Kommentar: Marrakesch-Anschlag erschüttert Marokko
Nach der Explosion in einem Touristencafé im Stadtzentrum von Marrakesch mit mindestens 15 Toten und mehr als 20 Verletzten rätseln Beobachter im In- und Ausland über die Hintergründe. In ihren ersten Reaktionen sprachen offizielle Stellen von einer Gasexplosion. Kurze Zeit später erklärte ein Sprecher des Innenministeriums in Rabat, Berichte vom Tatort deuteten auf einen “kriminellen Akt” hin. Wilde Gerüchte kommen auf. Ein Kommentar von Martin Morcinek
Ein Terroranschlag in der Weltkulturerbe-Stadt Marrakesch träfe Marokko an einer empfindlichen Stelle und in einer Zeit wachsender Spannungen. Mit den Protestwellen in Maghrebstaaten wie Tunesien, Ägypten und Libyen waren auch in Marokko erste Ansätze eines demokratischen Aufbruchs aufgekommen. Gleichzeitig gärt im Süden des Landes ein seit Jahrzehnten ungelöster Konflikt mit der international nur teilweise anerkannten Demokratischen Arabischen Republik Sahara (Westsaharakonflikt).
Weitaus plausibler erscheinen allerdings fundamentalistisch, radikal-islamische Zusammenhänge. Viele Beobachter dürften sich an die Attentate auf jüdische und westlich-orientierte Einrichtungen aus dem Mai 2003 erinnert fühlen. Damals waren bei einer Serie von Selbstmordanschlägen in der marokkanischen Hafenstadt Casablanca 40 Menschen gestorben, mehr als 100 wurden verletzt. In der Folge hatte König Mohammed VI. den Kampf gegen den Terrorismus verschärft. Weitere, weniger folgenschwere Anschläge im Jahr 2007 wiesen auf anhaltende radikal-islamische Aktivitäten hin.
Angesichts des jüngsten Vorfalls in Marrakesch wurden Befürchtungen laut, der Anschlag könnte das politische Klima einschneidend verändern und den von Regierungskritikern eingeforderten Demokratisierungsprozess blockieren. Vereinzelt wurde sogar der Verdacht geäußert, dass marokkanische Geheimdienstkreise an der Vorbereitung der Tat beteiligt gewesen sein könnten, um die vermeintliche Bedrohung durch den Terrorismus als Argument gegen eine weitere demokratische Öffnung zu missbrauchen. “Ich bin mir nicht sicher, ob das Regime das Zeug dazu hat, mit der Verfassungsdebatte fortzufahren, aber ich denke, dass sich alle pro-demokratischen Demonstranten nun von der aufblühenden Redefreiheit verabschieden können“, hieß es dazu in dem Exil-marokkanischen Blog “Moroccoboard.com“.
Der Tourismus zählt zu den wichtigsten Stützen der marokkanischen Wirtschaft und garantiert dem Maghreb-Staat dringend benötigte Deviseneinnahmen sowie zahlreiche Arbeitsplätze. Gerade in den strukturschwachen Wüstenregionen des Landes bietet der Tourismus für viele Marokkaner eine berufliche Perspektive. In den vergangenen Jahren wurde dieser für Marokko zentrale Wirtschaftszweig von der Regierung unter Ministerpräsident Abbas El Fassi gezielt gefördert.
Sollte der Zustrom an Touristen versiegen, dürfte die Arbeitslosenrate rapide ansteigen – und mit ihr die sozialen Spannungen im Land. Der Regierung in Rabat muss daher viel daran gelegen sein, die Hintergründe der Tat rasch und nach allen Seiten überzeugend aufzuklären.
Video vom Tatort: “Blutbad in Marrakesch“
Diskussion in New York: ”MoroccoBoard.com“
Reaktionen im Internet: “Social Media Reacts to Marrakesh Bombing“