Goldenes Gift
Wenn es regnet, färbt sich der Schlamm in den Außenbezirken um Johannesburg gelb. Unbeirrt laufen die Kinder barfuß durch die faulige Brache. Auch das Trinkwasser ist längst betroffen. Kaum jemand ahnt die drohenden Gesundheitsrisiken, doch wegzuziehen könnten sich hier ohnehin nur die wenigsten leisten. Unlängst wurden auch radioaktive Verbindungen nachgewiesen, die der Regen mit der Zeit aus den alten Bergwerksstollen schwemmt. Der Bergbau galt lange Zeit als Aushängeschild der südafrikanischen Wirtschaft, jetzt rächen sich jahrzehntelanger Raubbau und die Profitgier der Betreiberfirmen – verantwortlich fühlt sich indes niemand. Und so schaut man im einstigen Eldorado der Goldindustrie heute in die maroden Schächte. Die Hoffnung, mit technischen Lösungen eine weitere Kontamination der Böden abzuwenden, schwindet. Schon bald könnten Millionen Menschen im Zentrum Johannesburgs betroffen sein.
Seit Monaten läuft ein altes Stollensystem im Witwatersrand westlich von Johannesburg mit Wasser voll. Wo bis heute schätzungsweise 40 Prozent der weltweiten Goldförderung ans Tageslicht gebracht wurden, dämmert allmählich die Gewissheit, dass 120 Jahre schonungsloser Bergbau nicht spurlos an der Natur vorbeigehen.
Die Arbeiter haben das Minengelände längst verlassen. Unliebsamen Journalisten und Umweltaktivisten wird der Zutritt von bewaffneten Sicherheitsfirmen verweigert, zu skandalös ist das, was sich hier unter der Erde anbahnt und technisch nicht mehr aufzuhalten scheint. Seit die Pumpen ausgefallen sind, mit denen die Betreiberfirma Aurora versucht hatte, den Klärschlamm gesondert zu fördern, herrscht Ratlosigkeit – Warten auf die nächste Hiobsbotschaft aus dem Erdreich. In hunderten Metern Tiefe sickert unaufhaltsam Wasser durch die Gesteinsschichten und löst die Hinterlassenschaften von über einem Jahrhundert Bergbau aus dem porösen Gestein ins Grundwasser. Gold und andere Edelmetalle finden sich hier nur noch in Spuren.
Zurückgeblieben sind meist nichts als Abfallprodukte, einige von ihnen höchst giftig, manche sogar radioaktiv. Der Witwatersrand ist überzogen von schätzungsweise 270 sogenannten tailings, den Abraumhalden der Minenindustrie, die mangels fachgerechter Aufbereitung ebenfalls konstant Giftstoffe an die Umwelt abgeben. Auch die Dekantierung, das Überlaufen der Schächte, ist laut Ansicht vieler Experten nur noch eine Frage der Zeit. Die anfallenden Kosten für das Abpumpen, das sich über Jahrzehnte hinziehen kann, trägt letztlich der Staat, für Haftungsansprüche gegenüber den ehemaligen Betreibern der verlassenen Minen fehlt die gesetzliche Grundlage.
AngloGold Ashanti, die führende und vom unaufhaltsamen Wasser geplagte Minengesellschaft Südafrikas nahm jedenfalls bereits Ende März für alle Fälle die Regierung in die Verantwortung, „den nationalen Koordinierungsprozess zur Handhabung der giftigen Abwässer“ in die Hand zu nehmen. Entsprechende Schritte sind allerdings nicht vor September zu erwarten, wenn ein eigens eingerichtetes Komitee erstmals zusammentreffen soll.
Unwissenheit und Passivität
Dabei ist der Handlungsbedarf bereits jetzt akut. Die Radioaktivität übersteigt die staatlich vorgeschriebenen Richtwerte zum Teil um das Zweiunddreißigfache, wie Chris Busby von der nordirischen Universität Ulster im Auftrag der südafrikanischen Federation for Sustainable Environment bei mehreren Messungen herausfand. Zwar sind Busbys Ansichten zur Schädlichkeit niedriger Dosen ionisierender Strahlungen nicht unumstritten. Doch auch andere Wissenschaftler bestätigen, dass die giftigen Abfälle der Bergbauindustrie (AMD, Acid Mine Drainage) für die schwerwiegensten sozioökonomischen- und Umweltkosten des Landes verantwortlich sind. Bei der Förderung vieler Metalle, welche mit Hilfe von Säure aus dem Gestein gelöst werden, bleiben sogar Spuren radioaktiven Urans zurück. Diese gelangen mit der Zeit unweigerlich ins Grundwasser.
Die Auswirkungen der verschiedenen Giftstoffe auf den menschlichen Körper sind bisher wenig erforscht. Doch die Eindrücke aus der Natur lassen wenig Gutes vermuten. In einigen Bächen gilt bereits jetzt jegliches Leben als ausgestorben.
Bislang betrifft das Problem vor allem die westlich von Johannesburg gelegenen Außenbezirke. Auch im größten Township Südafrikas, in Soweto, sind die giftigen Hinterlassenschaften des Bergbaus nachzuweisen. Die Familien in dieser Gegend sind arm. Die wenigsten Anwohner wissen überhaupt um die Gefahren, denen sie tagtäglich ausgesetzt sind. Und selbst wenn Regierung und Bergbauunternehmer an Aufklärung interessiert wären, den meisten der Betroffenen fehlt ohnehin das Geld, umzuziehen.
Doch auch andernorts wird man bald nicht mehr sicher sein. Als ob die bislang veröffentlichten Messwerte nicht gravierend genug seien, um sämtliche Behörden in höchste Alarmbereitschaft zu versetzen, sickert weiterhin ungehindert giftiges Brackwasser in den Untergrund. Die ohnehin katastrophale Trinkwasserversorgung von Millionen von Menschen weckt in Südafrika wenig Sorgen, ein ökologisches Bewusstsein entfaltet sich sehr langsam, wirtschaftliches Wachstum und Profitgier überwiegen jegliches Gefühl der Verantwortung.
Nicht wenige der verästelten Stollen durchziehen auch das Erdreich direkt unterhalb der Metropole Johannesburg. Und ausgerechnet einer dieser stillgelegten Stollen läuft allmählich ebenfalls mit Wasser voll.
Die Kosten für das Auffangen des Schwemmwassers und dessen umweltgerechte Wiederaufbereitung würden die ohnehin angeschlagene Minenindustrie Südafrikas in bedrohliche Schieflage bringen, argumentieren Wirtschaftsvertreter. Vor allem kleine Firmen können sich die aufwendigen Verfahren nicht leisten. Rigorose Auflagen hätten weitere verlassene Minen zur Folge, für die sich niemand mehr zuständig fühlt – und somit letztlich eine zusehends unkontrollierte Kontamination der Böden.
Die Verantwortlichen verlassen das sinkende Schiff
Gerade die großen Unternehmen kaufen die Lizenzen der bankrotten Konkurrenz auf. Im Gegenzug werden marode Schächte an Kleinbetriebe verscherbelt, die dort bis zuletzt die verbleibenden Goldreste aus dem Gestein kratzen – unter immer größerem Risiko für die Arbeiter und häufig mit noch geringeren Umweltstandards.
So versuchte sich Aurora zuletzt am Erwerb der Förderlizenzen für die beiden Goldminen Grootvlie und Orkney, welche bis dahin von der insolventen Minengesellschaft Pamodzi unterhalten wurden. Nun ist Aurora selbst Pleite, wird zwangsvollstreckt. Vor Gericht soll geklärt werden, wer die Schuld an den katastrophalen Umweltschäden zu tragen hat.
Politisch brisant ist im Fall Aurora die Verwicklung von Khulubuse Zuma, einem Neffen des amtierenden Präsidenten, sowie Zondwa Mandelas, einem Enkel des gleichnamigen Nationalhelden, und Michael Hulley, der als Anwalt unter anderem Staatschef Zuma vertrat. Alle drei waren im Vorstand von Aurora vertreten, Zuma Junior zuletzt gar als Firmenchef.
Bisher verhalfen ihnen ihre klanghaften Namen zu günstigen Krediten und schmeichelhaften Zuwendungen. Doch angesichts der akuten Schieflage des Unternehmens scheint auch ein groß angekündigtes Übernahmeangebot einer chinesischen Minengesellschaft immer unrealistischer. Ein Gericht verhängte nun eine Frist bis zum 16. August. Bis dahin muss ein Finanzierungskonzept her.
Doch die Verantwortlichen haben die Ausweglosigkeit der Lage offenbar längst erkannt und verlassen das sinkende Schiff. Sowohl Zuma als auch Mandela erklärten ihren Rückzug aus dem Vorstand von Labat, einem börsennotierten Chip-Hersteller, dessen Bürgschaften in der Vergangenheit die windigen Minengeschäfte Auroras gedeckt hatten.
Allein dieses Beispiel verdeutlicht die Intransparenz des südafrikanischen Bergbaugeschäfts, in dem Korruption und eng gebundene Seilschaften an der Tagesordnung sind.
Zwar sind auch andere Länder, in denen Gold gefördert wird, von ökologischen Problemen betroffen. Der südafrikanische Bergbau jedoch unterliegt vergleichsweise minimalen Auflagen. Seit zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein wahrer Goldrausch am Kap ausbrach, florierte der Abbau des begehrten Edelmetalls, Südafrika stieg zur weltweit größten Exportnation von Gold auf.
Das spätere Apartheitsregime verdiente sich eine goldene Nase und konnte die wegen der prekären Menschenrechtslage verhängten Sanktionen der internationalen Gemeinschaft mit den lukrativen Einnahmen aus dem Goldabbau kompensieren.
Bis heute genießt die südafrikanische Bergbauindustrie sogar Steuerfreiheit. Doch damit könnte bald Schluss sein: Unlängst brachte das Parlament neue Initiativen auf den Weg, mit denen bis 2014 nicht nur die Vorzüge der Steuerfreiheit entfallen sollen. Wieder einmal propagiert der regierende ANC (African Nation Congress) eine gerechte Umverteilung der Ressourcen, die „schwarze“ Bevölkerung Südafrikas solle künftig zu 26 Prozent an den Gewinnen der Goldförderung beteiligt werden.
Doch die goldenen Zeiten gehören längst der Vergangenheit an, seit Jahren verzeichnet die Branche deutliche Gewinneinbußen, sieht sich mit sinkender Rentabilität konfrontiert. Die Förderung ist mit stetig steigenden Kosten verbunden, da der begehrte Rohstoff in sehr tiefgelegenen Schichten lagert. Schon jetzt bohren sich die tiefsten Goldbergwerke der Welt in die Erde Südafrikas – in bis zu drei Kilometer Tiefe. Mit jedem Meter steigt das Einsturzrisiko, immer wieder kommt es zu Unglücken. Erst 2007 konnten über 3.000 Kumpel unter glücklichen Umständen gerettet werden.
Weit weniger Grund zur Freude bereiten Beobachtern die gegenwärtigen Messungen in und um Johannesburg. Die verheerenden Auswirkungen des leichtsinnigen Umgangs mit den ohnehin lockeren Umweltstandards sind zwar bislang nur zu erahnen. Doch in einem Jahr, vielleicht in anderthalb, könnte das giftige Grubenwasser aus der Aurora-Mine auf den Straßen Johannesburgs stehen, befürchten Experten.
Knochenjob mit miserabler Bezahlung
In den übrigen Schächten des Landes sieht es kaum heller aus. Nachwievor erwirtschaftet die Branche 17 Prozent des südafrikanischen Bruttoinlandsprodukts, nicht nur Gold spielt dabei eine Rolle: 90 Prozent aller weltweit bekannten Platinvorkommen lagern in der Erde Südafrikas – und die exklusiven Rechte zum Abbau des hoch begehrten Edelmetalls teilt sich eine kleine Gruppe internationaler Unternehmen, vorne weg Impala Platinum Holdings Limited (Implats) und Northam Platinum.
Erstmals könnte die National Union of Mineworkers mit ihrer Forderung nach einer allgemeinen Gehaltserhöhung um 1000 Rand am längeren Hebel sitzen. Es geht um knapp 100 Euro pro Monat. 7000 der rund 8000 Beschäftigten von Northam Platinum werden laut eigenen Angaben durch die einflussreiche Gewerkschaft vertreten. Deren Vertretern geht es in den Verhandlungen auch um eine Aufstockung der Unterhaltszahlungen. Da viele der südafrikanischen Fördergebiete in ländlichen Regionen mit oftmals rudimentärer Infrastruktur liegen, lebt die Mehrheit der dort beschäftigten Arbeiter in Wohnsiedlungen, die von den zuständigen Minengesellschaften zur Verfügung gestellt werden. Neben dem niedrigen Lohn kommen die Unternehmen auch für den Lebensunterhalt der Angestellten in den Wohnbarracken auf.
Doch davon bleibt bei einer Gesamtinflation von 4,2 Prozent immer weniger übrig. Vor allem die Nahrungsmittelpreise sind seit April durchschnittlich um 4,8 Prozent gestiegen. Hintergrund ist nicht zuletzt der um satte 21 Prozent in die Höhe gestiegene Spritpreis.
Mangelhafte Importrichtlinien der Industriestaaten
Währenddessen verzeichnen die Größen der Branche Milliardenumsätze. Seit 1998 ist der Platinindex an der Börse in Johannesburg um über 250 Prozent gestiegen.
Die Arbeiter verrichten in den engen Schächten Knochenarbeit zu Hungerlöhnen. Anleger profitieren indes bei der lang angekündigten Auflösung von Impala Platin gar vom niedrigen Kurs des südafrikanischen Rand. Am 10. Juni stieg der größte Aktionär Gencor aus, wodurch das Implats-Imperium, das 2009 schätzungsweise ein Viertel der globalen Platinerzeugnisse förderte, zerfiel.
Nachfolger dürften indes nicht lange auf sich warten lassen. Die weltweite Nachfrage nach Platin steigt unaufhaltsam, die Händler erzielen auf den internationalen Märkten immer neue Rekordpreise.
Auch bei Mangan und Chrom verfügt Südafrika mit 80 beziehungsweise 70 Prozent der weltweiten Vorkommen quasi über eine Monopolstellung.
Hinter Russland (44 Prozent der weltweiten Fördermenge) gehört Südafrika zudem im Export von Palladium (40 Prozent) zu den international führenden Lieferanten. Platin und Palladium zählen zu den seltensten metallischen Elementen und sind meist zusammen am selben Ort vorzufinden.
Bedarf haben vor allem Hersteller von Katalysatoren, aber auch andere technische Produkte wie Nickel-Hybrid-Akkus beruhen wesentlich auf der Verarbeitung von Palladium, und gelten durch den Verzicht auf das Schwermetall Cadmium zudem als besonders umweltfreundlich. Auch das deutsche Umweltbundesamt weist auf die Gefährdung des Grundwassers durch Cadmium hin.
Anders als im Europa der Mülltrennung werden beim Bergbau in Südafrika und andernorts auf der Welt erhebliche Mengen von Schwermetallen aus dem Erdreich geschwemmt – darunter auch Cadmium oder Quecksilber, die in der Produktion der umweltfreundlichen Neuentwicklungen auf dem Batteriemarkt „eingespart“ werden.
Strengere Auflagen zum Schutz der Umwelt, ähnlich wie sie seit Jahren für den Import von Diamanten aus Krisenregionen gefordert werden, könnten nicht nur bei der Goldgewinnung die Produzenten zum Einlenken zwingen. Bislang fehlt es seitens der Industrienationen, den Hauptabnehmern der südafrikanischen Edelmetalle, jedoch an eindeutigen Signalen.
Die Unentschlossenheit der Abnehmerländer hält die Fördermengen oben, auf Kosten von Arbeitern und Umwelt. Letztlich bedarf es jedoch auch in Südafrika selbst konkreter Maßnahmen zur Verschärfung der Richtlinien, um mögliche Vorgaben effektiv umsetzen und deren Einhaltung kontrollieren zu können.
Mit Blick auf die Situation in und um Johannesburg ist Eile geboten. Einige Beobachter sprechen bereits vom Tschernobyl Südafrikas. In der Tat, die tragische Geschichte des südafrikanischen Bergbaus ist die Geschichte einer unbelehrbaren Industrie, im unerschütterlichen Glauben an technische Lösungen und Fortschrittlichkeit, getrieben von grenzenloser Profitgier.
Ein lohnender Lösungsansatz für das ökologische Desaster könnte die alt bewehrte Siebtechnik sein, wie sie z.B. in der Mongolei angewandt wird… statt das Grundwasser mit Quecksilber zu vergiften, wie es in Südafrika und andernorts auf der Welt passiert, um das Gold aus dem Gestein zu lösen.
Siehe:
http://www.3sat.de/page/?source=/nano/umwelt/143202/index.html
- bisheriges Verfahren in Südafrika –
bzw.:
http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=18455
- Siebtechnik in der Mongolei -
Die Behörden wissen sehr wohl um die gesundheitsschädlichen Machenschaften der Bergbauindustrie. Doch auch der Staat verdient zu gut am giftigen Geschäft, als dass die Entscheidungsträger handfeste Verbesserungsvorschläge einbringen würden.
Und die Entschädigungsangebote der betroffenen Anwohner sind lächerlich! auch wenn manche (wirtschaftsnahe) Medien die Ablehnung der Bewohner als Trotz darstellen… wer würde sich denn freiwillig in eine gänzlich unbekannte Gegend umsiedeln lassen (so sehen es die Pläne vor), in der er befürchten muss, kein Wasser vorzufinden?! Unreines Wasser ist eine Sache,
kein Wasser ein ganz andere… fast schon ein sarkastisches Angebot!!!