Frieden im Kongo? Was die Kapitulation der M23-Rebellen in Nord-Kivu bedeutet
Die Nachricht liest sich zunächst wie ein Wunschtraum hoffnungsfroher Idealisten: Im unwegsamen Osten der Demokratischen Republik Kongo strecken die Anhänger der gewalttätigen Rebellenbewegung des “23. März” (M23) vor einer robust auftretenden UNO-Truppe die Waffen. Ist das tatsächlich ein Durchbruch?
Die ersten medialen Reaktionen legen es zumindest nahe: Eine Welle der Erleichterung durchläuft die deutschsprachige Presse. “Rebellengruppe M23 gibt auf”, titelten Tageszeitungen und Nachrichtenseiten Anfang November in wenig variierten Formulierungen. Ungewöhnlich: Inmitten des NSA-Skandals und der laufenden Berliner Koalitionsverhandlungen steht in Deutschland plötzlich die Lage im Osten der Demokratischen Republik Kongo ganz oben auf der Agenda. Das Ereignis schafft es in nicht wenigen Tageszeitungen sogar bis auf die Titelseite. Woran liegt das?
Die Gründe liegen auf der Hand: Die Kapitulation einer einzelnen Aufständischengruppierung im Grenzgebiet zu Uganda und Ruanda weckt in Deutschland Hoffnungen auf ein rasches Ende von Gewalt und Massenflucht in einer – aus deutscher Sicht – höchst unübersichtlichen Weltregion. Der Kontrast ist stark, die Chancen für die Kongo-Berichterstatter sind groß: Dabei ist die neue Aufmerksamkeit wohl ebenso ungewöhnlich wie flüchtig.
Bislang ließ sich “der Kongo” meist nur im Sog starker Schlagworte wie “Rohstoff-Fluch”, “Kindersoldaten”, “Flüchtlingsströme”, “Massenvergewaltigungen” und einer “nicht enden wollenden Gewalt” in den Sichtkreis einer breiteren deutschen Öffentlichkeit hieven. Jetzt schwört eine gefährlich klingende Rebellenbewegung überraschend schnell dem bewaffneten Kampf komplett ab. Wie erklären deutschsprachige Medien ihren Lesern das Ereignis und seine Perspektiven? Und: Welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen?
Ein kurzer Rundblick liefert reichlich Ansatzpunkte: Kurzfristig scheint die gesamte deutsche Medienlandschaft, die Kapitulation der M23-Kämpfer zum Anlass zu nehmen, in eine intensive Auseinandersetzung mit dem Regionalkonflikt einzusteigen: Die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” zum Beispiel sortiert das Geschehen intern unter “Politik/Ausland/Afrika” ein und bringt eine vergleichsweise knappe Analyse von Thomas Scheen, der für die FAZ in Johannesburg als “politischer Korrespondent für Afrika” tätig ist. Scheen bemüht sich zunächst darum, die Siegesmeldung zunächst in einen größeren Bedeutungsrahmen einzuordnen.
Der Sieg über den M23 ist der erste militärische Erfolg der kongolesischen Armee über eine Rebellengruppe seit mehr als 20 Jahren”,
fasst er zusammen und erklärt:
Die Kapitulation der Rebellen ist das Resultat einer mit erstaunlicher Geschwindigkeit vorgetragenen Offensive der kongolesischen Armee, die keine zehn Tage dauerte und in deren Verlauf den Rebellen nahezu täglich schwere Niederlagen beigefügt wurden.” (Scheen, FAZ.net, 2013)
Welche Rolle spielt Washington?
Offenbar sei der schnelle Sieg über die Rebellen “nicht nur einer neuen Kommandostruktur der kongolesischen Armee sowie der Unterstützung durch die Vereinten Nationen geschuldet”, so Scheen weiter, sondern auch “massivem internationalen Druck auf die ruandische Regierung”.
Der FAZ-Korrespondent verweist in diesem Zusammenhang auf Gerüchte über eine vehemente Einflussnahme der USA: “Nach Informationen aus Kinshasa soll der amerikanische Außenminister John Kerry unmittelbar nach Beginn der Offensive der kongolesischen Armee den ruandischen Präsidenten Paul Kagame telefonisch vor einer weiteren Unterstützung des M23 gewarnt haben.”
Ab sofort “rein politisch”
“Der Krieg der M23-Rebellen in der Demokratischen Republik Kongo ist vorbei”, notiert dagegen Dominic Johnson in der “Taz”. In einer ersten Zusammenfassung konzentriert sich der Chef des Taz-Auslandsressorts – ein ausgewiesener Kenner der Verhältnisse in der Region – auf ein zentrales Schriftstück von M23-Anführer Bertrand Bisimwa aus der ugandischen Hauptstadt Kampala:
“Die M23 habe beschlossen, ‘durch rein politische Mittel die Lösung der tiefgehenden Probleme zu suchen, die zu ihrer Entstehung geführt haben’, so Bisimwa in seiner schriftlichen Erklärung. Der M23-Generalstabschefs und alle M23-Kommandanten seien aufgefordert, ‘ihre Einheiten für den Prozess der Entwaffnung, Demobilisierung und sozialen Reinsertion vorzubereiten, dessen Modalitäten mit der Regierung der Demokratischen Republik Kongo zu vereinbaren sind.’” (Johnson, Taz.de, 2013)
Der Sieg der Regierung und das Ende der M23 sollen nun “aus Sicht der internationalen Kongo-Diplomatie” einen Friedensvertrag in Kampala ermöglichen, “der das Schicksal der M23-Soldaten und -Kommandanten regelt und politische Forderungen der Rebellen berücksichtigt”. Johnson geht allerdings davon aus, dass sich dabei schon jetzt neue Probleme abzeichnen:
“In Kongos Hauptstadt Kinshasa dürfte nun aber der Druck auf die Regierung von Präsident Joseph Kabila wachsen, jetzt nichts zu unterschreiben, was auch nur im Entferntesten nach einer Konzession an die Rebellen aussieht.”
Was kommt nach der M23?
Ein schneller Weg in einen dauerhaften Frieden ist Johnsons Meinung nach noch nicht abzusehen. Mit der Kapitulation der Gruppierung M23 sei lediglich eine von “40 bis 55 bewaffneten Gruppen im Ostkongo” besiegt, schreibt Johnson. Die übrigen Aufständischen seien für die Regierung in Kinshasa schwerer greifbar:
“Während es ein Leichtes war, die kongolesische Nation gegen die als Marionette des Auslands dargestellte M23 zu vereinen und dafür UN-Hilfe anzufordern, wird sich das in dieser Form mit anderen bewaffneten Gruppen nicht wiederholen.”
Eine ähnlich kritische Sichtweise vertritt DW.de-Redakteur Philipp Sandner: “Militärisch ist Kongos ehemals größte Rebellenbewegung am Ende”, schreibt der in einem Beitrag für die Deutsche Welle. “Doch eine politische Einigung für einen dauerhaften Frieden steht weiterhin aus. Unklar ist, ob Kongos Regierung zu ihren Zusagen steht.”
Ein stabiler Friedensschluss in der Region sei allerdings nur dann denkbar, warnte der ugandische Ökonom und Journalist Ali Mutasa im Gespräch mit der DW, “wenn sich die Regierung jetzt an alle bisher ausgehandelten Punkte hält.”
M23, die FDLR und die Rolle Ruandas
Die Kapitulation der M23-Rebellen könnte für den Kongo eine Chance sein, heißt es dagegen etwas optimistischer aus dem Politik-Ressort der “Welt”.
“Ob aus dem aktuellen Erfolg eine langfristige Chance für die Region werden kann, wird auch davon abhängen, ob die Tutsi-Minderheit im Kongo eine institutionalisierte politische Repräsentation erhalten”, analysiert “Welt”-Südafrikakorrespondent Christian Putsch aus Kapstadt. “Zudem müsste die Regierung”, so Putsch weiter, “mit der gleichen Intensität wie im Kampf gegen die M23 auch gegen die FDLR vorgehen. Wird auch sie besiegt, geht Ruanda die Ausrede für seine verstärkte Militärpräsenz an der Grenze verloren.” (Putsch, welt.de, 2013)
“Die nächste Etappe” auf dem Weg in eine neue staatliche Ordnung in der Region, sei der Kampf gegen die Hutu-Rebellen der Demokratischen Kräfte für die Befreiung Ruandas (FDLR), bestätigt DW-Autor Philipp Sandner. Der Sieg gegen die M23-Kämpfer soll nun offenbar als Blaupause dienen. “Wir werden sie entwaffnen, wie wir es mit der M23 gemacht haben”, zitiert Sander einen Sprecher der kongolesischen Regierungstruppen.
In einem ausführlichen Meinungsbeitrag hebt Dirke Köpp dagegen die Bedeutung der diplomatischen Gespräche am Verhandlungstisch hervor: “Nach der gemeinsamen militärischen Aktion von kongolesischen Streitkräften und den mit einem robusten Mandat ausgestatteten UN-Blauhelmen muss nun die politische Arbeit beginnen”, betont Köpp, die die Französisch-Redaktion bei dw.de leitet.
“Auch die internationale Gemeinschaft ist hierbei gefordert: Kein Rebellen-Führer darf straffrei ausgehen. Der Druck auf die Staatschefs von Uganda und Ruanda muss aufrecht erhalten werden. Aber auch Kongos Staatsoberhaupt Joseph Kabila muss – fast 13 Jahre nach seinem Amtsantritt – die Probleme im Osten endlich zur Priorität erklären. (…) Die eigentliche Arbeit fängt erst an.” (Köpp, dw.de, 2013)
Personalisierung: Ein Deutscher im Kongo
In der Berichterstattung der ARD stehen dagegen zunächst die Reaktionen in der Bevölkerung und die neuartige UN-Interventionsbrigade samt des deutschen UN-Missionschefs Martin Kobler im Vordergrund.
“Nach der Niederlage der M23-Miliz feiern die Menschen im Kongo das Ende der Kämpfe”, berichtet zum Beispiel WDR-Korrespondentin Antje Diekhans aus dem ARD-Studio in Nairobi. In einem ihrer Beiträge zum Thema hebt Diekhans auch die besondere Rolle der UN-Streitkräfte in der Region hervor:
“Die UN-Mission im Kongo ist mit mehr als 20.000 Mann die größte weltweit. Seit einigen Monaten gehört zu ihr eine so genannte Interventionsbrigade. Soldaten, vor allem aus Tansania und Südafrika, die aktiv in Kämpfe eingreifen. Der deutsche Chef der Truppe führt den Erfolg gegen die M23 vor allem auf diese neuen Kräfte zurück. “Die Interventionsbrigade hat wirklich neuen Schwung gebracht”, sagt Kobler.” (Diekhans, Tagesschau.de, 2013 )
Ganz offenbar haben die Vereinten Nationen mit dieser Eingreiftruppe militärisches, politisches und rechtliches Neuland betreten. Erstmals darf ein UN-Kontingent in einer Krisenregion für einen begrenzten Zeitraum auch offensiv gegen bewaffnete Gruppierungen vorgehen. Erst wenige Monate zuvor hatte der UN-Sicherheitsrat in New York diesem Kontingent ihrer zahlreichen Blauhelmsoldaten im Kongo zum scharfen Schuss ermächtigt. Dieses Mandat sei beispiellos, solle aber nach dem Willen der Staatengemeinschaft ausdrücklich “keinen Präzedenzfall schaffen”, heißt es dazu in einem früheren ARD-Beitrag zum Thema.
Blauhelme mit Lizenz zum Töten
Der neuartige Feuerbefehl gilt dabei nur für die sogenannte “Force Intervention Brigade” (FIB), einer vor allem aus südafrikanischen und tansanischen Soldaten bestehenden Verbands innerhalb der MONUSCO-Mission (offiziell: United Nations Organization Stabilization Mission in the DR Congo).
Berichten zufolge setzte die Eingreiftruppe FIB beim Kampf gegen die M23-Rebellen nicht nur Mörser und Artilleriegranaten ein, sondern auch Geheimdienstinformationen aus dem UN-Umfeld. Eine nicht unwesentliche Rolle dürfte auch die schlagkräftige Unterstützung durch zwei südafrikanische Kampfhubschrauber gespielt haben, wie Kongo-Experte Johnson berichtet.
“Bild erklärt den Kongo”
Aus der Sicht des einflussreichsten deutschen Boulevardblatts scheint der Kongo nach wie vor hauptsächlich eine Bühne für schockierende Gewalttaten zu sein: Auf den Seiten von Bild.de findet der Rückzug der M23-Rebellen aus dem bewaffneten Kampf zunächst keine gesonderte Erwähnung. Im Archiv dafür liegt eine bemerkenswert straffe Darstellung der Hintergründe bereit. Dort heißt es zum Beispiel: “Warum kommt dieses afrikanische Land nicht zur Ruhe? BILD.de erklärt den Kongo.”
Der Spiegel, der sich in seiner aktuellen Berichterstattung zunächst nur auf Material der französischen Nachrichtenagentur AFP stützt, fasst die Ausgangslage dagegen so zusammen:
“Die M-23-Bewegung wurde von ehemaligen Tutsi-Rebellen gegründet, die nach dem Friedensabkommen von 2009 in die kongolesischen Streitkräfte integriert worden waren, dann aber wegen diverser Streitigkeiten wieder desertierten. (…) Die Regierung in Kinshasa und die Vereinten Nationen werfen den Nachbarländern Uganda und Ruanda vor, die M-23-Miliz zu unterstützen, was beide Staaten zurückweisen. Das an Bodenschätzen reiche Länderdreieck ist seit gut 20 Jahren Hauptschauplatz der nicht enden wollenden Gewalt in der Demokratischen Republik Kongo.” (Spiegel.de, 2013)
Bilder als Verständnisansätze
Eine tiefer gehende Analyse der politischen Situation und der Perspektiven in der Region steht im Spiegel noch aus. Im Vorfeld der jüngsten Ereignisse allerdings hatte sich das Magazin bereits mit ausführlichen Reportagebeiträgen um die Vermittlung eines differenzierteren Kongo-Bilds in der deutschsprachigen Öffentlichkeit verdient gemacht.
Zu nennen wäre hier zum Beispiel “Kibomangos Kampf gegen das Grauen” und “Kalaschnikow und Nagellack“, zwei Beiträge von Politik-Redakteur Johannes Korge über die Fotoarbeiten von Francesca Tosarelli.
Riesige Lücken im Mediensystem
Das Fazit ist erschreckend: Die Fragen, ob, warum und wenn ja, an welchen Stellen die deutsche Kongo-Berichterstattung Lücken aufweist, führen direkt zu fundamentalen Defiziten im deutschen Mediensystem. Nicht nur, dass es in Bezug auf die Afrika-Berichterstattung – anders als etwa in Frankreich oder Großbritannien – weder historisch-etablierte Austauschkanäle aus kolonial- und postkolonialen Zeiten gibt, noch gemeinsame Sprachräume wie im Fall der Francophonie. Weitaus schwerer wiegt wohl das gewachsene Desinteresse deutscher Redaktionen an nur auf den ersten Blick weniger spektakulären Vorgängen abseits gut vertrauter Bühnen.
Diese Wahrnehmungsschwäche hat nicht nur mit dem Überangebot an Informationen und Medienproduktionen aus Deutschland und den USA zu tun, sondern vor allem auch mit wirtschaftlichen Richtungsentscheidungen: Das Netz an deutschsprachigen Auslandskorrespondenten in Afrika ist offensichtlich viel zu dünn.
Viel zu wenige Beobachter
Die überschaubare Anzahl an Korrespondentenbüros konzentriert sich zudem auf die großen afrikanischen Metropolen. Von dort aus müssen sich die Beobachter bemühen, mit ihren Berichten, Kontakten und Sendezeiten einen ganzen Kontinent mit mehr als einzelnen Staaten und einer Gesamtbevölkerung von rund einer Milliarde Menschen abzudecken – und dann noch mit ihren Geschichten in ihrer Heimatredaktion das allgemeine Rauschen deutscher Alltagsnachrichten durchdringen.
Dabei ist die Korrespondentenarbeit fast noch Luxus: Denn die Masse der Redakteure in deutschen Tageszeitungen, Magazinen und Nachrichtenportalen muss sich in ihrer Afrika-Berichterstattung ohnehin komplett auf das Material der wenigen großen Nachrichtenagenturen verlassen. Hinter dpa, Reuters und AFP wird es sehr schnell dünn.
Hausgemachte Verzerrungseffekte
Notgedrungen ergibt sich daraus ein Nadelöhr im Informationsfluss zwischen Afrika und Europa. Und ohne die Vorgeschichte, ohne die Kenntnisse der Grundlagen und Hintergründe, kann es nahezu unmöglich werden, eine “afrikanische Geschichte” in der deutschen Medienbranche “zu verkaufen”. Das gilt umso mehr, wenn es sich dabei um ein Thema handelt, das sich näher an der Wirklichkeit als an gängigen Klischees bewegt.
Aus der Sicht des Publikums kann das nicht sinnvoll sein: Im Kern dreht sich das Problem also um die Frage, wie irreführend und damit gefährlich eine solch einseitige Ausrichtung langfristig ist. Wenn die starke Verzerrung der inhaltlichen Schwerpunkte in Richtung Heimat nicht nur in der Behandlung europäischer Themen bereits zu teils erhebliche Schwächen in der Auslandsberichterstattung führt, um wie viel größer müssen dann erst die Wahrnehmungslücken der deutschen Öffentlichkeit bei der Betrachtung und Beurteilung wichtiger politischer Entwicklungen und gesellschaftlicher Veränderungen in Afrika sein?
Mühsam wird die Arbeit für engagierte Kollegen spätestens dann, wenn sie – wie im Fall der M23-Kapitulation – an aktuellen Wendepunkten die gesamte Vorgeschichte ausrollen müssen, ohne die kaum ein Einzelereignis (ob in Deutschland oder im Kongo) einem nachrichtlich mangelernährten Leser schwer begreiflich zu machen ist.
Gut, dass es mehr und mehr Journalisten gibt, die sich dieser schwierigen Aufgabe annehmen.