„Afrika – ein „Krisen-, Katastrophen- und Elendskontinent“? – Das Afrikabild in deutschen Schulbüchern

Wednesday 24th, September 2014 / 00:21 Written by

 

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Die Darstellung von AfrikanerInnen in deutschen Schulbüchern ist stark homogenisierend und klischeehaft. Sie berücksichtigt häufig die Vielfalt an sich in Sprache und Kultur unterscheidenden Bevölkerungsgruppen nicht. Massai werden als populäre Bevölkerungsgruppe oft stellvertretend für einen ganzen Kontinent herangeführt. Quelle: deviantart.com

Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass die in Schulbüchern vermittelten Inhalte rassistische und exotistische Afrikabilder reproduzieren. Ein Plädoyer für ambitionierte Lehrkräfte, gewohnte Denkmuster zu durchbrechen und neue Wege des selbstkritischen Lehrens zu beschreiten. 

Wenn über Afrika berichtet wird, stehen vor allem Hunger, Armut, Krieg und Krankheit im Mittelpunkt der Darstellung. Die etablierten Medien, in deren Berichterstattung bezüglich Afrika Bürgerkriege, Epidemien und Naturereignisse einen überproportionalen Raum einnehmen, stellen den Kontinent in der Mehrzahl ihrer Beiträge als einen von Krisen und Elend gebeuteten, hilfsbedürftigen Erdteil dar. Einen Erdteil, welcher sich ohne die Unterstützung Europas nicht aus der eigenen Lage befreien könne. Gerade in der Boulevardpresse halten sich Klischees von „Stämmen“ und „Völkern“ sowie „blutigen Kriegen“ hartnäckig und erzeugen auf diese Weise eine undifferenzierte, spezifisch vereinheitlichende und stereotype Vorstellung von Afrika.

Dieses Bild ist stark von kolonialen Diskursen durchzogen und fußt auf einer diametralen Gegenüberstellung Europas und Afrikas: So wird Europa nur in Abgrenzung zu Afrika begriffen; Afrika selbst wird nahezu ausschließlich als Europas negatives Gegenstück „geframt“. Die jahrhundertealten Allmachtsphantasien und Vorstellungen von weißer Überlegenheit, welche die europäische Expansionspolitik sowie Ausbeutung von Ressourcen und Tausender Menschen legitimierten, bestehen auch weiterhin fort.

Das Schulbuch als institutionalisiertes Identitätsangebot

Neben den Massenmedien kommt einem weiteren Medium – dem Schulbuch – eine große Bedeutung bei dem Erlernen gesellschaftlich geteilten Wissens zu. Als staatliches und institutionalisiertes Medium bietet es Identitätsangebote und repräsentiert eine bestimmte Art sozialen Wissens, welches meist als unhinterfragbar und legitim angesehen und daher an die nächste Generation weitergegeben wird.

Neben der Kommunikation mit den Eltern sowie Kinderbüchern, Fernsehprogrammen und Unterrichtsstunden sind Schulbücher, so konstatiert der niederländische Sprachwissenschaftler und Rassismusforscher Teun van Dijk, „die erste Begegnung mit institutionalisierter erzieherischer Kommunikation über Wissen, Glauben, Normen und Werte. Dies ist der Ort, an dem weiße Kinder in westlichen Ländern, manchmal zum ersten Mal, von Gruppen und Menschen anderer Hautfarbe und von anderen Kulturen, Kontinenten und Nationen hören“.

Schulbüchern ist auch deswegen ein so hoher Stellenwert einzuräumen, da sie die in einer Gesellschaft vorherrschenden „Erzählungen von Wirklichkeit“ abbilden und auf diese Weise Deutungsmuster prägen. Die Krux: Konstruktionen von „Wirklichkeit“ werden mit Definitionsmacht durchgesetzt; einige sind dominanter als andere. Wissen ist daher immer auch hegemonial verfasst.

Befund: Rassismus und Exotismus wohin man sieht

Obwohl in den letzten 40 Jahren eine Reihe wissenschaftlicher Arbeiten zum Thema der Repräsentation von Afrika in Schulbüchern entstanden sind, ist die Problematik in der Öffentlichkeit wenig präsent. Dabei sind die Befunde alarmierend: Rassistische, eurozentrische und exotistische Annahmen finden auch in deutschen Schulbüchern ihren Niederschlag.

Hierbei wird Afrika nicht nur als Gegenpol zu Europa, sondern zudem als Inbegriff der Rückständigkeit, Passivität und Inferiorität konstruiert. Afrikanische Perspektiven und Stimmen sind in deutschen Schulbüchern deutlich unterrepräsentiert und werden durch Aussagen von Weißen, denen für gewöhnlich mehr Autorität zugesprochen wird, ausbalanciert. Die in Schulbüchern verwendeten Abbildungen stellen zumeist AfrikanerInnen in einer homogenen Opferrolle dar und vermitteln ein hierarchisches Verhältnis. Koloniale Praktiken werden in die Vergangenheit geschoben, sodass ein Blick auf neokoloniale Handlungsweisen der Gegenwart verwehrt bleibt. Stattdessen speist sich die Beziehung zu Afrika ausschließlich aus einer unterstellten Hilflosigkeit und daher notwendigen Bevormundung und Belehrung. Das so legitimierte Eingreifen von europäischer Seite erscheint in diesem Licht als altruistisch und großzügig.

Nur selten wird ein Verweis auf ausbeuterische Handelsbeziehungen und neue Abhängigkeiten schaffende Entwicklungspolitik gemacht. Koloniale Deutungsmuster werden ferner auch in den verwendeten Termini fortgeführt, wodurch leicht eine binäre Gegenüberstellung von klar voneinander abgrenzbaren Assoziationspaaren entsteht – zivilisiert/unzivilisiert, modern/traditionell, rational/emotional, höherwertig/minderwertig. Dies impliziert eine von Natur aus gegebene und unabänderbare Unterlegenheit.

Lehrer und Lehrerinnen ans Werk!

Zwar werde bei der Konzeption von Schulbüchern vermehrt auf die Vielseitigkeit und Ausgewogenheit der Perspektiven geachtet. Häufig käme es aber aufgrund von Platzmangel und Redaktionsvorgaben doch zu einer verkürzten und einseitigen Darstellungsform historischer, geographischer, gesellschaftspolitischer sowie kultureller Aspekte.

Lehrkräften kommt die gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu, über eindimensionale und stereotype Schulbuchinhalte hinaus zu gehen und alternative Afrikabilder anzubieten. Evolutionistische und hierarchische Weltbilder müssen aufgedeckt, dichotome Kategorien aufgelöst und die Frage der Verantwortung neu gestellt werden. Häufig werden AfrikanerInnen als Opfer der sie umgebenden natürlichen Bedingungen und ihre Lebensverhältnisse als Folgen inkompetenter Lebensführung interpretiert. Solche simplifizierenden Argumentationsmuster zu entlarven und ihnen komplexere Ansätze gegenüberzustellen, muss Auftrag von Lehrkräften sein.

Auch romantisierenden und infantilen ebenso wie dramatisierenden und effektheischenden Darstellungsformen von AfrikanerInnen gilt es entgegenzuwirken. Die Katastrophenrhetorik der Medien ist mit dem Anspruch der Neutralität von Schulbuchwissen nicht vereinbar. Lehrkräfte sind es, die auf globale Machtstrukturen aufmerksam machen und weltweite Herrschaftsverhältnisse kritisch mit ihren SchülerInnen reflektieren müssen. Hierzu bedarf es allerdings einer hinreichenden Sensibilisierung seitens der Lehrkräfte und einer machtkritischen Komponente bereits während des Lehramt-Studiums. Inwieweit dies gewährleistet ist, bleibt nach wie vor fraglich.

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About the author

Fanny Lüskow hat Soziologie in Kiel und Berlin studiert und ihre Masterarbeit über die Repräsentation des Überbevölkerungsdiskurses in deutschen Printmedien geschrieben. Von 2011 bis 2012 hat sie in Tansania gelebt und an staatlichen Grundschulen im Bereich der ländlichen Entwicklung und Armutsbekämpfung gearbeitet. Seitdem engagiert sie sich insbesondere in der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit und arbeitet als freie Journalistin für die taz und das Afrika-Magazin LoNam.

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