Zwei-Generationen-Interview: Ghana vor den Wahlen am Scheideweg
Ghana hält am 7. Dezember Präsidentschafts- und Parlamentswahlen ab; alle 230 Sitze sind neu zu vergeben. Das westafrikanische Land galt einst als Musterschüler in Sachen Demokratie und Stabilität. Tatsächlich sind die Wahlen seit 1992 friedlich verlaufen und auch die interimsmäßige Übernahme des Präsidentenamtes nach dem plötzlichen Tod John Atta Mills im Juli 2012 durch John Dramani Mahama ging ohne größere Zwischenfälle von statten.
Dennoch sieht sich Ghana mit enormen Herausforderungen konfrontiert: um sich greifende Korruption, Armut, Einflussnahmen ausländischer Investoren und das Auseinanderklaffen von Arm und Reich bedrohen die soziale und politische Stabilität des Landes.
Eine Fortsetzung der „Bestandsaufnahme“ aus ghanaischer Sicht mit dem in Hamburg lebenden Emmanuel Ammankwaa Asiedu und seinem Vater Kwame Amankwaa Manu, der in den 1970er Jahren nach Deutschland kam. Kurz vor der Unabhängigkeit Ghanas geboren, verließ er das Land während der Zeit wechselnder Militärdiktaturen. Der vermeintlichen Demokratisierung steht Kwame Amankwaa Manu, führendes Mitglied der ghanaischen Gemeinde in Hamburg, skeptisch gegenüber.
eufrika: Herr Asiedu, seit unserem letzten Gespräch sind über zwei Monate vergangen. Nach dem Tod von Präsident John Atta Mills führt John Dramani Mahama (National Democratic Congress, NDC) die Amtsgeschäfte. Er ist ein angesehener Historiker und gilt als Fürsprecher der Unterprivilegierten. Sein Interesse richtet sich auch auf den Umweltschutz. Welche Bedeutung hat seine Interimsherrschaft für Ghana?
Emmanuel Asiedu:
Das wichtigste für Ghana ist eigentlich die Amtsübernahme selbst. Dass der Wechsel an der Regierung so reibungslos von Statten ging, ist beruhigend – auch vor dem Hintergrund, dass Ghana noch eine relativ junge Demokratie ist.”
eufrika: Insgesamt gibt es neun Präsidentschaftskandidaten, von denen Nana Addo Dankwa Akufo-Addo neben Mahama wohl der aussichtsreichste ist. Was unterscheidet ihn von Mahama?
Emmanuel Asiedu:
Ein wichtiger Punkt ist die ethnische und tribalistische Zugehörigkeit. Das spielt in Ghana nach wie vor eine große Rolle. Mahama stammt aus Nordghana und gehört den Dagbani an; Akufo-Addo stammt dagegen aus der Bevölkerungsgruppe der Akan. Ihm werden auch deswegen erhöhte Chancen eingeräumt, weil sich die Akan schon seit einiger Zeit zurückgesetzt fühlen.
Ob das stimmt, ist eine andere Frage; zumindest wird propagiert, dass die jetzige Regierung, die sich eher links gibt, dem letzten Diktator zugewandt ist. Jerry John Rawlings gehörte zu den Ewe und heute finden sich in vielen Führungspositionen von Politik und Militär Angehörige der Ewe. Das führt zu Spannungen und gibt Akufo-Addo möglicherweise Auftrieb.”
eufrika: Akufo-Addo gehört der New Patriotic Party (NPP) an und hat angekündigt, im Falle seiner Wahl eine kostenlose Schulausbildung bis zur secondary school einzuführen. Wie in den 1950er Jahren, als der Wahlslogan der UGCC „Independence as soon as possible“ von der Gegenpartei mit „Independence now“ gekontert wurde, liest sich die Reaktion der NDC auf die Ankündigung „Free SHS“ der NPP wie ein „Free SHS as soon as possible“. Wie scharf sind die Profile der Parteien heute?
Emmanuel Asiedu (lacht):
Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie sehr der Wahlkampf an Personen ausgerichtet ist. Inhaltlich unterscheiden sich die Parteien kaum voneinander. Auch eine Zuordnung nach links und rechts, wie wir sie in Deutschland gibt, ist in Ghana viel weniger eindeutig. Akufo-Addo gehört der früheren Regierung unter John Agyekum Kufuor an, die schon damals eine Schulreform ankündigte. Man muss abwarten, ob die Versprechungen diesmal umgesetzt werden.”
eufrika: Die Pressefreiheit gilt als hohes Gut in Ghana, auch Kritik an der Regierung ist erlaubt. Welche Rolle spielen die Medien im Wahlkampf?
Emmanuel Asiedu:
Die Medien spielen eine sehr große Rolle. Die Presse- und Meinungsfreiheit ist in meinen Augen eine der größten Errungenschaften der Demokratisierung!”
Kwame Amankwaa Manu (schüttelt den Kopf):
Das sehe ich anders. Was in Ghana passiert, zeigt, dass die Ghanaer noch nicht bereit sind für Demokratie und Meinungsfreiheit. Die Beschimpfungen und Schmähungen, die die Politiker über sich ergehen lassen müssen, sind unverhältnismäßig. Ghanas Demokratisierung ist noch nicht weit genug fortgeschritten, und gerade, was jetzt im Wahlkampf an Beleidigungen und Unterstellungen geäußert wird, zeigt, dass es Zeit braucht, bis ein verantwortlicher Umgang mit diesen Freiheiten gefunden wird.”
Emmanuel Asiedu:
Aber die Freiheit, seine Meinung zu sagen, ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine freiheitlich orientierte Gesellschaft. Die Politiker müssen solche Äußerungen – wie in anderen Ländern ja auch – aushalten können; sie sind Personen der Öffentlichkeit. Ich sehe das als Teil eines normalen demokratischen Prozesses.”
Kwame Amankwaa Manu:
In einem gewissen Rahmen mag das stimmen. Aber der Umgang mit Freiheit muss sich zuerst als Teil der politischen Kultur festigen. So weit sind die Afrikaner noch nicht. Auch die steigende Korruption zeigt, dass zu viel Freiheit schadet. Es muss auch Einschränkungen geben.”
eufrika: Nach Angaben von BBC Online nutzen 2,1 der etwa 25 Millionen Ghanaer das Internet, das sind beinahe 10%. Das liegt deutlich über dem Durchschnitt der Internetnutzer in afrikanischen Ländern von 7%. Das Internet scheint auf dem Vormarsch zu sein.
Emmanuel Asiedu:
Ja, in der Tat. Vor allem facebook spielt eine große Rolle, wenn es um Politik geht. Die jüngere Generation macht sich ein Bild von der Politik und der Haltung ihres Umfeldes über facebook. Auch twitter wird genutzt, in Ghana, einem der ärmsten Länder der Welt – das muss man sich mal vorstellen! Das sind fantastische Möglichkeiten auch im Hinblick auf Teilhabe. Vieler meiner Verwandten, die übrigens sämtlich bei facebook sind, positionieren sich über diese Plattform politisch.”
eufrika: Die unmittelbare Auswirkung der medialen Öffentlichkeit hat sich ja auch beim Zusammenbruch des Einkaufszentrums in Accra gezeigt: drei der wichtigsten Kandidaten haben ihren Wahlkampf sofort unterbrochen…
Emmanuel Asiedu:
…das stimmt, der Fokus der Aufmerksamkeit verschiebt sich und in solchen Fällen wird schnell deutlich, wie die einzelnen Verantwortlichen reagieren. Dennoch gibt es auch negative Seiten der Ausbreitung des Internets. Ich sehe zum Beispiel eine Diskrepanz zwischen der Beteiligung an Kommunikationen bei sozialen Netzwerken und der Diskussion von Inhalten. Eine Auseinandersetzung damit, wo die Gesellschaft eigentlich hin will, fehlt.”
Kwame Amankwaa Manu:
Eine Auseinandersetzung findet schon statt, nur vielleicht auf anderen Wegen. Es gibt zum Beispiel eine Reihe von Call-in-Sendungen im Radio, in denen sich die Bürger per Telefon einschalten können. Bei Themen wie etwa Homosexualität sind die Diskussionen durchaus sehr lebendig.”
Emmanuel Asiedu:
Allerdings spielt gerade bei solchen Sendungen die Religion noch immer eine enorme Rolle. Es wird viel mit Bibelzitaten argumentiert, was eine wirkliche Debatte für die gesellschaftliche Bedeutung erschwert.”
eufrika: Bestimmende Wahlkampfthemen sind im Moment vor allem Wirtschaft und Bildung. Mahama bringt dem Volk seine „National Democratic Better Ghana agenda“ nahe und versprach vor allem den Ausbau von Infrastruktur. Auf seiner Wahlkampftour kündigte er den Import von brasilianischen Traktoren an, die die Bauern durch Kleinkredite erwerben sollen. Besonders in armen Ländern stehen Mikrofinanzierungen in der Kritik, weil die Menschen auch über Jahr nicht in der Lage sind, die aufgenommenen Schulden zurückzuzahlen und immer tiefer in die Schuldenspirale geraten. Wie sehen Sie die Lage beispielsweise der Bauern in Ghana?
Emmanuel Asiedu:
Das ist schwer einzuschätzen. Die Landwirtschaft und ihr Ausbau sind wichtig für Ghana. Die Frage ist aber wohl eher, was hinterher von solchen Ankündigungen umgesetzt wird.”
eufrika: Aber lenken solche Versprechen, auch wenn sie für den einzelnen Wähler bedeutsam sein mögen, von den eigentlichen Herausforderungen Ghanas ab? Amnesty International kritisiert Ghana noch immer wegen der unzureichenden Einhaltung der Menschenrechte, der Todesstrafe, die nach wie vor in Kraft ist und wegen des mangelhaften gesetzlichen Schutzes gegen häusliche Gewalt.
Emmanuel Asiedu:
Unbedingt! Vor allem der Umgang mit den sogenannten House-boys und -girls ist ein großes Problem. Oft ist es so, dass arme Familien ihre Kinder quasi verkaufen; sie leben dann in beinahe sklavenartigen Verhältnissen und sind oft massiven Übergriffen ausgesetzt. Aber all diese Themen kommen im Wahlkampf nicht vor – dafür gibt es keine Lobby.”
eufrika: Haben Sie das TV-Duell der Präsidentschaftskandidaten bei Ghana TV verfolgt?
Kwame Amankwaa Manu: Ja, ich habe es gesehen. Aber es war ziemlich fürchterlich! Im Mittelpunkt stand vor allem ein Kandidat aus Nordghana, der lange in Deutschland gelebt hat. Er verfiel immer wieder ins Deutsche, weil er nicht gut Englisch spricht und wurde vor allem dafür stark kritisiert. Das zeigt auch ein bisschen das Niveau, auf dem sich der Wahlkampf bewegt.”
eufrika: Ihre Prognose für die Wahlen?
Emmanuel Asiedu:
Ich könnte mir vorstellen, dass Akufo-Addo gute Chancen hat. Nach der derzeitigen Regierung, die sich eher mittig-links gibt, steht ein Wechsel zu einer etwas konservativeren Regierung an.”
Wahlkampfsongs spielen in Ghana eine sehr viel größere Rolle als in Deutschland, sie sind fester Bestandteil des Wahlkampfes.