Filmtipp: “Madiba” von Khalo Matabane

Wednesday 23rd, April 2014 / 16:46 Written by

 

arte.tv: Madiba

arte.tv: Madiba

Heute um 21.45 Uhr zeigt der deutsch-französische TV-Sender Arte den Dokumentarfilm “Madiba – Das Vermächtnis des Nelson Mandela” des südafrikanischen Filmemachers Khalo Matabane.

Der Film begleitet Matabane auf seiner Spurensuche nach dem Menschen Nelson Mandela hinter der Ikone des Freiheitskämpfers, der zum Versöhner und Vater einer Nation wurde, den viele Südafrikaner liebevoll “Tata Madiba” nennen. Die Klammer des Films bildet ein Brief, den Matabane über Jahre hinweg an Mandela geschrieben hat und in dem er sein sich wandelndes Verhältnis zu ihm beschreibt: Von der Sagengestalt, die alle Demütigungen rächen würde und die der Siebenjährige sich als eine Art Zentaur vorstellte, über den Mann, dessen Freilassung aus dem Gefängnis und anschließende Versöhnungsstrategie den Jugendlichen tief beeindruckte, bis zum zweifelnden Bild 20 Jahre nach der Wahl Mandelas zum Präsidenten. Die Figur Mandela hat seinen Peinigern vergeben und sich mit ihnen versöhnt – doch kann der Mensch Mandela ihnen auch verziehen haben? Hieraus speist sich der zentrale Diskurs des Films: Folgt aus Versöhnung automatisch Vergebung? Was ist Versöhnung, was Vergebung, und auf welcher Grundlage wird vergeben? Ist Versöhnung nachhaltig, wenn sie ohne Wiedergutmachung, ohne Verurteilungen und quasi per Dekret erfolgt – Armut, Leid und Ungerechtigkeit aber weiterhin vorherrschen? Und wie geht man mit seiner Wut um?

Versöhnung eines Landes – aber individuelle Vergebung?

Nach dem Prolog kommen in den Kapiteln Freiheit, Versöhnung und Vergebung die unterschiedlichsten Menschen zu Wort, viele berühmte Politiker und Intellektuelle, aber etwa auch Charity Kondile, deren Sohn 1981 vom Apartheid Regime entführt, gefoltert und umgebracht wurde. Seine Mutter erfuhr davon neun Jahre später aus einem

Das Vermächtnis des Nelson Mandela, erschienen bei Haffmans-Tolkemitt

Das Vermächtnis des Nelson Mandela, erschienen bei Haffmans-Tolkemitt

Zeitungsartikel und weigert sich, den Tätern zu vergeben. Der Anti-Apartheid-Aktivist Albie Sachs hält “das Symbol Mandela [für] wichtiger als den Menschen selbst” und betont, wie wichtig die Versöhnung war, um einen Bürgerkrieg zu verhindern. Die südafrikanische Autorin Pumla Gquola dagegen sagt: “Versöhnung und Vergebung ohne Gerechtigkeit sind ungerecht.” Auch Matabane beschreibt seine Zweifel: “Ich fühle mich manchmal so wütend und mutlos, dass ich mich frage, ob Krieg und Revolution nicht besser gewesen wären. Ist ein schmutziger Kompromiss besser als Krieg?”

Es schließen sich Reflektionen verschiedener Intellektueller an, etwa Wole Soyinka, Nurrudin Farah oder auch Ariel Dorman, der zuletzt zu dem Schluss kommt: “Diejenigen, die mehr durchgemacht haben, sehen mehr. Mandelas Augen sind weit offen.” Er sagt aber auch: “Wenn jeder Präsident würde, wäre es für alle leicht, zu vergeben.” Der Dalai Lama spricht von Frieden, Liebe und Versöhnung – dazwischen schneidet Matabane ein Interview mit Greg Marinovich, der die Ausschreitungen der frühen 1990er Jahre fotografisch dokumentiert hat und nicht an Vergebung ohne Gerechtigkeit glaubt.

Im Epilog schließlich zeigt Matabane Bilder des heutigen Südafrika: Einer kommerzielle Farm mit Bewässerungssystem stellt er ein Dorf gegenüber, in dem die Menschen ihre Unterwäsche in der Öffentlichkeit waschen müssen, weil Armut und Wasserknappheit herrschen. Hier kommen auch Jugendliche aus Kapstadt zu Wort, die sagen: “Ich kann alles werden, was ich will. Aber gleichberechtigt sind wir nicht. [...] Mandela geht nicht hungrig ins Bett, sein Gesicht ist auf den Geldscheinen.”

“Es ist so viel passiert in Südafrika – aber so vieles ist auch nicht passiert.”

Matabane reflektiert am Ende des Films: “Die Menschen sind ungeduldig und fordern echte Freiheit. Ich spüre, dass wir auf einer Zeitbombe sitzen.” Im Gespräch führt er den Gedanken fort: “Es ist so viel passiert in Südafrika – aber so vieles ist auch nicht passiert.” Es sind Gedanken wie diese, die im Vorfeld der Wahlen am 7. Mai viele Südafrikaner umtreiben. Dass kein einziger aktiver Politiker des ANC für ein Interview zur Verfügung stand, korrespondiert mit der Distanz, die viele Wähler zu ihrer Regierungspartei spüren. Matabane ließ sich bei der Pressevorführung seines Films in Berlin weder zu Wahlprognosen hinreißen, noch ging er explizit auf das derzeitige politische Klima in Südafrika ein. Er sagte jedoch im Anschluss, dass es gerade sehr spannend sei und er noch nie so gerne in Südafrika gelebt habe wie jetzt.

Buch zum Film

Die Berliner Produktionsfirma Gebrüder Beetz hat den vielfach ausgezeichneten Regisseur bei der Umsetzung seines multimedialen Projekts unterstützt. Alle Interviews, die im Film nur in Ausschnitten gezeigt werden, erscheinen im gleichnamigen Buch, zusammen mit kurzen Biografien der Befragten. So wird des Gesagte in einen größeren Zusammenhang gesetzt, und der Zuschauer/Leser lernt die Menschen hinter dem Gesagten kennen.

Das gleichnamige Buch lässt knapp dreißig bedeutende Persönlichkeiten – internationale Politiker, Künstler, Aktivisten, Weggefährten und Apartheid-Opfer – zu Wort kommen, die ihn kannten oder die er beeinflusst hat. Entstanden ist das facettenreiche Porträt eines der größten Menschen unserer Zeit, das voller Bewunderung ist, aber auch kritische Punkte anspricht und Mandelas Botschaft von Vergebung und Versöhnung auf ihre gegenwärtige Bedeutung hin prüft.” (Verlag Haffmans-Tolkemitt)

MADIBA. Das Vermächtnis des Nelson Mandela
Deutsch von Andreas Simon dos Santos und Nicolai von Schweder-Schreiner, erschienen bei Haffmans-Tolkemitt

Gebunden mit Schutzumschlag, HardcoverPlus (inkl. E-Book). 288 Seiten, 13 x 21 cm, 22,95 €

ISBN 978-3-942989-68-8

Diesen Artikel empfehlen bei:
  • Facebook
  • Twitter
  • MisterWong
  • Google Bookmarks
  • del.icio.us

eufrika on Facebook