Ugali mit Hackfleischsoße – Freiwilligendienst andersherum
Für viele ist immer noch klar – Freiwilligendienste sind für junge Leute aus reichen Ländern, die nach dem Abi Gutes tun wollen. Das dann vornehmlich im globalen Süden. Doch wieso nicht einfach mal anders herum? Das dachte sich auch der Verein Zugvögel e.V.. Der Verein organisiert Freiwilligeneinsätze in Süd-Nord-Richtung. Eine der Freiwilligen kommt aus Ruanda und arbeitete ein Jahr im Jugendmuseum Berlin-Schöneberg.
“Ich fühle mich wie die Botschafterin meines Landes”
Ugali mit Hackfleischsoße. Das, sagt Marthe, wird sie auch Zuhause kochen, wenn sie wieder dort ist. Der besonders in Ostafrika als Grundnahrungsmittel bekannte Maisbrei kombiniert mit des Deutschen liebster Spaghettisoße – wenn das kein erfolgreicher, interkultureller Austausch ist!
Die zierliche junge Frau lacht herzhaft, als sie das erzählt. Marthe Uwababyeyi kommt aus Ruanda und lebt zum ersten Mal außerhalb ihres Landes. Sie sei sehr froh, dass sie diese Auslandserfahrung machen durfte, sagt sie. Und freut sich nach diesem Jahr doch wieder auf Zuhause. Umringt von Postkarten, Kaffeebohnenpäckchen und Bildern ihrer Familie sitzt sie in einem großen Korbsessel. „Das hier ist mein Zimmer“, sagt sie stolz. Natürlich nicht ihr richtiges. Das sei bei der Gastfamilie in Grünau. „Wir haben hier eine Ausstellung im Museum. Die heißt „Villa Global“. Die „Villa“ hat 14 Zimmer. Und jedes Zimmer ist von jemandem eingerichtet worden, der in Deutschland lebt, aber dessen Wurzeln aus einem anderen Land sind.“ Da diese Beschreibung für das vergangene Jahr auch auf sie zu traf, durfte sie sich ebenfalls präsentieren. Sie habe sich ein wenig als „Botschafterin ihres Landes“ gefühlt sagt die 24-jährige und grinst. „Viele der Kinder, mit denen ich gearbeitet habe, haben gar nicht verstanden, warum ich überhaupt wieder zurück nach Ruanda gehe. Sie hatten wirklich ein furchtbar trauriges Bild von meinem Land.“ Sie sei daher sehr froh, dass sie den Kindern durch ihre persönliche Begegnung etwas anderes aufzeigen konnte. Ganz besonders, da die Ausstellung zeigen soll, dass es eben nicht darum geht, woher jemand kommt, sondern um den Menschen selbst.
Doch nicht nur mit dem Zimmer hat sie ein Jahr lang interkulturelle Arbeit geleistet. Jeden Tag veranstaltete sie Workshops mit den Kindern. Nicht selten stand sogar Improvisationstheater auf dem Programm. Das, so sagt sie begeistert, habe ihr besonders viel Spaß gemacht.
“Unser Ziel ist es, den institutionalisierten Rassismus zu bekämpfen”
Dass sie überhaupt die Möglichkeit hatte, das soziale Jahr in Berlin zu machen, ist dem Verein Zugvögel e.V. zu verdanken. Seit 2012 vermittelt der Verein Einsätze von Menschen aus dem so genannten “globalen Süden” nach Deutschland. Der Verein besteht vornehmlich aus ehemaligen Weltwärts-Rückkehrer*innen, die das klassische Freiwilligenjahr in Afrika, Asien oder Latein-Amerika verbracht haben. Viele von ihnen studierten nach ihrer Auslandserfahrung Sozialwissenschaften. Und fingen an zu hinterfragen, wieso die Einsätze immer nur in die eine Richtung gehen. Auf ihrer Internetseite sagen sie, sie wollten dem institutionalisierten Rassismus entgegenwirken. Ihre Idee ist es, eine gleichwertige Teilhabe aller Menschen zu ermöglichen, sich zu engagieren. So heißt es in ihrem Selbstverständnis: “Wir sind der Überzeugung, dass im Kontext des Kolonialismus etablierte Machtverhältnisse bis heute bestehen und daher kritisch betrachtet werden müssen. Diese äußern sich unter anderem in der Tatsache, dass es der Mehrheit der Menschen verwehrt wird, sich global frei zu bewegen. Durch die Zusammenarbeit mit Partnerstrukturen, die in den Entsendeländern eigenverantwortlich agieren, soll die Anwendung eines westlichen Blickwinkels bei der Auswahl der Freiwilligen sowie bei der Vor- und Nachbereitung ihres Aufenthalts vermieden werden.”
Über eine dieser Partnerorganisationen, dem ruandischen Verein Akanyoni Kaguruka, bewarb sich auch Marthe und bekam einen Platz. Mit ihr durften dieses Jahr noch sechs weitere junge Erwachsene, unter anderem aus Ecuador und Uganda, nach Deutschland. Jeder arbeitet in einem anderen Projekt. Die Einsatzstellen sind dabei überall in Deutschland verteilt. Jedes Freiwilligenjahr beginnt und endet mit einem Treffen der Freiwilligen. Ein Jahr, dass sie persönlich weiterbringt. Nicht nur was die Sprache angeht. Sie würde natürlich erst einmal ihr Studium in „Banking and Finance“ beenden, stellt Marthe klar. Parallel wolle sie zudem jedoch versuchen nach Theatern Ausschau zu halten. Denn sie wolle ihre neu gewonnene Leidenschaft pflegen. Doch besonders die Arbeit mit den Kindern habe ihr großen Spaß gemacht. „Mein Berufswunsch war immer Managerin bei einer Organisation zu werden. Aber nach diesem Jahr könnte ich mir auch sehr gut vorstellen einen Job im Sozialwesen zu suchen, um mit Kindern weiterarbeiten zu können.“
“Nach diesem Jahr weiß ich nun zum Beispiel, dass Deutsche nicht so gern ihr Essen teilen.”
Es ist aber auch ein Jahr, dass nicht nur mit der persönlichen Erfahrung endet. Diejenigen, die nach Deutschland kommen sind gleichzeitig auch Mediator*innen. Auch sie haben nun die Chance zwischen den Welten zu vermitteln, Vorurteile oder Stereotypen entweder zu entkräften oder aber zu bestätigen. So hat Marthe nicht nur ein anderes Bild Afrikas den Kindern in Berlin aufgezeigt. Sie will auch versuchen, ihren Landsleuten ein etwas realistischeres Bild von Europa zu zeichnen. „Wir haben voneinander wirklich einfache Vorstellungen und hohe Erwartungen. Das liegt wohl an den Medien. Aber so einfach ist es eben nicht. Durch Zugvögel konnte auch ich als Afrikanerin einmal Erfahrungen außerhalb meines Kontinents sammeln. Denn so, wie die Freiwilligen aus Deutschland ihren Freunden und Familien besser berichten können wie zum Beispiel Ruanda für sie ist – besser als ich das vielleicht könnte - so kann auch ich authentischer von meinen Erfahrungen erzählen, wenn ich wieder Zuhause bin. Denn jeder weiß ja viel besser, was die eigenen Leute als „komisch“ oder „anders“ empfinden und warum. Und kann es dann auch besser erklären.“
Wenn sie zurück geht habe sie nun Einiges, was sie erzählen könne. Sie wisse nun zum Beispiel, dass Deutsche nicht so gerne ihr Essen teilen und der Maisbrei Ugali damit aus ihrer Nahrungskette fällt. Und, dass es selbst hier Obdachlose gibt. Und, dass die Deutschen nicht immer auf der Straße hektisch und geschäftig herum rennen und gar nicht ganz so grummelig sind, wie ihr viele, bevor sie nach Deutschland ging, prophezeit hatten.
Wer die Idee von Zugvögel unterstützen möchte, kann sich jetzt für die nächste Runde Freiwilliger als Gastfamilie zur Verfügung stellen. Der Verein sucht gerade aktiv. Wer keinen Freiwilligen aufnehmen kann, hat viele andere Engagierungs- und Unterstützungsmöglichkeiten. Einfach auf http://www.zugvoegel.org/de/ gehen und sich informieren.