Golf von Guinea: Nigeria und Benin gemeinsam gegen Piraterie

Thursday 06th, October 2011 / 02:06 Written by

 Nigeria und Benin haben eine gemeinsame Patrouille-Mission im Golf von Guinea aufgenommen. Ziel der bewaffneten Schiffsflotten ist die effektive Bekämpfung der Piraterie, die sich vor den Küsten Westafrikas zu einer ernst zunehmenden Gefahr für Besatzungen und Frachtverkehr entwickelt. Beobachter schätzen die Bedrohung für die wirtschaftliche Entwicklung der Region mittlerweile gleichwertig mit der Situation in Somalia ein. Dabei sind die Übergriffe vor allem Ausdruck mangelnder Kontrollmöglichkeiten, denn auch der Drogenschmuggel und die illegale Fischerei nehmen vor den Küsten Westafrikas stetig zu.

Als besonders betroffen gilt der Handelskorridor zwischen dem ivorischen Abidjan und Lomé (Togo). Bereits für die erste Hälfte dieses Jahres liegen Berichte über mindestens 18 Überfälle allein in den Hoheitsgewässern Nigerias und Benins vor. Problematisch ist vor allem die geringe Truppenstärke der nationalen Marineeinheiten sowie deren veraltete Ausrüstung. Doch auch die diplomatische Annäherung der regionalen Schwergewichte verlief bislang alles andere als zielstrebig.

Nach unverbindlichen Gesprächen von Vertretern der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS (Economic Community of West African States) einigten sich der nigerianische Präsident Goodluck Jonathan und Amtskollege Thomas Yani Boni aus Benin nun jedoch auf eine gemeinsame Marinemission im Golf von Guinea. Dabei wird Nigeria sowohl finanziell wie personell den deutlich größeren Anteil haben.

Bewaffnete Patrouillenboote – zum Großteil ausrangierte Modelle der US-Küstenwache – sollen künftig auf hoher See verkehren, um für den Fall eines gemeldeten Überfalls schnell eingreifen zu können. Mehrere europäische Staaten verhandeln bereits seit Jahren über eine materielle und finanzielle Unterstützung sowie Aus- und Fortbildungsprogramme für die Marineeinheiten ausgewählter afrikanischer Länder. Die MCA (Maritime Co-operation with Africa) soll zudem die Zusammenarbeit der regionalen Organisationen verbessern.

Unlängst hatte auch China der Regierung Benins 34 Millionen Dollar in Aussicht gestellt. Die Gelder sollen vor allem zur Bekämpfung der Piraterie eingesetzt werden und eine Modernisierung der nur knapp 700 Einheiten umfassenden Marine Benins ermöglichen.

 

Wirtschaftlicher Aufschwung in Gefahr

Die Länder am Golf von Guinea pumpen täglich mehr als drei Millionen Barrel Rohöl, was bei großzügigen gesicherten Reserven bereits jetzt immerhin vier Prozent der weltweiten Fördermenge entspricht. OPEC-Mitglied Nigeria stellt mit rund 2,2 Millionen Barrel den Löwenanteil, doch nicht zuletzt Ghanas kürzlich erfolgter Einstieg ins Ölgeschäft verspricht weiterhin steigende Frequenzen auf den Haupttransportrouten vor den Küsten Westafrikas.

Golf von Guinea/ Westafrika
stepmap.de: Jetzt eigene Landkarte erstellen 

StepMap  

Golf von Guinea/ Westafrika

 

 

Die wirtschaftliche Erholung in der Elfenbeinküste sowie steigende Exporte von Metallen, Kakao und Kaffee aus Benin und anderen ökonomisch aufsteigenden Ländern lassen für Experten wenig Zweifel an einer intensivierten Aktivität der Piraten in der Region. Jüngstes Beispiel ist ein Überfall auf ein Containerschiff vor der Küste Guineas.

Die wirtschaftliche Stabilität sei durch die zunehmenden Aktivitäten der Piraten ernsthaft in Gefahr, warnen Sicherheitsexperten. Manche Beobachter rechnen für die Volkswirtschaften der Region mit einem jährlichen Verlust von bis zu zwei Milliarden US-Dollar. Erste Unternehmer zögen bereits einen Rückzug ihrer Handelsaktivitäten im Golf von Guinea in Erwägung; weniger Schiffe könnten die Häfen der Wirtschaftszentren anlaufen, befürchten Ökonomen. Eine derartige Isolation könnte zu steigenden Rohstoff- und Lebenshaltungskosten in den betroffenen Ländern führen und hätte somit auch für die Bewohner der Region weitreichende Folgen.

Nachdem die International Maritime Organization (IMO) für den Zeitraum von 2009 (46) und 2010 (47) von einer gleichbleibend, vergleichsweise niedrigen Zahl an Überfällen in Westafrika berichtet hatte, bestätigte der Verband für 2011 einen dramatischen Anstieg an bewaffneten Überfällen in der Region. Andere Quellen legen nahe, dass die Dunkelziffer bereits für die Vorjahre deutlich höher ausfiel als offiziell angenommen.                                                                                                                                                                                                                   Nicht zuletzt der Mangel an statistischen Daten macht einen aussagekräftigen Vergleich zwischen einzelnen Regionen schwierig. Während die internationale Gemeinschaft die Situation vor Somalia nach langem Zögern ernst nimmt, gilt Piraterie im Golf von Guinea weiterhin als Randphänomen. Dass dem nicht so ist, veranschaulicht allein die Zahl der registrierten Überfälle in Nigeria: Durchschnittlich vermerkte die nigerianische Küstenwache in diesem Jahr 10 bis 15 pro Monat.

 

Die US-Fregatte Samuel B. Roberts bereitet sich auf eine Visite im Hafen von Pointe Noire in der Republik Kongo vor, wo sie im Rahmen der Africa Partnership Station (APS) West. Traininseinheiten in Zusammenarbeit mit lokalen Einheiten durchführen wird - Foto: U.S. Navy, Mass Communication Specialist 1st Class Terry Spain

Die US-Fregatte Samuel B. Roberts bereitet sich auf eine Visite im Hafen von Pointe Noire in der Republik Kongo vor, wo sie im Rahmen der Africa Partnership Station (APS) West Übungsseinheiten in Zusammenarbeit mit der lokalen Marine durchführen wird - Foto: U.S. Navy, Mass Communication Specialist 1st Class Terry Spain

Hausgemachtes Problem trifft auf organisierte Kriminalität

Anders als vor der Küste Somalias haben sich die Piraten im Golf von Guinea weniger auf die Geiselnahme der Schiffsbesatzungen spezialisiert: Sie interessiert meist die Fracht und deren anschließender Verkauf.

Die Piraterie im wenig kontrollierten Raum der offenen Meere vor den Küsten Westafrikas vermengt sich zunehmend mit anderen illegalen Machenschaften. Im Zusammenhang mit der Ölförderung im Nigerdelta fällt eine weitere Parallele zur gegenwärtigen Piraterie im Golf von Guinea auf: Der Widerstand gegen multinationale Konzerne und ihre oftmals intransparenten Machenschaften.

So ist die Piraterie in den Küstengewässern Westafrikas ähnlich wie in Somalia eng mit dem Kampf der lokalen Bevölkerung gegen die Ausbeutung der Meere verbunden. Nicht wenige der schnell agierenden Piraten sind ehemalige Mitglieder verschiedener Rebellengruppen im Nigerdelta. Bewohner der ölreichen Region sabotieren seit einigen Jahren die Arbeit der Ölindustrie, der sie Korruption, Ausbeutung und schwere Menschenrechtsverletzungen vorwerfen. 2008 hatten Angriffe militanter Gruppierungen auf Bohrprojekte internationaler wie nationaler Firmen zu einem dramatischen Rückgang in der Ölförderung in der Region geführt.

Ferner beobachten Experten seit einigen Jahren eine erhebliche Zunahme des Drogenschmuggels in der Region. Vor allem Kokain aus Südamerika gelangt immer häufiger über Westafrika nach Europa.

 

eufrika.org: „Nigerias Kampf gegen die illegale Fischerei“

Hintergrundbericht über Ölförderung und Piraterie im Nigerdelta: „Oil Pirates of the Niger Delta“

Jahresbericht 2010 der International Maritime Organization: “Reports on Acts of Piracy and Armed Robbery against Ships – Annual Report 2010″

Übersicht über bewaffnete Konflikte vor den Küsten im (westlichen) Afrika, zusammengetragen vom britischen Institut Chatham House für internationale Beziehungen: „Piracy and Armed Non-State Actors“

eufrika.org: “Internationale Fangflotten vor Somalia und ihr illegales Geschäft mit dem Fisch”

Diesen Artikel empfehlen bei:
  • Facebook
  • Twitter
  • MisterWong
  • Google Bookmarks
  • del.icio.us

About the author

Marius Münstermann is based in Berlin where he works as a freelance journalist. Marius serves as editor-in-chief at eufrika.org.

View all articles by Marius Münstermann

eufrika on Facebook