Die Wirkung von Entwicklung und Migration

Friday 24th, June 2011 / 08:38 Written by

 Zwischen der wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes und den Zu- oder Abwanderungsbewegungen seiner Einwohner gibt es enge Zusammenhänge. Steuerbar wird Migration durch Entwicklungshilfe aber nicht.

Ein Kommentar von Daniela Reichel

Der Zusammenhang zwischen Entwicklung und Migration rückt in den letzten Jahren verstärkt in den Blickpunkt. Früher galt Migration als Einbahnstraße: Die Menschen verlassen ihre Heimat, Gebildete nehmen ihr Know-how mit („Brain-Drain“) und weniger Gebildete ihre Arbeitskraft. Heute sehen wir auch die positiven Wirkungen von Migration auf die Entwicklung der Herkunftsländer, z.B. die finanziellen Rücküberweisungen in die Partnerländer. Die Förderung und Steuerung von Migration kann sogar zu einem wichtigen Instrument der Entwicklungspolitik werden. Die Annahme jedoch, Migration über mehr und verbesserte Entwicklung in ihrem Volumen begrenzen zu können, ist wissenschaftlich nicht haltbar.

Entwicklungshilfe ist kein Instrument zur Steuerung von Migrationsbewegungen

Lange hielt man Migration für ein Anzeichen gescheiterter Entwicklung. Darum halten viele europäische, aber auch afrikanische Politiker bis heute einen erhöhten finanziellen Transfer in Entwicklungsländer für ein geeignetes Mittel, um durch forcierte wirtschaftliche Entwicklung die Migration in reiche Industrie- und Dienstleistungsländer einzudämmen. Danach müsste ein Mehr an Entwicklungshilfe geeignet sein, Migrationsursachen zu bekämpfen – eine These, die der Überprüfung an der Realität nicht standhält. Im Gegenteil: In vielen Fällen hat ein steigendes Einkommen die Auswanderung noch beflügelt, zumindest kurz- bis mittelfristig. Schließlich kann ein höheres Einkommen potenziellen Migranten in ärmeren Ländern, die bisher nicht imstande waren, sich die teure Ausreise zu leisten, die Auswanderung erst ermöglichen. Fazit: Mehr Entwicklung führt zunächst nicht zu weniger, sondern eher zu mehr Migration.

Entwicklungshilfe darf nicht an Auswanderungskontrollen gebunden werden

Entwicklungshilfe sollte auch nicht dazu verwendet werden, die Kooperation von Entwicklungsländern im Bereich internationaler Wanderungsbewegungen zu erpressen, etwa durch Blockaden von Migrationsrouten und Rückübernahmeabkommen, wie zum Beispiel das „Freundschaftsabkommen“ zwischen Italien und Gaddafis Libyen von 2008. Auswanderungskontrollen haben meist einen repressiven Charakter, sind menschenrechtswidrig (Art. 13,2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte) und nicht minder aufwendig als Grenzkontrollen. Sie belasten dementsprechend die Staatshaushalte ärmerer Länder. Das Ziel nachhaltiger Entwicklungszusammenarbeit sollte die Armutsbekämpfung und nicht die Verhinderung von Migration sein.

Eine kluge Verkoppelung von Entwicklungs- und Migrationspolitik

Eine kluge Verkoppelung von Entwicklungs- und Migrationspolitik kann allen Beteiligten – Herkunftsländern, Zielländern und Migranten selbst – zu Gute kommen. Die Möglichkeit einer dreifachen „Win“-Situation wird heute in der Migrationswissenschaft intensiv diskutiert.

„Win“-Situation für Migranten

Dass Migranten selbst profitieren können, wenn sie freiwillig in anderen Ländern Lebenschancen durch Arbeits-, Aufstiegs- und Einkommensmöglichkeiten suchen, ist unbestritten.

„Win“-Situation für die Herkunftsländer

Mehr Migration kann zu mehr Entwicklung in den Herkunftsländern führen. Hierbei spielen die Rücküberweisungen der Migranten in ihre Herkunftsländer bei der Armutsbekämpfung und Entwicklung eine zentrale Rolle. Sie kommen direkt den Familien und Freunden zugute, können also nicht – wie bei Finanztransfers an Staaten oder andere Organisationen – versickern oder zweckentfremdet werden. Mit ihren Rücküberweisungen übernehmen Migranten eine wichtige Rolle für die Entwicklung ihrer Herkunftsländer. Die Weltbank geht davon aus, dass die Rücküberweisungen in Entwicklungsländer die offizielle Entwicklungshilfe (ODA) um ein Dreifaches übersteigen. Rücküberweisungen sind inzwischen zu einem wichtigen Mittel der Armutsbekämpfung geworden, sind eine bedeutende Devisenquelle für die Herkunftsländer und entlasten deren Zahlungsbilanzen.

Doch das Potenzial der Migranten-Gemeinschaften in der Diaspora liegt nicht allein in den finanziellen Zuwendungen. Ihr im Ausland erworbenes Know-how transferieren sie zurück in die Heimat. Sie sind mobil und nicht wenige bewegen sich häufig zwischen Herkunfts- und Aufnahmeland. Migranten kennen die kulturellen Besonderheiten zweier Welten und sprechen deren Sprachen.

Schließlich profitieren Herkunftsländer von der Entlastung ihrer Arbeitsmärkte. Sie können den Arbeitswilligen oft keine Jobs und Verdienstmöglichkeiten bieten – der Hauptgrund für die Wanderungsbewegungen.

„Win“-Situation für die Zielländer

In den reichen Zielländern von Migration hält sich hartnäckig die Meinung, Zuwanderung sei ein Übel, das es zu bekämpfen gilt. Dieses Urteil ist jedoch genauso verbreitet wie falsch. So schreibt zum Beispiel der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration in seinem jüngsten Jahresgutachten:

„Die Vorstellung, Deutschland müsse sich vor Zuwanderung in größerem Umfang schützen, ist nicht nur empirisch falsch, sondern geradezu kontraproduktiv im Blick auf ein angestrebtes wirtschaftliches Wachstum und eine sozialverträgliche und langfristige Umgestaltung des Wohlfahrtsstaates. Gesteuerte Zuwanderung ist notwendig, wenn man den negativen Wanderungssaldo ausgleichen, den wachsenden Fachkräftemangel begrenzen, ökonomische Wachstumspotenziale nutzen und den auf Beitragszahler angewiesenen umlagebasierten Wohlfahrtsstaat lebensfähig halten will.“ (Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration, Migrationsland 2011. Jahresgutachten 2011 mit Migrationsbarometer, Berlin 2011, 20)

Zuwanderung ist also auf Grund des Fachkräftemangels, aber auch aus demographischen Gründen, in den alternden Industriegesellschaften unverzichtbar.

Eine solche dreifache „Win-Situation“ stellt sich allerdings nicht automatisch ein. Die Auswanderung kann für Migranten auch zum Alptraum werden, wenn sie in den Zielländern ausgebeutet, diskriminiert und ausgegrenzt werden. Die Abwanderung von Fachkräften aus den Herkunftsländern kann deren Entwicklungspotenziale schwächen – die Abwanderung von Ärzten und medizinischem Personal beispielsweise kann die medizinische Versorgung zusammenbrechen lassen – wie in vielen Ländern im subsaharischen Afrika geschehen. Zielländer können durch ungesteuerte Migration überfordert werden.

Internationale Arbeitsmigration bedarf daher der aktiven Gestaltung mit Hilfe eines kohärenten Gesamtansatzes der Entwicklungs-, Migrations-, Wirtschafts- und Handelspolitik. Davon sind wir zur Zeit noch weit entfernt. Entwicklungspolitische Ziele der EU werden bisweilen durch ihre Migrations-, Agrar-, Handels- und Fischereipolitik konterkariert. Um solche Widersprüche zu vermeiden, ist eine enge Kooperation auf Augenhöhe von Herkunfts- und Zielländern der Migration, von Industrie- und Entwicklungsländern notwendig. Nur mit Hilfe eines kohärenten Ansatzes und eines fairen Ausgleichs der Interessen können die großen Potenziale der Migration positiv im Sinne aller Beteiligten genutzt werden.

Mehr Informationen zum Thema:

svr-migration, venro, oecd, gtz, boell.de, welt-sichten

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