Kritisch Weiß-Schwarz – Rachel Dolezals race trouble
Racially you’re human, culturally you’re black”,
Ein Kommentar zum Fall Rachel Dolezal.
von Lily Liebert
Rachel Dolezan sorgt für internationale Aufregung, seit ihre Eltern die vermeintlich Schwarze[1] Bürgerrechtsaktivistin als weiß denunziert haben. Es folgt ein Shitstorm aus Warum-Fragen, Zuschreibungen psychischer Verwirrtheit und Vorwürfe des Betrugs und der Enteignung Schwarzer Positionen. Während sich der Großteil des Medienechos auf Sensationsgeilheit á la Michael Jacksons Umwandlung von Schwarz nach weiß bezieht und Fragen der praktischen Umsetzung (Oberflächlichkeiten wie Afro und Hautpigmentierung) nachgeht, stellt Die Welt in einem ansonsten fragwürdigen Artikel die viel interessantere Frage nach der Rechtfertigung für diese Aufregung: Fluide Genderwechsel werden schon fast im Mainstream mit juhu! begrüßt, doch warum solch eine Aufregung beim race-Wechsel?
Abgesehen von ein paar biologistisch argumentierenden Alt-Faschos haben wir uns mittlerweile auf die Gleichheit aller Menschen geeinigt und das kolonialistische Rassedenken überwunden. Weiterhin stark vertretenes rassistisches Gedankengut bezieht sich – zumindest nach gängigen linken Definitionen – auf vermeintlich homogene konstruierte Gruppen, denen jegliche wahrhaftige Grundlage fehlt, wir demnach keine Menschengruppen unterscheiden können. So ist die Dekonstruktion vermeintlich homogener vorurteilsbelasteter Gruppen wichtiger Teil antirassistischer Bildungsarbeit. Ähnliches gilt für die veraltete Zweigender-Vorstellung und linke Versuche eben solche Binarität zu dekonstruieren und somit eben auch freie Genderwahl zu begrüßen.
Rachel Dolezal ist nun nach Michael Jackson wohl die zweite bekannt gewordene Person, die einen vermeintlichen race-Wechsel auf die Spitze getrieben hat. Michael Jackson folgte mit seinem Whitening exzessiv dem weißen Schönheitsideal, das der Globale Norden seit der Kolonialzeit allen Anderen versucht aufzudrücken und somit alle Anderen als weniger schön degradiert. Jacksons Verwandlung kann als Versuch interpretiert werden sich auch optisch der sozial privilegierten weißen Position in der Gesellschaft anzunähern. Rachel Dolezal hingegen wurde als Weiße geboren und nahm eine Schwarze Identität an. Damit hat sie freiwillig für einen von ihr frei wählbaren Zeitraum eine andere soziale Positionierung in der Gesellschaft eingenommen. Im Denken an Mehrheitsverhältnisse hat Dolezal damit weiße Privilegien abgegeben. In ihrer speziellen Situation, Karriere in der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung NAACP (National Association for the Advancement of Colored People), hat sie somit Schwarze Privilegien okkupiert. Dolezal hat sich die Macht verschafft, aus einer Schwarzen Position heraus sprechen zu dürfen. War das für ihre Credibility nötig?
Eine der wichtigsten Analysekategorien des antirassistischen Widerstandskampfes ist die Kritische Weißseinsforschung. Schwarze Aktivistin*innen haben damit ein Werkzeug gefunden, weiße Menschen mit ihren Privilegien zu konfrontieren. Die Anerkennung dieser Privilegien, ein oftmals sehr emotionaler Prozess, geht einher mit der Übernahme eines diskriminierungssensiblen Handelns. Dies bedeutet auch mal die Klappe zu halten, zum Beispiel bei Themen, von denen mensch keine Ahnung hat (in den Afro gefasst zu bekommen), oder bei Themen, bei denen die eigene weiße Mehrheitsmeinung bereits vertreten ist und wir durch Nichtreden Raum für diversity (vielfältige Meinungen und Positionen) schaffen können. In politisch sensibilisierten Umfeldern, und ja, in denen auch viele Genderstudierende vertreten sind, gehören Selbstpositionierungen á la „Ich bin weiß“ oft zum vorausgesetzten Einstieg in eine inhaltliche Auseinandersetzung. In der Konsequenz halten dann mehr weiße Menschen die Klappe, weil sie ja so selbst reflektiert sind, und mehr People of Color haben das Wort. Und das ist auch gut so. Wir brauchen diese selbstauferlegte Sprecher*innenquote, solange wir keine tatsächlich gleichberechtigte Gesellschaft haben. Aber! Es gibt ein großes Aber. Und dieses Aber werden mir diverse linke/PoC/Gendergruppierungen um die Ohren hauen. Und wenn‘s richtig schlecht läuft werden auch noch irgendwelche rechten Maskulinisten meinen Kommentar begrüßen. Daher ist nun große Achtsamkeit gefordert: Critical Whiteness ist ein wichtiges antirassistisches Analysewerkzeug. Wenn dies jedoch dazu führt, dass weiße Menschen sich nicht mehr trauen, am Kampf um eine gleichberechtigte Gesellschaft teilzunehmen oder sie sich nicht mehr trauen, Fragen zu stellen, um etwas zu lernen, dann geht das in die falsche Richtung. Dann passiert der antirassistischen Solidarität das Gleiche wie allen linken Gruppierungen. Sie zersplittert in wirkungslose Nanoteilchen.
Ein Interpretationsversuch für Rachel Dolezals race trouble (ja, das Butlerische Wortspiel ist beabsichtigt) könnte sein, eine sehr reflektierte weiße Frau zu sehen, die ihr Leben dem antirassistischen Kampf widmet. Eine weiße Frau, die weiß, dass sie nicht für und über Schwarze sprechen darf. Eine weiße Frau, die weiß, dass sie in diesem Kampf nicht wieder die weiße Vormachtsstellung einnehmen darf. Eine weiße Frau, die aber doch so viel zu sagen hat und so viel bewegen will. Also nimmt sie eine Schwarze Position an. Das geht, denn es gibt ja tatsächlich keine differenten races. Race ist konstruiert, also konstruiert Dolezal sich die race, die ihr Handlungsmacht gibt für eine gute Sache. Ein bisschen crazy ist das schon. Was sie als Weiße im Gegensatz zu ihrer frei gewählten Schwarzen Position beruflich erreicht hätte, weiß Dolezal selber nicht zu beantworten. Mit ihrer unfreiwilligen Demaskierung wurde – ganz im Sinne Dolezals Schwarzer bürgerrechtlicher Interessen – eine neue Debatte um race-Konstruktionen angestoßen. Hoffentlich erreicht die Debatte auch die radikalsten Critical Whiteness Freund*innen, damit wir nicht alle wie Rachel Dolezal werden müssen. Wir könnten uns an ihren wohl sehr raffinierten Sohn halten: „Racially you’re human“. Und alles andere sollte doch bitte frei wählbar sein.
[1] weiß wird klein und kursiv geschrieben und Schwarz groß, um zu markieren, dass es sich hierbei um soziale Positionierungen handelt, die nichts mit Farbpigmentierungen zu tun haben. Diese Schreibpraxis ist Teil eines diskriminierungsfreien Sprachhandelns.