Gut gemeint: Schwäbisch Gmünd lässt Flüchtlinge Koffer tragen

Wednesday 24th, July 2013 / 23:27 Written by

 

Wappen von Schwäbisch Gmünd

Einhorn im Wappen: Schwäbisch Gmünd

Wie geht Deutschland mit Asylbewerbern um? Die Stadt Schwäbisch Gmünd setzt Flüchtlinge aus Nigeria, Kamerun, Pakistan und Afghanistan in einem gemeinsamen Pilotprojekt mit der Deutschen Bahn zum Koffertragen am örtlichen Bahnhof ein. Zunächst sind alle Beteiligten begeistert, doch dann schlägt die Stimmung plötzlich um.

Eigentlich haben es Landrat Klaus Pavel, Oberbürgermeister Richard Arnold und die Bahn nur gut gemeint: Eine Baustelle erschwert Reisenden im Bahnhof von Schwäbisch Gmünd den Übergang von einem Gleis zum anderen. Um das Umsteigen für Bahnkunden zu erleichtern, plant die Stadt zusammen mit ihren Partnern den Einsatz von Asylbewerbern – ein bislang wohl einmaliges Projekt, das allerdings kurz nach dem Start schon wieder eingestellt werden muss. Denn als das Vorhaben bundesweit bekannt wird, sehen sich die Verantwortlichen mit einem Sturm der Entrüstung konfrontiert.

“Der Gmünder Bahnhof wird für sieben Millionen Euro saniert. Die Toiletten und das Restaurant werden erneuert. Der Bahnsteig wird angehoben – des leichteren Einstiegs wegen. Vor allem aber werden zwei neue Aufzüge für Barrierefreiheit sorgen. Bis es so weit ist, führt ein Treppengerüst aus Metall von Gleis eins auf zwei und vier – und ist vielen Gmündern ein Dorn im Auge. Denn mit Koffern oder gar Fahrrädern und Kinderwägen stellt dieser Übergang für viele eine Herausforderung dar”, beschreibt die “Gmünder Tagespost” die Ausgangslage.

Für 1,05 Euro die Stunde sollten Asylsuchende, die sich freiwillig zu dieser Aufgabe melden konnten, Kinderwägen und Koffer über einen behelfsmäßig errichten Fußgängerübergang tragen, ausgestattet mit T-Shirt, Namensschild und einem Strohhut gegen die Sommerhitze. Zum Vergleich: Gewerkschaften fordern derzeit die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro die Stunde.

Jetzt ist die Aufregung groß, Schwäbisch Gmünd steht plötzlich bundesweit in den Schlagzeilen. Kurz nach dem Start zieht die Deutsche Bahn die Notbremse und steigt aus. Der Konzern fürchtet den Imageschaden und will erst spät von den “konkreten Beschäftigungsbedingungen” erfahren haben. Die Bahn setzt nun eigene Hilfskräfte zum provisorischen Gepäcktransport in Schwäbisch Gmünd ein. Das Projekt “Arbeit für Asylbewerber” ist damit gescheitert.

Abgesprochen war das Bahnhofsprojekt mit allen zuständigen Stellen: Beteiligt waren lokalen Medienberichten zufolge neben Stadt und Landkreis sowie der Regionalbereichsleiter Südwest der Deutschen Bahn und auch der örtliche Verein “Arbeitskreis Asyl“.

Das Problem: Mehr als 1,05 Euro durfte die Stadt ihren neuen Servicekräften nicht bezahlen. Schwäbisch Gmünd ging bei der Bezahlung bis an die gesetzlich fixierte Obergrenze – und musste ansonsten auf angemesse Trinkgelder hoffen. Denn für Asylbewerber in Deutschland ist der Maximallohn nach dem Asylbwerberleistungsgesetz eng begrenzt, wie unter anderem der “Spiegel” betont.

Die Stadt bedauert, ein Sprecher appelliert an die Bundesregierung: “Gebt den Kommunen die Freiheit, was zu tun. Das würde den Alltag der Integration erleichtern.”

Ungewollt hat die Stadt Schwäbisch Gmünd damit eine längst überfällige Debatte angestoßen: Im Kern geht es dabei um die Frage, wie Deutschland mit Asylbewerbern umgeht, die mitunter Jahre auf eine abschließende Bewertung ihrer Anträge warten und dabei weitgehenden Arbeitsbeschränkungen und der umstrittenen Residenzpflicht unterliegen.

“Das ist ein toller Dienst und sehr bemerkenswert. (…) Wir brauchen solche Projekte. Es ist toll, dass Flüchtlinge eingebunden sind. So kann sich gegenseitig geholfen werden und es können Sympathien entstehen.” (Landrat Klaus Pavel zum Start des Projekts, zit. n. “Gmünder Tagespost“, 24. Juli 2013)

“Wir haben in Gmünd viele Flüchtlinge, und es werden stetig mehr. Da setzten sich die Bürger natürlich mit dem Thema auseinander. Es ist toll, wenn das durch eine witzige und tolle Aktion geschieht, die beiden Seiten was bringt.” (Oberbürgermeister Richard Arnold, ebd.)

 

Mehr dazu unter:

“Zeit online” zum Thema: “Deutsche Bahn will Flüchtlinge keine Koffer tragen lassen

Christoph Sydow im “Spiegel”: “Kofferschleppen für 1,05 Euro die Stunde

Flüchtlinge helfen am Bahngleis“: Matthias Thome in der “Gmünder Tagespost

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