Ghana: Was ist dran am Mythos Erfolg?
Eine Bestandsaufnahme aus ghanaischer Sicht: Interview mit dem in Hamburg lebenden Ghanaer Emmanuel Asiedu
Ghanas Erfolgsgeschichte ist ohne Vorbild. Seit 1992 eine demokratische Verfassung einen Schlussstrich unter 26 Jahre Militärherrschaft zog und sich das Land der Demokratisierung verschrieb, gilt der dadurch in Gang gesetzte Wandel vor allem als eines: „An african success story“.
Der geräuschlose Wechsel an der Spitze der Regierung nach dem plötzlichen Tod Präsident John Atta Mills im Juli 2012 spricht dafür, dass der Demokratisierungsprozess nachhaltige Stabilität mit sich bringt. Indessen steht Ghana vor gewaltigen Herausforderungen: marode Infrastruktur, eine rasant wachsende Bevölkerung, eine wachsende Kluft zwischen arm und reich und eine horrende Staatsverschuldung, nach wie vor ist Ghana eins der ärmsten Länder der Welt. Zudem wird immer wieder die Verletzung von Menschenrechten kritisiert. Wie sehen Ghanaer in der Diaspora die Entwicklung des Landes drei Monate vor den Parlamentswahlen?
Interview mit dem in Hamburg lebenden Ghanaer Emmanuel Ammankwaa Asiedu.
Herr Asiedu, können Sie Ghana mit einem Satz beschreiben? Welche Bilder verbinden Sie mit dem Land?
(lacht) Ghana ist chaotisch! Mir fallen Kindheitserinnerungen von einer Reise ein, als ich fünf Jahre alt war. Es waren viele Menschen unterwegs, alle drängelten. Schwerbewaffnete Soldaten waren damals im Straßenbild sehr präsent, es gab Straßensperren, ständig musste man Geld bezahlen, um passieren zu können. Es war eine Zeit der Knappheit.
Ihre Eltern kamen in den 1970ern nach Deutschland, Sie sind hier geboren, haben die ghanaische Staatsbürgerschaft. Bis auf eine Cousine, die in die USA ausgewandert ist, lebt der Rest Ihrer Familie in Ghana. Wie erleben Sie den Wandel der vergangenen 20 Jahren in Ghana?
Zuerst einmal sehr positiv. Dass sich etwas ändert, merkte ich schon bei einem Besuch 1992; damals war ich 18. Der Demokratisierungsprozess war in vollem Gange, die anstehenden Wahlen wurden vorbereitet und ich erinnere mich gut, wie meine Cousins, die in Accra leben, ganz aufgeregt waren, weil zum ersten Mal mehr als eine Partei zur Wahl stand. Die Generation meiner Eltern war kritischer, sie hatten die unruhigen Zeiten der Militärdiktatur mit Unterdrückung und Überwachung miterlebt. Über Politik sprach man nicht öffentlich. Das ist heute anders, die jungen Leute in Ghana und übrigens auch in der deutschen Diaspora nehmen lebhaft Anteil an den politischen Entwicklungen – klar gehen wir zur Wahl! Neben der Skepsis gegenüber der Politik, die meine Eltern mir mitgegeben haben, sehe ich diese Stimmung als Zeichen für eine zunehmende politische Konsolidierung und Stabilisierung.
Nach dem plötzlichen Tod Präsident John Atta Mills wurde am 24.07.2012 der bisherige Vize-Präsident John Dramani Mahama vereidigt. Er gilt als newcomer in der Politik. Wie schätzt man ihn in Ghana ein, zumal mit Blick auf die im Dezember anstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen?
Der Tod John Millas kam weniger überraschend, als es nach der Mediendarstellung hier schien; zuletzt war er schwerkrank. Sein Nachfolger Mahama ist eigentlich kein großes Thema, man nimmt seine Interimspräsidentschaft eher als notwendig hin, auch vor dem Hintergrund der Wahlen im Dezember. Da sich nicht abzeichnet, dass er sich nicht an die verfassungsmäßigen Vorgaben hält, was die Wahlen betrifft, befürchtet man wenig. Diskutiert werden eher Gerüchte im Zusammenhang mit dem Tod Millas und Dokumenten, die ihm ohne Kenntnis des Inhaltes zur Unterschrift vorgelegt worden sein sollen.
Die Weltbank attestiert Ghana ein enormes Wirtschaftswachstum in den vergangenen Jahren, die Armutsrate ist zwischen 1991 und 2006 von 52,7% auf 28,5% gesunken. Damit kommt das Land dem UN millennium development goal, Armut und Hunger bis 2015 zu halbieren, als eines der ganz wenigen recht nahe. Was kommt bei der Bevölkerung von diesem Wirtschaftsboom an?
Das lässt sich schwer beurteilen. Eine sichtbare Verbesserung ist sicher der Ausbau der Infrastruktur. Auch die Bemühungen des früheren Präsidenten John Kufuor im Bildungswesen tragen Früchte.
2007 wurden riesige Offshore-Ölvorkommen entdeckt. Im Zusammenhang mit solchen Funden ist immer wieder vom „Fluch des schwarzen Goldes“ die Rede; die Präsenz von Rohstoffen gilt als Hürde für die Konsolidierung demokratischer Prozesse. Auch in Ghana kam es bereits vor Förderbeginn zu Unstimmigkeiten über die Kontrolle der Jubilee-Felder mit einem US-amerikanischen Unternehmen, das Bohrungen durchführte. Sehen Sie die Gefahr eines Rückschlages für den Prozess der vergangenen Jahre durch die Entdeckungen?
Ja, durchaus! Sehen Sie, Korruption war und ist ein großes Thema in Ghana. Die amtierende Regierungspartei NDC [National Democratic Congress, Anm. d.R.] ging aus der damaligen Militärherrschaft hervor und hat sich auf die Fahnen geschrieben, die Korruption auszumerzen. Doch nach wie vor finden sich in ihren Reihen genauso viele bestechungsanfällige Politiker wie vorher. Bestes Beispiel ist der ehemalige Präsident Jerry Rawlings, der ebenfalls der NDC angehört. Nach seiner 20jährigen Zeit als Diktator wurde er in den Wahlen 1992 und 1996 bestätigt und ist mittlerweile der reichste Ghanaer überhaupt!
Als auch China Interesse an den Erdölreserven anmeldete, sah sich Ghanas Ölminister gezwungen, das Vetorecht seines Landes zu betonen. Wie sehen Sie den Einfluss ausländischer Investoren?
In Ghana bestehen vor allem Ressentiments gegenüber China. Das hängt auch damit zusammen, dass chinesische Billigprodukte den Markt überschwemmen und die einheimische Produktion bedrohen. Das ist besonders in der Textilbranche so, aber es gibt auch Berichte über den Handel mit wirkungslosen Medikamenten aus China. Ich halte ausländische Investitionen für den weiteren wirtschaftlichen Aufstieg Ghanas für unabdingbar. Die Stimmung im Land verschlechtert sich allerdings zusehends – zumindest gegenüber dem chinesischen Engagement.
In der Tat fließt ein Großteil aus chinesischen Krediten in den Ausbau der Infrastruktur. Die Investitionen in den Ausbau der Infrastruktur zur Ölgewinnung haben Ghana 13% Wirtschaftswachstum beschert…
…ja, das stimmt. Zugleich kann man sich nicht ganz von der Angst freimachen, dass sich das apokalyptische Beispiel Nigeria wiederholen könnte. Informationen darüber, wohin die Gelder aus der Ölförderung fließen, gibt es kaum. Zugleich weiß man, dass dort noch viel Geld im Boden liegt und sorgt sich, was damit wohl geschehen wird.
Herr Asiedu, die Verfassung von 1992 sieht neben Versammlungsfreiheit auch die Meinungs- und Pressefreiheit vor. Was bedeutet in der Realität?
Ich habe den Eindruck, dass die Presse gute und unabhängige Arbeit leistet. Über das Internet kann man auch hier in Deutschland ghanaische Radiosender empfangen. Es gibt ein lebendiges und vielfältiges Angebot an privaten Sendern auch auf Akan und anderen Lokalsprachen. Und viele sind durchaus regierungskritisch.
Amnesty International kritisiert auch im Jahresbericht von 2012 massive Gewalt gegenüber Frauen und Mädchen. Gibt es in Ihren Augen Fortschritte in diesem Bereich?
Kaum. Es gibt immer wieder Berichte über Gewalt gegenüber Frauen, das ist nach wie vor ein großes Problem. Übergriffe durch Lehrer in Schulen waren lange Zeit Usus, damit an die Öffentlichkeit zu gehen, gehörte sich nicht. Das war ein Tabu. Frauen und Mädchen sind inzwischen etwas selbstbewusster geworden, aber hier muss sich noch viel tun. Ähnlich ist es mit dem Umgang mit Homosexuellen. Gerade erst im Juli ordnete Paul Evans Aidoo, Minister der Westregion die Verhaftung aller homosexuellen Frauen und Männer im Westen des Landes an. Ein Skandal!
Wo sehen Sie Ghana in zehn, zwanzig Jahren?
Ich denke, wenn Ghana den Demokratisierungsprozess weiter verfolgt, stehen die Chancen gut, dass die stabilen Verhältnisse auch künftig für Wirtschaftswachstum sorgen und das Land weiter aufsteigt. Gefahren sehe ich allerdings in den tribalistischen Tendenzen, die vor allem im Norden zuzunehmen scheinen. Auch die Ungleichverteilung der Einkommen ist ein Risikofaktor, ebenso wie die rasante Bevölkerungsexplosion…
…in den letzten25 Jahren hat sich die Bevölkerung fast verdoppelt…
…ja, das stellt die staatlichen Systeme vor große Herausforderungen. Zugleich jedoch sieht vor allem die junge Generation mit großer Zuversicht in die Zukunft. Man ist stolz auf das Land, auch wenn man kritisch ist. Wer Bildung hat, möchte sie nutzen, um etwas zu bewegen; einige streben ins Ausland, in die USA oder Europa.
Ghana ist wie jedes afrikanische Land eine Fußballnation. Gerade ist der Nationalmannschaft im Orange Africa Cup ein 2:0-Coup gegen Malawi gelungen. Fiebern Sie mit?
Selbstverständlich (lacht)! Ich verfolge eigentlich fast alle Spiele. Und gestehe, dass ich Ghana bei der WM gegen Deutschland die Daumen gedrückt habe.
Weiterführende Links:
Will Ghana’s Success Story Continue After John Atta Mills?