Maffe, Medikamente und Motivation – mehr als nur ein Bistro für Illegalisierte in Marokko
Von Tanger, Marokko, sind es nur 14 Kilometer bis zum spanischen Festland. Von hier aus versuchen viele Migranten mit dem Boot nach Europa zu gelangen. Doch Spanien und Marokko haben über die vergangenen Jahre ein starkes Abwehrsystem entwickelt. Die “Sans Papiers”, die Illegalisierten, harren oft Monate oder gar Jahre an der Schwelle zu Europa aus. Das Leben in Marokko erlaubt ihnen dabei fast keine offiziellen Spielräume. Also schaffen sie sich ihre eigenen. Sie organisieren sich. Helfen sich aus. Vermitteln Kontakte. Einer der Treffpunkte ist das Bistro von Mohammed*.
* alle Namen wurden geändert
Auffälligkeit – der beste Schutz gegen Willkür
Vor dem kleinen Verschlag im touristischen Zentrum Tangers stehen sie in Grüppchen, plaudern. Man kennt sich. Die meisten kommen aus dem Senegal, Kamerun oder der Elfenbeinküste. Drinnen an den Tischen sitzen sie vor ihren Kaltgetränken, tippen konzentriert auf ihren Handys herum. Manche tauschen ihre Nummern aus. Köchin Amy serviert die senegalesischen Spezialitäten Maffe und Thiap. Oft wird ein Teller geteilt. Ein Berg Reis mit ordentlich in Öl und Erdnusssoße triefendem Huhn ist nahrhaft genug, um bis zu drei Gäste zu sättigen. Die Wände sind tapeziert mit eindeutigen Statements: “Halt zu Rassismus” oder “Gleichheit der Rechte für alle”. Aber auch Bistrobesitzer Mohammed ziert die Wände.
Der Senegalese kennt die Situation seiner Gäste genau. Vor fünf Jahren ist er in der Hoffnung auf eine Fußballerkarriere nach Marokko gekommen. Er wusste nicht, ob hier bleiben oder weiter. War selber oft mittellos. “2011 hat sich die Caritas hier niedergelassen. Sie brauchten jemanden, der Wolof und Bambara spricht – jene Sprachen, die vor allem von Westafrikanern gesprochen werden, die hier ankommen”, erklärt er. Also bekam er eine Stelle als kultureller Mediator. Doch nicht nur beruflich kümmert er sich um die, “frères et soeur”, die Brüder und Schwestern, wie sie sich untereinander nennen. In seiner Freizeit nutzt er seine Fußballexpertise, um die Jungspunte zu trainieren, ihnen etwas Motivation und Struktur zu geben. Er ist der kleinste unter ihnen. Doch ob seines Engagements und seiner eigenen Fußballvergangenheit übernimmt der 30-jährige die Rolle des Trainers und Mentors.
Vor zwei Jahren dann hat er sein Engagement für die Kommune durch das Bistro erweitert. Sein Einsatz verschafft ihm Ansehen. Er ist bekannt wie ein bunter Hund. “Als Baye Fall ist es quasi meine Pflicht zu helfen”, sagt er stolz. Die Baye Fall sind eine auf dem Islam basierende Gemeinschaft, die sich unter anderem aber vor allem über ihre Hilfsbereitschaft definieren. Das gehört sozusagen zur Natur eines Baye Falls. Nicht selten trägt Mohammed bunte Boubou, die senegalesische Variante des Kaftan. Aber auch Blazer und Hipster-Tshirts, die er sich von seinen Europareisen mitgebracht hat, sind Teil seiner Garderobe. Oft trägt er in wilder Kombination beides. Und so signalisiert er auch nach außen: er kennt beide Seiten. Die afrikanische und die europäische. Und vor allem kennt er das Leben dazwischen in Marokko.
Kein Grund zu bleiben
Gerade weil er die Situation beider Seiten kennt, weiß Mohammed: das Leben in Marokko als Sub-Sahara Afrikaner ist schwer. “Illegale haben hier wenig Spielraum. Vor allem, weil sie immer fürchten müssen, verhaftet zu werden. Erst vor ein paar Tagen wurde ich wieder von Menschen angerufen, die von der Polizei krankenhausreif geprügelt wurden. Sich zu treffen oder auszutauschen ist daher immer ein Risiko. Keiner will, dass er entdeckt wird. Die Polizei ist nicht besonders zimperlich.”
Die Situation für Migranten in Marokko habe sich in den vergangenen zwei Jahren zwar verbessert, sagt er. Trotzdem gebe es in regelmäßigen Abständen Razzien. Es nehme gerade wieder zu, sagt er besorgt. Erst im Juli deportierte das Militär ganz Boukhalef, ein Viertel in Tanger, wo viele Gestrandete wohnten. Seit den letzten erfolgreichen Versuchen vergangener Woche von Migranten die Zäune zu überqueren, um in die spanischen Exklaven Ceuta und Mellila zu gelangen, ist die Brutalität der marokkanischen Autoritäten auf einem neuen Höchststand. So wie 2006, als es verhältnismäßig viele Migranten schafften von Marokko nach Spanien überzusetzen und Marokko daraufhin 67 Millionen Euro “Soforthilfe” bekam, um bei der “Bekämpfung illegaler Migration” zu helfen, so ist wohl die gesteigerte die Gewalt eine Reaktion auf die neusten Ereignisse.
Es ist noch schwerer geworden, eine Wohnung zu mieten. Noch schwerer, Arbeit zu finden. Und so ist Mohammed bei vielen bekannt. Viele haben seine Nummer. Oft bekommt er Anrufe von Menschen, die irgendwo gestrandet sind und ihn um Hilfe bitte, wenn sie von der Polizei aufgegriffen wurden. Die Menschen werden mitten auf der Straße oder in ihren Vierteln verhaftet, in Konvois verfrachtet und bis zu 100 Kilometer außerhalb der Stadt transportiert. “Sie haben die Batterie aus meinem Telefon raus genommen, nicht geredet, nichts erklärt”, erzählt Carlos. Er ist einer von denen, der auf kein internes Informationsnetzwerk zurückgreifen konnten, als die letzte Razzia statt fand. “Sie haben alle 15 Leute einzeln ausgesetzt. Mitten im Nirgendwo. Warum sie das machen, weiß ich auch nicht”, erzählt er noch immer völlig verdutzt. Man müsse auch untereinander vorsichtig sein, wem man vertraue. Eigentlich sei er lieber alleine unterwegs. Aber bei Mohammed habe er keine Bedenken, so der Kameruner. Der stehe nun in seiner Kontaktliste. So wie nun manch anderer, mit dem Carlos einen Teller “Maffe” geteilt hat.
Mohammed glaubt, bei den Razzien gehe es um Machtdemonstration. Und Abschreckung. Marokko schwinge die Keule, die Europa dem Land gegeben habe. Vor allem sind die regelmäßigen Verhaftungen dazu da, dass Migranten mehrmals ins Register der Polizei aufgenommen werden können. So würden die Zahlen der Migranten manipuliert. “Oft sind es gar keine neuen Migranten,sondern jene, die schon mehrere Monate hier sind. Bei den Razzien dokumentieren sie oft die gleichen den gleichen.” So könne der marokkanische Staat Druck auf die EU ausüben mehr Geld in die “Flüchtlingsbekämpfung” zu investieren. “Je höher die Anzahl der Migranten, desto größer die Motivation der EU, Marokko Geld zu geben.” Und die Zahlen geben Mohammed recht. Im Rahmen der europäischen Nachbarschaftspolitik ist Marokko Empfänger der meisten Entwicklungshilfegelder. Nach neusten Angaben bekam Marokko zwischen 2007 und 2013 1, 4 Milliarden Euro Zuwendung. Diese Gelder sind dabei an politische Bedingungen geknüpft. Eine davon ist die ausdrückliche Hilfe zur “Migrationsbekämpfung”. Und diese “Bekämpfung” nimmt das Land wörtlich.
Deshalb müssen sich die Menschen nicht nur vor solchen “harmlosen” Razzien vorsehen. Sie können nie wissen, ob man ‘nur’ knapp 100 Kilometer von der Stadt entfernt ausgesetzt, oder aber beispielsweise nach Oujda an die algerische Grenze zur Abschiebung gebracht wird. Die Willkür der Autoritäten ist undurchschaubar. Ganz besonders zur aktuellen Stunde. Mehrere hundert Menschen wurden bereits aus den Wäldern heraus weit in den Süden des Landes verfrachtet. 80 davon sollen sogar mitten in der Wüste vor Tiznit ausgesetzt worden sein. Wüstendeportationen haben Tradition in Marokko. Sie wurden aber seit der Mobilitätspartnerschaft zwischen der EU und Marokko 2013 ausgesetzt. Nun scheinen sie wieder als Methode in Frage zu kommen. Gerade deswegen ist eine gute Vernetzung innerhalb der Kommune so wichtig. Die einzige Gegenstrategie, die den Menschen bleibt, sind die sozialen Netzwerke und vor allem die Mund-zu-Mund-Propaganda. “Im Resto können sich die Leute treffen. Denn die Polizei hat hier im Zentrum kein großes Interesse, Aufsehen zu erregen. Hier gibt es viel zu viele Touristen”, so Mohammed.
Das Bistro als Kontaktbörse, Bank, Sekretariat
Im Bistro geht es neben den neuesten Razzia-Gerüchten nicht selten auch um ganz alltägliche Hilfestellungen. Hier wird die Kommune um Solidarität gebeten, wenn Geld für Arztrechnungen zusammengekratzt werden müssen. Durch Mohammed erfahren viele von der Arbeit der Caritas. Oder welches Krankenhaus auch Migranten behandelt. Besonders in der Zeit des Ramadan steigen die Versuche der Überfahrt und somit auch die Festnahmen. In direktem Zusammenhang stehen damit leider auch die Verletzungen durch Polizisten. Auch jetzt,wo sich die Situation wieder verschärft ist Solidarität der beste Schutz. Im Gegensatz zur Caritas sind die internen Strukturen dabei viel schneller, wenn es etwa darum geht, Medikamente oder Arztrechnungen zu begleichen.
Für manche ist das Bistro zudem eine Art “Büro”. Hussein beispielsweise ist einer von jenen, die man fast täglich im Restaurant antrifft. “Ich kaufe kaputte Telefone oder andere Technik ab, repariere sie, und verkaufe sie dann weiter. Wer ein Telefon braucht, sagt mir Bescheid und ich lasse meine Kontakte spielen”, sagt der 23 jährige Ivore. Seine marokkanischen Geschäftspartner kenne er vom Strand vom Fußball spielen. Wenn sie ein gutes Angebot haben wüssten sie, wo sie ihn fänden.
Auch die ganz direkten Nöten versucht Mohammed mit seinem Bistro zu lindern. “Viele können sich eine Mahlzeit am Tag nicht leisten. Deswegen habe ich ein System für das Bistro erstellt, bei dem jene, die gerade mehr Geld haben Essen vorfinanzieren können für jene, die einen schlechten Tag hatten oder ihr ganzes Geld in eine missglückte Überfahrt investiert haben. Wenn du aus Polizeigewahrsam kommst, hast du halt nichts. Essen muss der Mensch trotzdem.” Zum Ramadan gab es dazu noch eine Sonderaktion – kostenloses Essen für alle. Eine Ehrensache als Baye Fall. Gerade jene Zeit ist die Saison der oft gescheiterten Überfahrten und der Razzien. Migranten und Polizei bieten sich ein Katz- und Mausspiel. Mohammed handelt daher nicht nur im Sinne der Religion, sondern vor allem auch hinsichtlich der gestiegenen Nachfrage.
Das Bistro als “Reisebüro”
Für Illegalisierte sind so gut wie alle Themen delikat. Denn sie bewegen sich immer außerhalb der offiziellen Strukturen. Doch ganz besonders sensibel ist das Thema der Überfahrten. Mitten im Touristengewühl zwischen Souvenirs-Shops ist die Offensichtlichkeit das beste Versteck.
Die Informationsspannbreite ist enorm, wenn es um die “Reiseangebote” geht. Große oder kleine Boote? Mit Paddel oder Motor? Wie komme ich an einen guten Kapitän? Mit Vorkasse und Garantie oder preiswerter, dafür unsicherer? Welcher Organisator hat eine gute, eine schlechte Reputation? Wird gerade eine Überfahrt organisiert, bei der man noch mit könnte? Diese und ähnliche Insiderinformationen sind es, die hier über die Tische gehen.
Daniel hat viele dieser Informationen. Der 27-Jährige ist regelmäßiger Gast im Bistro. Hier treffen Anbieter auf Nachfrager. Er ist ein so genannter “Connectionman”, das Bindeglied zwischen allen Beteiligten. Er hat die Macht zu beraten und zu verhandeln. Und dies Macht nutzt er. Für die Passagiere macht er entweder eigenständig vor Abfahrten Informationsabende zur Sicherheit auf dem Wasser. Oder er verweist auf Veranstaltungen der Aktivistengruppe “No Borders“, die er unterstützt. Er verteilt Flyer mit Sicherheitshinweisen und Visitenkarten mit der Nummer des Alarm-Telefons der Organisation “Watch the med“, die in Notsituationen auf dem Wasser hilft. Mit dem Chairman verhandelt er die Anzahl der Passagiere, checkt die Qualität der Boote. Er versucht sicherzustellen, dass jeder eine Schwimmweste hat.
Doch nicht nur wenn es um die Organisation geht, kann der hochgewachsene Senegalese Informationen weitergeben. Auch aus persönlichen Erlebnissen konnte er Erfahrungen sammeln. Elfmal saß er selbst in einem der Boote. Auch er ist schon mit schlaffen Armen vom stundenlangen Paddeln um sein Leben geschwommen, als ihn einmal eine große Welle vom Bootsrand ins Wasser riss. Offensichtlich, so sagt er, will irgendjemand, dass er es nie bis zur anderen Seite schaffe. Doch er will hier nicht bleiben. Hier in Marokko fühle er sich ohnmächtig. Er ist zum Nichtstun verdammt. Er fühle sich nicht willkommen, nicht frei. Deswegen will er wenigstens eine Art von Aufgabe haben, irgendwie sinnvoll sein. “Ohne gute Vorbereitung ist es einfach nur fahrlässig die Überfahrt zu wagen”, sagt er und bedient sich großzügig an der ungeheuerlich scharfen Paste, die in der kleinen Metallschale auf dem Tisch zum Nachwürzen der Erdnusssoße bereit steht. “Es ist sehr wichtig zu wissen, wo man gute Informationen her bekommen kann”, sagt Daniel fachmännisch. Wer im Bistro auf ihn treffe, habe schon mal eine gute Ausgangssituation, findet er.