In der Höhle der Löwen

Sunday 18th, April 2010 / 22:15 Written by

 

Simba fans celebrating their team's lead. © eufrka.org

Simba-Fans feiern die Führung ihres Teams. © eufrika.org

Derbyzeit in Dar es Salaam, Simba vs. Yanga, eine Stadt im Rausch. Großes Spektakel, auch als neutraler Beobachter.

Es ist selbst für tansanische Verhältnisse heiß, zumal am Vormittag. Dazu macht sich eine ganz besondere Atmosphäre breit. Dar es Salaam ist zwiegespalten, an manchen Kreuzungen erscheint alles wie ein grün-gelbes Menschenmeer, andere Ecken sind komplett in rot und weiß gehüllt. Die Fanzugehörigkeit der Fahrer entscheidet über die Flagge am Kühlergrill der Dallas. Diese wiederum beeinflusst die Passagiere in ihrer Wahl des für sie richtigen Minibusses. Auf den zweispurigen Hauptstraßen stacheln sich die Insassen zweier sich in Hohem Tempo schneidender Dallas gegenseitig an. Das ständige Hupen, die lauten Motoren und der allgemein hohe Geräuschpegel des Straßenverkehrs lassen jedoch die meisten ihrer Schmährufe im Fahrtwind verstummen, bevor sie durch die geöffneten Fenster der so eben überholten Konkurrenz dringen können. Doch auch Gestiken und mit dem Finger gemalte Wunschergebnisse, die verdreckte Heckscheiben und staubige LKW-Planen zieren, zeigen Wirkung. Die Presse scheint kein anderes Thema zu kennen, die Leute auf den Straßen ohnehin nicht. Der Mann mit den amputierten Beinen, der für gewöhnlich auf der Terrasse einer Bar verweilt, muss kräftig kurbeln, um sein mit Megaphon und Fanschal aufgemotztes Fortbewegungsmittel präsentieren zu können. Es werden Wetten abgeschlossen, an der Haltestelle tauscht man letzte Insiderinformationen aus. Es ist Derbyzeit in Dar es Salaam. Alles redet über das mechi kubwa, das Big Match.

Yusufu ist gerade dabei, sich seine Glücksstutzen hochzuziehen, als ich ihn zum Spiel abhole. Während er sich die Schuhe zubindet schaut er kurz zu mir auf, sieht das Rot meines T-Shirts und sagt schmunzelnd: “Good choice!” Er, der sonst eher schlicht gekleidete Kerl, trägt ein dunkelrotes Trikot, den Löwen (Swahili: simba) auf der Brust und die Siegesgewissheit im Gesicht. Yusufu ist mit Leib und Seele Simba-Fan – und natürlich noch Arsenal. Er verpasst kein Heimspiel und hat mich kurzfristig mitgenommen, zum größten Sportereignis des Jahres.

Simba und Yanga Fans tauschen letzte Tipps aus. © Simba & Yanga Sc Fans Page - Facebook

Simba und Yanga Fans tauschen letzte Tipps aus. © Simba & Yanga Sc Fans Page

Während der knapp einstündigen Fahrt stadtauswärts sieht man immer mehr Euphorisierte, in alle Richtungen Winkende, wie auf heißen Kohlen Tanzende, Fahnen Schwenkende und Tröten Blasende. Die glänzenden Dächer der Dallas bieten die Bühne für selbsternannte Anpeitscher. Die Blechdächer eignen sich hervorragend als Trommel. In unserem Bus hämmert lediglich bassschwerer HipHop von hinten durch die Reihen, doch auch der hat es in sich. Ein paar Wenige sind noch mit ihren Einkäufen vom Markt oder einem auseinander geschraubten Ventilator unterm Arm unterwegs. Alle anderen zieht es wie die Ameisen zum Gipfeltreffen der beiden größten Fußballclubs Tansanias, beide aus der inoffiziellen Hauptstadt Dar es Salaam. Die Yangas (Young Africans) reisen mit breiter Brust an, mit 34 Meisterschaftstiteln und nicht zuletzt dank Sieg im letzten Aufeinandertreffen. Die Simbas standen immerhin 25 Mal zu Saisonende ganz oben in der Tabelle. Die Tanzanian Premiere League ist über die Saison gesehen eine recht dröge Veranstaltung, die praktisch seit Bestehen 1965 abwechselnd von Simba und Yanga dominiert wird. Damit die 14 Vereine auch genug zu tun haben, gibt es etliche von Zuckerwasserfirmen oder Autoherrstellern gesponsorte Cups. Heute wird das Finale des Vodacom Cups ausgespielt.

Austragungsort dieses Duells ist das Benjamin Mkapa National Stadium, eine moderne, in der Sonne glitzernden Schüssel mit Platz für 60.000, größtenteils gestiftet und gebaut mit freundlicher Unterstützung aus China. Neutrales Terrain, aus finanziellen Gründen. Beide Teams, so groß die gegenseitige Ablehnung auch sein mag, sind für dieses Aufeinandertreffen gezwungenermaßen auf die Nutzung der Arena angewiesen, da sich keins von beiden eine ausreichend große Sportstätte leisten kann. Immerhin ermöglicht diese Tatsache beiden Fangemeinden ein ausgeglichenes Ticketkontingent. Doch die Trennlinie zwischen den Anhängern der Mannschaften verläuft heute nicht mittig auf der Haupttribüne, die Simbas sind eindeutig in der Überzahl. Etwas mehr als zwei Stunden vor Anpfiff nehmen wir Platz. Bereits zu diesem Zeitpunkt hallen die Gesänge unter dem Dach wider.

© globalpublishers.info

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Um uns herum versammeln sich die unterschiedlichsten Charaktere: Muskulöse Feinrippunterhemdenträger, zahnlose Opas, Besoffene, die kaum mehr in der Lage sind, in ihre monströsen Nebelhörner zu pusten. Die Mehrheit trinkt Wasser und fachsimpelt. Eine Frau trägt ein Kopftuch in Vereinsfarben. Sie kommt allein und mischt sich unter einige der besonders ausgiebig Feiernden. Im weiten Rund sticht ein Kerl mit freiem Oberkörper hervor, vom Typ her gnadenlos betrunkener Engländer und/ oder Groundhopper, der auf einer einsamen Kneipentour Freundschaft mit dem harten Kern des Simbas geschlossen hat. Nur wenige tragen wie Yusufu ein Trikot ihrer Mannschaft. Hauptsache ist, die Farben stimmen. So lassen sich CocaCola T-Shirts ebenso finden wie traditionell blutrote Maasai-Stoffe. Weiter vorne sitzt eine Gruppe Weihnachtsmänner. Daneben bilden die Namen Effenberg oder Beckham auf den Rücken einiger Zuschauer eine Hommage an vergangene Zeiten europäischen Spitzenfußballs. Auf der Gegengeraden scheinen viele Brasilianer zu Besuch zu sein, vereinzelt erkennt man Gelbtöne eines großen deutschen Clubs.

Plötzlich erheben sich alle von ihren Plätzen, ein lautes Pfeifkonzert beginnt: Ein in Grün gekleideter Irrer hat sich auf die falsche Seite des Stadions gewagt. Unter heftigem Beifall wird ihm der schandbare Stoff vom Leib gerissen. Als kurze Zeit später einer Frau – offensichtlich aus Versehen – das gleiche Malheure unterläuft, opfert jemand sein letztes Hemd und streift es der verwirrt dreinblickenden Dame über.

Ein klasse Spiel bis zum Schluss

Aus einer holprigen Anfangsphase heraus entwickelt sich ein temporeiches Fußballspiel. Beide Teams bieten zielstrebigen Offensivfußball, der bereits nach drei Minuten für die Simbas belohnt wird. Nach einer halben Stunde gleichen die Yangas aus, jetzt ist es ein offenes Spiel, das vor Offensivgeist strotzt. Gelungene Aktionen, die es zur Genüge gibt, werden mit frenetischem Beifall bedacht. Die meisten Zuschauer sitzen, schließlich hat man für einen Platz 7.000 Schilling (3,50€) bezahlt. Bei jeder heiklen Situation aber steht das ganze Stadion. Leider bringen beide Mannschaften vor der Halbzeitpause nichts mehr auf die Anzeigetafel.

Das ändert sich in der 53. Minute, als Mussa Mgosi die Löwen erneut in Führung bringt (2-1). Doch die zweite Spielhälfte soll noch mehr Adrenalin freisetzen. Hart, aber meist fair geführte Zweikämpfe peitschen die Stimmung weiter an. Nach einer ersten kniffligen Entscheidung des Schietsrichters hagelt es Plastikflaschen, die jedoch größtenteils auf der Tartanbahn zerplatzen. Jetzt sorgen haarsträubende Absprachefehler zwischen Torhütern und Hintermannschaft und mehr als gewagte Querpässe vor den Strafräumen für erhöhten Pulsschlag. Ein nicht gegebener Elfmeter versetzt die Menge in Rage. Ob der Gefoulte Yanga-Spieler sich vom erneuten Bombardement hat hinreißen lassen, als er sich nach mehrfacher Beschwerde beim Schiedsrichter eine wohl überzogene rote Karte abholt?

Frenetischer Jubel in der Simba-Kurve. © eufrika.org

Frenetischer Jubel in der Simba-Kurve. © eufrika.org

In Unterzahl geraten die Yangas mehr und mehr unter Druck. Besonders beliebt ist jetzt das Zeitspiel des Simba-Torwarts. Unter großem Gelächter lässt er keine Gelegenheit aus, den Ball erst dann mit der Hand aufzunehmen, wenn er in der äußersten Ecke des Sechzehnmeterraums von einem zornig heranpreschenden Yanga bedrängt wird. Doch die Grün-Gelben kämpfen sich entschlossen zurück ins Spiel. In der 69. Minute gleicht Jerry Tegete für die Yangas zum nun verdienten 2-2 aus. Keine fünf Minuten später aber läuft Mussa Mgosi allen davon und macht nach starkem Zuspiel seinen zweiten Treffer (3-2).

Der Schiedsrichter sorgte für einigen Unmut, vor allem auf Seiten der Yanga.

Der Schiedsrichter sorgt für einigen Unmut, vor allem auf Seiten der Yangas.

Ein weiterer, nicht gegebener Strafstoß erzürnt einen Auswechselspieler der Yangas sosehr, dass er eine am Spielfeldrand herumtapsende Taube wegkickt. Eine Aufnahme von dieser Szene rotiert noch Wochen später kurz im Einspieler einer Fußballsendung. Der arme Vogel war als flatternder Glücksbringer am Rande des Geschehens gelandet. Fans beider Lager verhelfen den Jungtieren aus der Kurve zu ihren ersten Flugversuchen – steigen sie empor, ist der Sieg gewiss.

Als die Yangas in der 89. Minute wiederum durch Jerry Teget doch noch zum 3-3 Ausgleich kommen, sieht es völlig unerwartet nach einem versöhnlichen Ende dieser hitzigen Partie aus. Doch in einer vor Anspannung kaum zu überbietenen Nachspielzeit fällt aus einem Getümmel im Strafraum die Entscheidung, der 4-3 Siegtreffer für Simba SC (’93). Die Löwen haben einem irrwitzigen Spiel die Krone aufgesetzt, nicht unbedingt verdient, aber bis zur letzten Sekunde eiskalt.

Jetzt ist das Gebrüll groß. Völlig unerwartet macht sich die gesamte Anhängerschaft noch während der Ovationen für ihr siegreiches Team auf, eine Ehrenrunde auf der ringförmig verlaufenden ersten Etage des Stadions einzuläuten, vorbei an den Ausgängen der geknickten Yangas. Es folgen einige Minuten im chaotischen Gedränge zwischen Tanzenden und hämisch Lachenden. Die Mehrheit bewegt sich einfach nur mit der Masse und singt ausgelassen. Nach und nach strömt die freudentrunkene Menge die serpentinenartigen Brücken hinunter, Fahnen und rot aufleuchtende Bengalos verschwinden in einer Wolke aufgewirbelten Staubs.

Celebrations continues outside the stadium © Deogratias Simba

Nach dem Abpfiff geht das Feiern in der Stadt weiter, zumindest für diese Simba-Ahänger. © Deogratias Simba

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About the author

Marius Münstermann is based in Berlin where he works as a freelance journalist. Marius serves as editor-in-chief at eufrika.org.

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