulen zu steigern, mangelte es offenbar weiterhin an lohnenden Anreizen, um eine verstärkte Produktivität des Agrarsektors in Gang zu setzen. Im Gegenteil gingen die im Wesentlichen auf Agrargüter beschränkten Exporte zwischen 1967 und 1971 zurück. Nicht zuletzt mangelte es der Bevölkerung an Eigeninitiative, da die Versprechungen der Regierung eine zu hohe Erwartungshaltung geweckt hatten.

Die ersten fünf Jahre der Ujamaa-Politik hatten zusammenfassend keinen nennenswerten Einfluss auf die Produktivität der tansanischen Landwirtschaft. Der Agrarsektor blieb abhängig von Wetter und Welthandel. Zwar verbuchte die Landwirtschaft in den meisten Bereichen Produktionssteigerungen doch die erzielten Gewinne wanderten größtenteils in die Taschen der ausländischen Investoren, die diese repatriierten – der Nutzen für die tansanische Bevölkerung war somit äußerst gering.

 

Operation Dodoma oder die zwangsweise Siedlungspolitik

Vom zunehmend selbstherrlichen Verhalten der Bürokratie selten wirklich über die Bestrebungen der Ujamaa-Politik aufgeklärt, setzte in der Gesellschaft bald eine gewisse Abwehrhaltung gegenüber der sozialistischen Doktrin ein. Die Bevölkerung wurde skeptisch und Nyereres Plan, die Menschen zu freiwilliger Partizipation animieren zu können, scheiterte. Ende 1969 waren landesweit erst 400 Ujamaa-Dörfer entstanden. Die Regierung sah ihre ehrgeizigen Ziele gefährdet und ihre Glaubwürdigkeit zusehends schwinden.

In der Folge begann man ab Beginn der 70er Jahre mit der zwangsweisen, teils gewaltsamen Umsiedlung. Hierbei sei zu betonen, dass Nyerere die Anwendung von Gewalt gegen die eigene Bevölkerung stets ablehnte. Lediglich einzelne Beamte waren überzeugt, darin ein adäquates Mittel zur Implementierung des VfUV Act zu finden.

Stellvertretend für diese neue Phase kann dennoch die Operation Dodoma gesehen werden. Zwischen 1971 und 1972 wurde eine Umsiedlung der gesamten Bevölkerung in der Region Dodoma angepeilt, mit der Vision, mittelfristig die gesamte landwirtschaftliche Produktion über Dörfer nach Ujamaa-Vorbild abzuwickeln. Um die lokale Bevölkerung von seinem Vorhaben zu überzeugen, verbrachte Präsident Nyerere sogar selbst längere Zeit in einer der ersten Vorzeigesiedlungen. In der Tat stieg die Zahl der Ujamaa-Dörfer in der Region Dodoma in diesem Zeitraum rapide von 75 auf 246, landesweit sogar auf fast 5.000.

Derart unpopuläre Maßnahmen wie die zwangsweise Umsiedlung führten jedoch wie zu erwarten zu keinerlei Veränderung in der Grundhaltung der Bevölkerung gegenüber der staatlichen Politik. Im Gegenteil: Die zunehmende Nötigung vergrößerte die Opposition derer, die gegen das sozialistische Projekt eintraten. Vor allem die verbleibenden Großgrundbesitzer wehrten sich hartnäckig gegen die Verstaatlichung ihres Bodens. Dieser Machtkampf gipfelte im Dezember 1971 in der Ermordung eines Regionalbeamten, der mit der Koordination der Ujamaa-Dörfer beauftragt war, durch einen von Enteignung bedrohten Maisbauern. Das Ujamaa-Programm schaffte es folglich nicht, den Individualismus der Landbevölkerung zu durchbrechen.

Dennoch waren bis 1972 fast alle kapitalistischen Agrarbetriebe des Landes verstaatlicht, sodass zu diesem Zeitpunkt schätzungsweise die Hälfte der tansanischen Bevölkerung in Ujamaa-Dörfern lebte. Allerdings verklärt dieser Wert, dass die Mehrheit der Bewohner bereits vor der Verstaatlichung in den Dörfern lebte und diese nunmehr bloß der Ujamaa-Idee angepasst wurden. Die Mehrzahl der Menschen war also lediglich von der systemischen Veränderung, nicht aber von einer Umsiedlung betroffen.

Das angespannte Verhältnis zwischen Dorfbewohnern und Regierung sollte sich bald weiter verschlechtern, als Nyerere 1977 beschloss, in jedem Dorf eine externe Aufsichtsperson zu installieren. Etwa 4.000 sogenannte Manager übernahmen – offiziell als Diener des Dorfes eingesetzt – die Kontrolle der landwirtschaftlichen Produktion. So sollten die Erträge gesteigert und die allgemeine Reichweite des Staates erhöht werden. Anders als häufig beschrieben, zeigten nicht allein die Dorfbewohner „Unverständnis“ für die politischen Richtlinien und Vorgaben. Vielmehr war die Auffassung der eingesetzten Manager häufig alles andere als verständnisvoll gegenüber traditionellen Produktionsformen der Landbevölkerung, die etwa versuchte, entgegen der staatlichen Vorgaben an zyklischer Bewirtschaftung zwischen Ackerbau und Viehzucht festzuhalten. Dieser Umstand findet auch in der einschlägigen Literatur viel zu selten Beachtung.

Frauen verkaufen Kochbananen auf dem Markt von Tangeru - Copyright: Fanny Schertzer

Frauen verkaufen Kochbananen auf dem Markt von Tangeru – Copyright: Fanny Schertzer

Das sicherlich begründete Argument, Nyereres Siedlungspolitik habe einen herausragenden Beitrag zur nationalen Einheit Tansanias geleistet, überwiegt in der allgemeinen Darstellung einen durchaus angebrachten Kritikpunkt: Das Entscheidungsmonopol zu Gunsten der eingesetzten Manager, die durch ihre zumeist akademische Sozialisierung in einem urbanen Umfeld von der Lebenswirklichkeit der ländlichen Bevölkerung weit entfernt waren, machte eine gleichberechtigte Partizipation der Dorfgemeinschaft praktisch unmöglich; die anfänglich etablierte Organisationsstruktur um Dorfräte und Planungskomitees wurde de facto überholt.

Trotz der beabsichtigten Produktionssteigerung des Agrarsektors wollte die TANU eine frühreife Mechanisierung und eine Überkapitalisierung der Landwirtschaft um jeden Preis verhindern. Stattdessen propagierte man angemessene Modernisierung. Diese hatte eine idealisierte Agrargesellschaft zum Ziel, in der möglichst viele Menschen ihr Ackerland mit Hilfe von Hacken kultivieren sollten.

Wieder und wieder beschwor Nyerere die Notwendigkeit bodenständiger Arbeitsweise. Die bleibende Abhängigkeit des tansanischen Agrarsektors von Importen (vor allem Kraftstoffe, aber auch mechanisches Zubehör wie Traktoren) könne nur durch eine allmähliche Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion und darauf aufbauender Exportgewinne ausgeglichen und eines Tages überwunden werden. Auf Grund des mangelnden Potentials zur Steigerung des landwirtschaftlichen Outputs mittels technischer Hilfsmittel sah Nyerere die einzige Möglichkeit zur Bewältigung dieser arbeitsintensiven Herausforderung in der massenhaften Tätigkeit der gesamten Bevölkerung. Nur so könne das nötige Kapital zur Initialzündung langfristiger Modernisierung geschaffen werden.

 

Die Krise zu Beginn der 70er Jahre

Money is the product of development, and not its basis”,

betonte der Präsident 1975 seine unveränderte Überzeugung in einer Rede vor dem Parlament. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die ökonomischen Vorzeichen jedoch grundlegend geändert. Die Ujamaa-Politik Nyereres leitete im Zusammenspiel ihrer gezeigten Schwächen mit externen Faktoren den wirtschaftlichen Niedergang des tansanischen Sozialismus ein. Zu diesen externen Faktoren zählt zunächst die Ölkrise von 1973, die neben erhöhten Importkosten für Kraftstoffe und der damit einhergehenden Lebensmittelverteuerung auch indirekt den tansanischen Haushalt belastete, da ihr rezessiver Einfluss auf die Industrienationen die tansanischen Exporte zurückgehen ließ und den Input an ausländischen Kapital erheblich bremste.

Im selben Zusammenhang stiegen weltweit die Preise für Kaffee und Sisal, die nachwievor die Hauptexporterzeugnisse Tansanias darstellten und herbe Absatzverluste einbüßten. In der Folge hörten viele tansanische Bäuerinnen auf, profitable, jedoch momentan nicht absetzbare Exporterzeugnisse anzubauen und verließen sich stattdessen auf weniger rentable Produkte. Doch auch diese fanden auf Grund der allgemeinen Armut auf dem heimischen Markt kaum noch Abnehmer.

Konkret äußerte sich der ökonomische Niedergang Tansanias in einem drastischen Rückgang des landwirtschaftlichen Wachstums. Erzielte man zwischen 1965 und 1973 noch jährlich durchschnittlich 3,1 Prozent an Zuwachs, fiel dieser Wert von 1973 bis 1980 auf gerade mal 0,2 Prozent. Insgesamt stieg der Anteil der staatlichen Unternehmen am BIP Tansanias von 9,3 Prozent (1966) auf gerade mal 13,51 Prozent im Jahr 1983. Vor diesem Hintergrund erscheint die Verteilung der aus den Exportgeschäften erwirtschafteten Devisen umso fragwürdiger: 1982 flossen 88 Prozent der Devisen an staatliche Unternehmen, wenngleich diese vor allem durch ihre Misswirtschaft auf sich aufmerksam machen konnten.

Letztlich stellte die militärische Intervention Tansanias in Uganda eine zusätzliche Belastung der heimischen Wirtschaft dar.

Hinzu kam eine verheerende Dürre zwischen 1973 und 1974, die nicht nur den Tiefpunkt der seit Ende der 60er Jahre stagnierenden Agrarexporte markierte, sondern auch tausende Todesopfer forderte. Die verheerende Hungerkatastrophe von 1973/74 stellte letztlich das Ergebnis jahrelang anhaltender Dürreperioden dar, deren Auswirkungen eine Vielzahl von Ländern bis ins westliche Afrika zu spüren bekamen.

 

Reaktionismus als Antwort auf die Krise

In einem ersten Schritt ließ Nyerere massenhafte Lebensmittellieferungen der internationalen Gemeinschaft zu, um den akuten Folgen der aus der anhaltenden Dürre entstandenen Hungersnot entgegenzuwirken. Darüber hinaus wurde die National Food Reserve Agency (NFRA) gegründet, die in Zukunft über die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung wachen und gegebenenfalls mit Notrationen eingreifen sollte.

Nichtsdestotrotz hielt die Regierung an der Idee der Ujamaa-Dörfer als primären Agrarproduzenten fest. Mit dem Konzept der Villagization erfolgte zwischen 1973 – und 1976 gar die größte Umsiedlung auf dem afrikanischen Kontinent, an deren Ende fast die gesamte Landbevölkerung Tansanias gezwungenermaßen in Ujamaa-Dörfern lebte. Allerdings verlief die Umsetzung der Villagization weitgehend unkoordiniert. Im Ergebnis variierte die ursprünglich auf 250 Haushalte pro Dorf verordnete Mindestpopulation deutlich. Sowohl die mancherorts entstandene Überbevölkerung, als auch die Unterbevölkerung andernorts legten ein äußerst unvorteilhaftes Fundament für künftige ökonomische Kalkulationen. Produktionsausfälle und mangelnde Versorgungssicherheit waren die Folge, das Ujamaa-Konzept pervertiert.

Diese Versorgungslücken mussten geschlossen werden. Die Frage war, wie. Ein geeignetes Mittel sahen viele Experten darin, die Beschäftigung zu senken und das Land auf diese Weise an die wirtschaftliche Realität anzupassen. Die Folge wäre eine tiefgreifende Rezession gewesen.

Letztlich verfolgte man – nicht unwesentlich unter dem Druck der internationalen Geldgeber – eine gegenteilige Strategie­. Wirtschaftliches Wachstum wurde zur Maxime der Entwicklungspolitik, Rohstoffe und eine verbesserte Effizienz als einzig gewinnversprechende Voraussetzungen gepriesen.

 

Structural Adjustment Policies – Das Ende der Ujamaa-Ära

Mit Implementierung der sogenannten Structural Adjustment Policies (SAPs), die für den Zeitraum von 1982 bis 1986 konzipiert wurden, entschied die Regierung daher zunächst, die tansanische Wirtschaft weiterer Rezession auszusetzen, um die Produktionslücke allmählich zu verkleinern und die Wirtschaft in Grundzügen zu erneuern.

Papaya-Ernte im Rufiji-Distrikt - Copyright: eufrika.org

Papaya-Ernte im Rufiji-Distrikt – Copyright: eufrika.org

Allerdings sollten sich in den ersten Jahren dieser zaghaften SAPs die etablierten Verteilungsmechanismen verhärten. So stieg die Zahl der staatlich kontrollierten Unternehmen auch nach 1982 weiterhin an. Ein endgültiger Wendepunkt des Verstaatlichungsprozesses war erst 1985 erreicht, als schätzungsweise zwischen 400 und 460 Unternehmen in staatlicher Hand waren. Letztlich hatte jedoch das Festhalten an den Privilegien für die Industrie eine Akzentuierung zu Gunsten der Landwirtschaft derart erschwert, dass eine ehrliche realpolitische Neuevaluierung der ökonomischen Wirklichkeit nicht ansatzweise zustande kam.

Mit den großzügigen Finanzspritzen der internationalen Gebergemeinschaft hatte die Regierung jahrelang einen Kollaps des Wirtschaftsstandorts Tansania verhindern können. Die ausländischen Gelder retteten schlicht die nicht überlebensfähigen Betriebe. Entgegen der beabsichtigten strukturellen Anpassung Tansanias an die kapitalistischen Verhältnisse des liberalisierten Weltmarktes, hielten die internationalen Finanzinstitutionen um den Internationalen Währungsfond (IMF), Weltbank und Co. die tansanische Wirtschaft am Tropf der Spendenzahlungen – der Patient wurde künstlich am Leben erhalten, wenngleich die Prognosen für eine selbstständige Genesung denkbar ungünstig waren. Vielmehr schwächte die passive Haltung der internationalen Gemeinschaft das ohnehin angeschlagene Immunsystem der tansanischen Wirtschaft, indem finanzielle Infusionen jeglichen Anreiz zur eigenständigen Erholung unterbunden.

Nicht wenige Ökonomen kommen daher zu dem  Schluss, dass Tansania sich Mitte der 80er Jahre mehr denn je in eine wirtschaftliche Abhängigkeit begeben hatte.

Nichtsdestotrotz schienen die produktivitätssteigernden Maßnahmen in der Folge zu fruchten und die künstlichen Anreize der Ujamaa-Ära nach und nach zu ersetzen. Die Summe der Initiativen, gepaart mit günstigen klimatischen Bedingungen, ermöglichte 1985 ein wiedererlangtes Wachstum des Agrarsektors von 3,4 Prozent, das im Folgejahr sogar auf 8,8 Prozent gesteigert werden und somit gar das Vorkrisenniveau übertreffen konnte.

Dieser Trend verstärkte sich mit der Währungsreform von 1986, die den Tanzania Shilling (Tsh) entwertete und den Import von Konsumgütern folglich begünstigte. Zusätzlich sahen die Regierungspläne eine jährliche Anhebung der Reallöhne um 5 Prozent vor, um die Kaufkraft anzukurbeln und somit die Anreize zur Produktion vor allem im Agrarsektor zu vergrößern. Tatsächlich erzielten tansanische Bäuerinnen zwischen 1985 und 1987 höhere Reallöhne als je zuvor. Möglich war diese Entwicklung jedoch nur durch eine anhaltende Staatsverschuldung.

 

Deals mit der Weltbankgruppe

Zwar ging die großzügige Spendenbereitschaft, die dem Land auf Grund der stabilen menschenrechtlichen Lage jahrelang Hilfszahlungen in Höhe von mehreren hundert Millionen Dollar pro Jahr beschert hatte, ab 1981 allmählich zurück, um den Reformdruck auf die Regierung zu erhöhen. Der Höhepunkt der ausländischen Spendenzahlungen war 1985 mit fast 700 Millionen US-Dollar erreicht.

Als die staatliche Schuldenlast der Regierung jedoch jeglichen Handlungsspielraum zu rauben drohte (Das tansanische Staatsdefizit verdoppelte sich von durchschnittlich 6,5 Prozent [1966 – 1973] auf etwa 13 Prozent zwischen 1974 und 1979), zog Nyerere die Konsequenzen und erklärte 1985 seine Wirkungsmacht als Staatsoberhaupt für beendet. Nach 24 Jahren an der Spitze des Staates übergab Nyerere das Amt an seinen Nachfolger Ali Hassan Mwinyi, war jedoch als Vorsitzender der CCM noch bis 1990 weiter direkt an den politischen Entscheidungen in Tansania beteiligt.

1986 unterzeichnet Staatspräsident Mwinyi ein Abkommen mit der Weltbank, das Economic Recovery Program (ERP). Das ERP leitet die nächste, deutlich progressivere Phase sukzessiver Liberalisierung ein. Die Auswirkungen des ERP sind in den ersten Jahren beachtlich: Bereits ab 1986 übersteigt das Wachstum des tansanischen BIPs das nationale Bevölkerungswachstum – erstmals in der Geschichte des Landes. Der Anstieg der Inflation wird gebremst und auf konstante 29 Prozent gedrückt.

Das ERP setzte in der Folge die wachstumsorientierte Ausrichtung der nationalen SAPs mit internationaler Unterstützung fort und Tansania präsentierte sich wieder als zuverlässiger Investitionsstandort. Um dem nunmehr berechtigten Interesse ausländischer Investoren gerecht zu werden, vergab die tansanische Zentralbank ab 1988 über das Open General Licence System (OGL) Importlizenzen. Allerdings blieben Kraftstoffe und chemische Düngemittel bis 1991 auf dem Importindex – Produkte, die in der Landwirtschaft dringend benötigt wurden. Dennoch erhöhten die Importreformen den Druck auf die heimischen Produzenten, sich dem Wettbewerbsdruck und der Effizienz ihrer internationalen Konkurrenz anzupassen.

All diese Maßnahmen konnten allerdings nicht verhindern, dass die Staatsverschuldung mit der Steigerung des BIPs mithielt, zumal über 90 Prozent der zwischen 1983 und 1990 angehäuften Schulden auf die Zinslast der Darlehen der internationalen Gemeinschaft entfielen. Die Ungleichheit in Bezug auf Zugang zu finanziellen wie materiellen Ressourcen nahm somit gesamtgesellschaftlich sogar weiter zu.

 

Cach Crops als Heilmittel

Die Maßnahmen der Weltbankgruppe hatten insgesamt vor allem auf eine Ausweitung der inländischen Nachfrage forciert, die mit Hilfe gestiegener Reallöhne umgesetzt werden konnte. Die agrarpolitischen Reformen des Economic Recovery Programms (ERP) zielten dagegen hauptsächlich auf eine Steigerung der Exportproduktion ab. Zu diesem Zweck verfolgte man eine weitere Liberalisierung des tansanischen Agrarsektors.

Kaffee entwickelte sich bald zu einem der lukrativsten Erzeugnisse. Die starken Preisschwankungen auf dem Weltmarkt machten den Anbau jedoch für viele zum Risiko - Copyright: advencap

Kaffee entwickelte sich bald zu einem der lukrativsten Erzeugnisse. Die starken Preisschwankungen auf dem Weltmarkt machten den Anbau jedoch für viele zum Risiko – Copyright: advencap

Hierbei spielte die Reform der Erzeugerpreispolitik eine zentrale Rolle. Die generelle Anhebung der Reallöhne unter der Politik des SAPs um jährlich 5 Prozent sollte nach der Vorstellung der Weltbank für die Produzenten von cash crops auf stolze 60 – 70 Prozent erhöht werden. Dies bedeutete einen gewaltigen Anreiz für tansanische Bäuerinnen, sich auf den Anbau solcher Erzeugnisse zu konzentrieren.

Ein weiteres Ziel des ERP lag in der Organisation der Vermarktung von Lebensmitteln, weg von den staatlichen marketing boards, hin zu privatisiertem Handel. Ermöglicht wurde dies durch die allmähliche Aufhebung der staatlich festgelegten Preise.

Dabei kam die zu beobachtende Preissteigerung für derartige Produkte auf dem Weltmarkt den heimischen Produzenten jedoch nur bedingt zu Gute. Die zuvor staatlich verwaltete Misswirtschaft der Vertriebskooperativen wurde nunmehr durch private Händler ersetzt, die sich die Unkenntnis der Bäuerinnen in vielen Fällen zu nutzen machten und die erzielten Gewinne – entsprechend ihrer kapitalistisch-kaufmännischen Prämisse – teilweise zu weniger als die Hälfte an ihre Lieferanten, die tansanische Landbevölkerung, weitergaben.

Dennoch hielten viele Bäuerinnen weiter am Anbau von Exporterzeugnissen fest, da gleichzeitig die Weltmarktpreise für andere in Tansania angebaute Agrarprodukte fielen. Die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise verschoben sich in der Folge entsprechend dem Wunsch der internationalen Finanzinstitutionen zu Gunsten der Exportgüter. Auch die durchschnittliche Preisdifferenz zwischen Weltmarktniveau und der Entlohnung für staatlich aufgekaufte Ernten verringerte sich ab 1989 auf nur noch 20 Prozent, wobei der Wert für manche Grundnahrungsmittel wie Reis nachwievor bei knapp 80 Prozent lag.

Die Reisfelder in Keyla decken nicht annähernd den Bedarf. Bis heute Tansania auf den Import von Grundnahrungsmitteln angewiesen - Copyright: IRRI Images

Die Reisfelder in Keyla decken nicht annähernd den Bedarf. Bis heute bleibt Tansania auf den Import von Grundnahrungsmitteln angewiesen – Copyright: IRRI Images

Eine autarke Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln wurde auf diese Weise indes keineswegs erreicht. Im Gegenteil: 1989 betrug die Summe der Lebensmittelimporte mit rund 81 Millionen US-Dollar immer noch mehr als die Hälfte der gleichzeitig erzielten Einnahmen durch den Export von Kaffee und Baumwolle. Langfristig verschob sich dieses Verhältnis immer weiter, sodass zehn Jahre später bereits Lebensmittel im Wert von über 230 Millionen Dollar importiert werden mussten, während Kaffee und Baumwolle zusammen nur noch knapp über 100 Millionen Dollar Einnahmen generierten.

Dieser Umstand ist vor allem mit einem generellen Verarbeitungsengpass zu erklären. Die häufig unzureichende Auslastung der Vermarktungsstrukturen nötigte viele Agrarproduzenten dazu, ihre Erzeugnisse zu Ramschpreisen zu verkaufen. Die daraus resultierende Angst, die erzielten Preise reichten nicht für die Versorgung der Familie aus, führte dazu, dass viele Bäuerinnen wieder zur Subsistenzwirtschaft übergingen: Seit Mitte der 90er Jahre sind laut Regierungsangaben nachwievor etwa 80 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt.

Insgesamt ist in den ersten Jahren der post-sozialistischen Reformierung ein eindeutiger Schwerpunkt auf der ökonomischen Umstrukturierung zu erkennen, während die sozialen Bereiche weitgehend ausgespart wurden. Dies entsprach dem zeitgenössischen Verständnis der IFIs gegen Ende der 80er Jahre, die ihren Auftrag vorrangig in der wirtschaftlichen Stabilisierung sahen.

 

Die wirtschaftliche Abhängigkeit bleibt

Das grundlegende Problem der Ujamaa-Politik bestand in ihrer wenig strukturierten Herangehensweise oder wie der ehemalige Planungsminister für wirtschaftliche Entwicklung, Abdul Rahman Mohamed Babu, es rückblickend formulierte:

That we failed to achieve those lofty objectives cannot be blamed on the Arusha Declaration or Ujamaa itself but rather on the mistaken order of priorities. What we should have tackled last was given top priority and what should have come first was consequently never attempted.”

Während Nyerere bis zuletzt an die Richtigkeit seiner sozialistischen Vision glaubte, hatte die ökonomische Politik Tansanias mit der Abhängigkeit von internationalen Preisschwankungen über gut zwei Jahrzehnte eine grundlegende Anfälligkeit beibehalten. Die ab der Verabschiedung der Arusha-Deklaration implementierten Reformen konnten keine ausreichenden Gegengewichte zum allmählichen ökonomischen Niedergang des Landes aufbringen.

Planen für den Ernstfall: Immer noch müssen internationale Hilfsorganisationen bei gelegentlich aufkommenden Ernteausfällen in Folge von Dürre einspringen - Copyright: Khalfan Said

Planen für den Ernstfall: Immer noch müssen internationale Hilfsorganisationen bei gelegentlich aufkommenden Ernteausfällen in Folge von Dürre einspringen – Copyright: Khalfan Said

Allerdings verzeichnete auch der Agrarsektor des eindeutig kapitalistisch orientierten Nachbarlandes Kenia ab Beginn der 70er Jahre eine nahezu parallele Entwicklung. Eine starke Dependenz der jungen Nationalstaaten, die in der Tradition der kolonialen Wirtschaftsordnung primär exportorientiert blieben, erscheint daher wahrscheinlich. Der dramatische Rückschlag für die tansanische Ökonomie lässt sich also nicht per se mit der sozialistischen Ausrichtung erklären.

Vielmehr verriet die Regierung mit der selektiven Verteilung von Privilegien von Anfang an ihre sozialistischen Ideale. Egalität existierte in vielen Bereichen nur auf dem Papier. In der Praxis wurden einzelne Produzenten bevorzugt, woraus zwangsläufig soziale Ungleichheiten entstanden und traditionelle Disparitäten konserviert wurden. Die Regierung entzog sich zunehmend die eigens geschaffene Legitimität ihrer sozialistischen Vision. Auch die Fehleinschätzungen seitens der Regierung summierten sich in der Folgezeit.

Das Ujamaa-Konzept sollte sich trotz der demonstrativen Bodenständigkeit Nyereres bald als elitäres Konstrukt entpuppen, das mit der Lebenswirklichkeit der Landbevölkerung wenig konform war. Die paradoxe Annahme, ein von Beamten kontrollierter Staat verfüge über die nötigen Kenntnisse, eine primär landwirtschaftlich ausgerichtete Ökonomie adäquat zu verwalten, erscheint rückblickend eindeutig fehlgeleitet. Die Ujamaa-Ordnung war von Anfang an äußerst anfällig für Vetternwirtschaft und Korruption. Während auf den untersten Ebenen der Dörfer die mangelnden Kontrollmechanismen dazu einluden, die von staatlicher Seite vorgeschriebene Produktionsweise zumindest teilweise zu umgehen, begünstigte die übergeordnete Administration dieses Phänomen weiter: Kontrolle und Überwachung des Staates hemmten jegliche bürgerliche Eigenständigkeit, was vor dem Hintergrund propagierter Autarkie besonders fragwürdig erscheint. Tansania erlebte unter Nyerere eine Bürokratisierung statt der erhofften agrarökonomischen Revolution.

Mit Vereinbarung der internationalen Abkommen zog sich der tansanische Staat faktisch mehr und mehr aus der Landwirtschaft zurück. Stattdessen kehrte man zur Doktrin der frühen post-kolonialen Jahre zurück und propagierte wieder die unabdingbare Notwendigkeit einer industrialisierten Wachstumsgesellschaft. Dabei wiederholte sich ebenso die einladende Öffnung der tansanischen Wirtschaft für ausländische Investoren, wie sie die post-koloniale Regierung der TANU anfänglich verfolgt hatte. Die liberale Wirtschaftsausrichtung ließ den Industriesektor in der Tat an Bedeutung gewinnen, blieb jedoch weiterhin auf Export ausgerichtet. Dies betrifft angesichts der historischen Erfahrungen mit Hunger und Mangel paradoxerweise auch den Lebensmittelmarkt. Im Zeitraum von 1987 bis 2003 lag die Wachstumsrate des tansanischen Agrarsektors zwar bei durchschnittlich 3,7 Prozent. Dennoch importiert Tansania bis heute weiterhin Grundnahrungsmittel wie Reis, während gleichzeitig drei Viertel der urbaren Fläche Tansanias brach liegen.

Maissäcke der UN erinnern an die Abhängigkeit Tansanias von internationalen Gebern - Copyright: eufrika.org

Maissäcke der UN erinnern an die Abhängigkeit Tansanias von internationalen Gebern – Copyright: eufrika.org

Das weitgehend ungenutzte Potential des tansanischen Agrarsektors hängt dabei maßgeblich mit dem Beibehalt der Hackenbewirtschaftung zusammen, die eine großflächige Anbauweise unmöglich macht. Diese rückständige respektive traditionelle Bewirtschaftung im Agrarsektor ist somit Symptom und Grund der ruralen Armut zugleich. Während sich der tansanische Agrarsektor dem Export verschrieb, wurden dringend benötigte Komponenten, die eine langfristige, auf Überschüssen basierte Exportwirtschaft ermöglichen könnten, für die heimischen Produzenten unerschwinglich. So ging die Zahl der Traktoren landesweit deutlich zurück, von etwa 18.000 auf weniger als 6.000 in den vergangenen zwanzig Jahren.

Nichtsdestotrotz hielt die Regierung zumindest nominell lange Zeit an der Landwirtschaft fest, der Leitspruch “Kilimo kwanza” (“Landwirtschaft zu erst”) wird bis heute von Regierungsseite propagiert. Auch im post-sozialistischen Tansania wurde dem Agrarsektor unter der federführenden Leitung der internationalen Finanzinstitutionen eine besondere, nunmehr jedoch auf den Export von cash crops ausgerichtete Bedeutung beigemessen. Doch angesichts schwankender Weltmarktpreise und mangelnder Auslastung verfehlte auch diese Empfehlung ihr Ziel. Letztlich öffneten SAPs und ERP den privaten, vornehmlich ausländischen Investoren Tür und Tor. Diese interessieren sich jedoch zunächst kaum für die tansanische Landwirtschaft. Selbst wenn der Privatbesitz also heute wieder das vorherrschende Eigentumsverhältnis in Tansania darstellt, tendiert die rurale Bevölkerung mangels lohnender Perspektiven dazu, ihr Land zu verlassen, um sich stattdessen auf der Suche nach rentablen Arbeitsbedingungen und – angelockt von den Verheißungen der kapitalistischen Moderne – in die Städte zu bewegen.

Weder die Ujamaa-Politik Nyereres, noch die angestrengten Reformbemühungen der post-sozialistischen, liberal gefärbten Ära orientierten sich ausreichend an den Bedürfnissen der tansanischen Landbevölkerung. Vielmehr wiederholten IMF, Weltbank und Co. bei ihren konzeptuellen Überlegungen einige grundlegende Fehleinschätzungen, die den tansanischen Sozialismus schließlich in seine existenzbedrohliche Schieflage gebracht hatten. Hierzu zählen vor allem die Missachtung des Modernisierungsverständnisses der Bevölkerung, welches auch wesentlich landwirtschaftliche Anbaumethoden beinhaltet, und die Flexibilität des globalen Handels.

Bis heute veranschaulicht die tansanische Landwirtschaft auf groteske Weise, in welchem Ausmaß schwankende Preise für Agrarprodukte bei stetig steigenden Kosten für Konsumgüter einen fragilen, da auf dem geringfügig lukrativen Export weniger Erzeugnisse orientierten Wirtschaftsstandort beeinflussen können. Auch 50 Jahre nach der staatlichen Unabhängigkeit verharrt der Großteil der Menschen in Tansania daher in einer wirtschaftlichen Abhängigkeit.

 

Im nächsten Teil unserer Reihe beleuchten wir, wie sich die Phase allmählicher Liberalisierung in der jüngsten Vergangenheit Tansanias seit Beginn der 90er Jahre zugespitzt hat. Dazu werfen wir einen Blick auf die zunehmende Landnahme internationaler Investoren, die bleibende Armut der Landbevölkerung und die damit einhergehende Flucht in die urbanen Zentren.

 

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Marius Münstermann is based in Berlin where he works as a freelance journalist. Marius serves as editor-in-chief at eufrika.org.

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