Notwendige Korrektur, nicht Zensur | Kommentar: Rassismus in Kinderbüchern

Tuesday 22nd, January 2013 / 14:25 Written by

 Die Debatte um Änderungen in Kinderbüchern mit rassistischem Vokabular hat nichts mit Zensur zu tun. Das Problem ist unsere beschränkte Definition von Rassismus.

Anmerkungen zu Ulrich Greiners “Die kleine Hexenjagd”

 

Ich war doch einigermaßen überrascht, als ich am Donnerstag die ZEIT aus unserem Briefkasten holte. Nach Wochen unsachlicher Stammtischparolen endlich eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Vorhaben einiger Verlage, Kinderbuchklassiker von rassistischem Vokabular zu befreien? Im Dossier eines deutschsprachigen Leitmediums? Dieser Hoffnungsschimmer sollte nicht lange währen.

Genauer gesagt verflog meine gespannte Erwartungshaltung bereits beim Lesen der Überschrift:

Die Unterzeile „Unsere liebsten Kinderbücher werden politisch korrekt umgeschrieben – ist das ein Fortschritt?“ verkommt im Zusammenspiel mit der klischeebeladenen Bebilderung* und der (bewusst?) provokanten Überschrift zu rhetorischem Beiwerk. In kindlich bunte Unschuld gehüllt, impliziert die ZEIT selbst der verschlafenen Frühstücksleserschaft auf den ersten Blick: Schaut her, wir drucken das böse Wort sogar auf Seite 1, wer sich von dieser kleinen Spitze vor den Kopf gestoßen fühlt, ist sowieso überempfindlich.

Ein Schelm, wer behauptet, der Titel lasse bereits eine gewisse Deutungshoheit in einer angekündigten “Debatte” erkennen.

So weit, so schlecht. Da ich einen derart dummdreisten Blickfang eigentlich eher von der BILD als von der ZEIT erwartet hatte, tat ich den Aufmacher zunächst als redaktionellen Querschläger ab und blätterte weiter zur groß angekündigten Debatte im Dossier.

Hier nun darf Ulrich Greiner das Entfernen rassistischer Begriffe aus Kinderbüchern in seinem Leitartikel Die kleine Hexenjagd lang und breit zu einem „Vergehen an der Literatur“ verklären. In Anlehnung an den Historiker und Rassismusforscher Wolfgang Benz erwähnt Greiner zwar die vorherrschende Haltung eines „weißen Dominanzdenkens“ – verfällt aber letztlich selbst eben dieser grundlegenden Ignoranz.

Mit einer Vorstellung von Freiheit, welche die eigene Autonomie an den Gebrauch rassistischer Wörter bindet, befände sich Greiner jedenfalls an vielen Stammtischen in bester Gesellschaft. Auch ihm scheint es schwer zu fallen, die liebgewonnen Wörter aus dem Sprachgebrauch zu verdrängen. Wie sonst ist zu erklären, dass er mit einem einzigen lauwarmen Halbsatz vermerkt, „in diesem Land gibt es zweifellos Rassismus“ – nur um den Gegenstand der Debatte im selben Atemzug zum exklusiven Problem einer überempfindlichen Minderheit von „Mitbürgern nichtdeutscher Herkunft“ zu degradieren.

Genau hier liegt das eigentliche Problem, das in der Debatte entweder völlig ausgeblendet oder von Mitgliedern der weißen Mehrheitsgesellschaft verharmlost wird: Rassistische Begriffe müssen nicht nur aus „Rücksicht auf die Gefühle von Minderheiten“ problematisiert werden. Das Thema ist auch nicht bloß ein Luxusproblem einer übereifrigen “Sprachpolizei”. Rassismus geht alle an – in diesem Fall die weiße Mehrheitsgesellschaft, von der er ausgeht und gepflegt wird, umso mehr.

Dazu muss Deutschland endlich der eigenen kolonialen Vergangenheit ins Auge blicken und sich eingestehen, dass diese sich eben auch in der Sprache niedergeschlagen hat. Halbherzige Erklärungsversuche á la „Du weißt doch, dass ich das nicht rassistisch meine“ oder das leidige „Ich hab sogar schwarze Freunde“ rechtfertigen keineswegs, rassistische Wörter weiterhin zu benutzen. Wie sehr wir bestimmte Wörter problematisieren, hängt schlicht von unserer zeitgenössischen Rassismus-Wahrnehmung ab. Wir müssen eine Debatte darüber führen, wie tiefgreifend Rassismus in unserem Alltag, in unserer Sprache und somit letztlich in unserem Denken verankert ist.

Kinderbücher und das N-Wort sind nur der Anfang, dutzende Redewendungen gehören auf den Prüfstand. In der aktuellen Debatte geht es nicht bloß um Wörter, die einst als Teil des allgemeinen Sprachgebrauchs unreflektiert verwendet wurden und deren Bedeutung sich im Laufe der Zeit „gewandelt“ hat. Ebenso falsch liegt Greiner, wenn er behauptet, es sei früher „ein gewiss unschuldiges Vergnügen gewesen, sich als Türke oder [N] zu verkleiden.“ All das war so normal, weil die abwertende Haltung gegenüber Minderheiten vollkommen normal war. Wörter und Handlungen waren deshalb früher nicht weniger rassistisch. Rassismus war in der Gesellschaft bloß allgemein akzeptiert.

Teil des Problems ist auch, dass Greiner den oftmals zugegeben heuchlerischen Begriff political correctness kommentarlos mit „menschenfreundlicher Absicht“ gleichsetzt. Political correctness wird immer mehr zum Kampfbegriff entfremdet, bis letztlich mit stolzgeschwellter Brust das exakte Gegenteil als Attribut verwendet werden kann (um diesem idiotischen Haufen nicht noch mehr Aufmerksamkeit zu schenken, werde ich an dieser Stelle nicht auf den Blog PI – politically incorrect verlinken. Wer sich die ewig gestrigen Forumseinträge tatsächlich zu Gemüte führen will, möge eine Suchmaschine bemühen).

Wir befinden uns heute in der paradoxen Situation, dass als „Trottel“ verspottet wird, wer Wert auf sprachliche Korrektheit legt. Während wir uns lautstark in aller Öffentlichkeit damit brüsten können, völlig ungeniert mit rassistischen Begriffen um uns zu schmeißen, erntet entnervtes Augenrollen und Stöhnen, wer bei Diskussionen in der Kneipe, im Büro oder im Seminarraum für sprachliche Sensibilität eintritt. Dabei verbieten sich das N-Wort und viele andere mehr eben nicht bloß im „respektvollen Umgang“ miteinander, wie Greiner meint. Es geht letztlich darum, rassistische Wörter aus dem Sprachgebrauch zu verdrängen  und das eben nicht allein gezwungenermaßen vor dem Hintergrund “politischer Korrektheit”. Vielmehr sollten wir eine Gesellschaft anstreben, in der wir überhaupt nicht mehr auf den Gedanken kommen, andere Menschen zu diskriminieren, wodurch wir uns auch nicht ständig auf die Zunge beißen müssten, um Wörter zu schlucken, die wir doch eigentlich so gerne sagen wollen (und von denen viele scheinbar immer noch nicht wahrhaben wollen, welch diskriminierende Bedeutung sie haben).

So drängt sich auch bei Ulrich Greiners Artikel der Gedanke auf, der Autor hätte im Kampf gegen die lästige political correctness, die er als Pendant zum Diktat des großen Bruders aus Orwells 1984 erklärt, jeden verruchten Buchstaben mit innerlicher Genugtuung getippt. Triumphierende siebenundzwanzig Mal versteht es Greiner, das zur Disposition stehende N-Wort in verschiedensten Varianten zu wiederholen, frei nach dem Motto: “Ich will aber weiter diskriminierende Wörter benutzen!”

Wie viele andere verfällt auch Greiner auf diese Weise der schmeichelhaften aber einfältigen Idee, wir könnten rassistische Begriffe rückwirkend ihrer semantischen Tragweite entledigen, indem wir sie nur oft genug und völlig unschuldsbetont wiederholen. Kein Mensch würde auf die Idee kommen, den Ausspruch „Jedem das Seine“ wieder salonfähig zu machen. Die NS-Zeit hat den Lateinischen Ausdruck suum cuique schlicht verhagelt.

Geht es aber um die Verwendung des ach so harmlosen N-Wortes, so wird immer wieder der lateinische Ursprung von nigro für schwarz betont. Das ist zwar sprachhistorisch richtig, gibt uns aber nicht das Recht, die eindeutige Konnotation von Minderwertigkeit zu ignorieren, die das Wort seit den europäischen Rassetheorien des 17. Jahrhunderts verliehen bekommen hat.

Wir stehen letztlich vor der Aufgabe, unsere Definition von Rassismus zu überarbeiten. Rassistisch handelt nicht nur, wer, wie Greiner nahelegt, dumpfes Gedankengut in Gewalt gegen andere entlädt. Wir müssen eben nicht bloß dem „Heer jener Illiteraten“ und dem „hasserfüllten Schläger“ ein Buch in die Hand drücken. Wir müssen darüber reden, dass Engagement gegen Rechts nicht erst bei der Blockade einer Nazi-Demo beginnt und Rassismus eben mehr ist als der mordende NSU (Hierbei sei daran erinnert, dass die Polizei bei ihrer Ermittlungsarbeit ein rassistisches Motiv so lange ausschloss bis sie von der Realität eingeholt wurde – in Form eines explodierten Wohnwagens und einer Flut von plötzlich unübersehbaren Zusammenhängen. Auch in der ZEIT wurde in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass eine einseitig ausgerichtete SoKo mit dem Namen “Bosporus” nur schwer etwas anderes als “Dönermorde” aufdecken kann. Ja, auch das hat etwas mit sprachlich verwurzeltem – und in diesem Fall institutionalisiertem – Rassismus zu tun).

Greiner hingegen folgt der weit verbreiteten Ansicht, nicht Worte sondern allein Taten seien gefährlich. Diese Sichtweise verneint nicht nur die Tatsache, dass bereits Beleidigungen sehr wohl mit Schmerz verbunden sind. Sprache ist als Ausdruck unseres Denkens viel mehr noch etwas im wahrsten Sinne des Wortes Grundlegendes. Stereotype und rassistische Denkweisen äußern sich zuerst in der Wortwahl. Aber auch umgekehrt gilt: Behalten wir ganz eindeutig rassistische Wörter bei, manifestieren sich diese fast zwangsläufig im Kopf. Und auf Worte folgen bekanntlich Taten.

 

Greiners Zensurvorwurf ist absurd

Für Greiner kommt jegliche Änderung am Original dem Versuch gleich, den Erwachsenen von heute ihre Erinnerung an die Erzählungen ihrer Kindheit zu “stehlen” – als sei das Bewahrenswerte an Astrid Lindgrens Erzählung nicht etwa Pippis freche Nonkonformität sondern der sprachliche Charme einzelner Wörter, die erst durch ihre rassistische Komponente die volle Phantasie der LeserInnen entfalten können.

Um die vermeintliche Sinnlosigkeit (bzw. gar Kontraproduktivität) der von ihm befürchteten Zensur zu belegen, behauptet Greiner schließlich, die kindliche Seele sei „gesättigt mit Aggressivität“. Eine gesunde Entwicklung des Moralempfindens lasse sich daher nicht dadurch herbeiführen, gewisse Wörter erst gar nicht in den Sprachgebrauch aufgehen zu lassen. Letztlich entfalte sich dieser “vitale” Aushandlungsprozess von Richtig und Falsch am besten ohne ein allzu großes Korrektiv, weshalb sich die kindliche Moralentwicklung etwa in der von Brutalität gekennzeichneten Märchenwelt der Gebrüder Grimm ganz wunderbar „unschädlich austoben“ könne:

Die Märchen verstoßen gegen alle Regeln politischer Korrektheit. Es herrschen dort Mord und Totschlag […]. Das muss niemanden erschrecken, denn derlei ereignet sich im Kopf, passiert aber nicht wirklich.“

Den Zusammenhang zwischen ignoranten Denkmustern und ihrer Auswirkung auf reales Handeln sollte der oben angesprochene Fall NSU verdeutlicht haben.

Leider scheint Greiner ebenfalls nicht bewusst zu sein, dass Grimms ach so originalbelassene Märchen derart häufig verändert wurden, dass die ursprüngliche Fassung heute den meisten völlig unbekannt ist. Falls es Herrn Greiner aber mal wieder reizt, rassistische Wörter nicht nur selbst aufzuschreiben, sondern diese aus der Feder anderer Schreiberlinge zu lesen, wird sich in gut augestellten Antiquariaten sicherlich noch eine unverfälschte Version von Pippi Langstrumpf finden.

Auf die Gefahr hin, in die Nähe jener hysterischen Kommentare zu rutschen, die in der aktuellen Debatte Bücherverbrennungsmetaphern bemühen, um ihre haltlose Angst vor “Zensur” zu untermauern, hier ein weiterer zugespitzter Nazi-Vergleich, der zeigt, wie reflexhaft Greiners Zensur-Vorwurf letztlich ist: Wie kann der selbsternannte Literaturbewahrer nachvollziehbar begründen, warum Hitlers “Mein Kampf” in Deutschland nicht erhältlich ist, wenn er gleichzeitig jede geringfügige Änderung in Kinderbüchern als fatale Zensur abtut? Auch bei des Führers Propagandaschrift handelt es sich letztlich um eine Verschriftlichung von Gedanken, bei denen wir uns bloß – sozusagen geschichtsbewusst – einig sind, dass diese menschenverachtend und daher, nun ja, unangebracht sind.

Kein Mensch käme ernsthaft auf die Idee, Adolf Hitler und Astrid Lindgren auf eine Stufe zu stellen. Astrid Lindgren war sicherlich nicht darauf aus, in ihren Geschichten ein explizit rassistisches Gedankengut zu verweben. Aber indem wir sie zum Kind ihrer Zeit verklären und damit begründen, offensichtlich rassistische Ausdrücke selbst im Nachhinein wider besseres Wissen unangetastet zu lassen, machen wir es uns zu einfach.

Nun sieht es so aus, als würde „Mein Kampf“ bald in die Klassenräume geholt, um das Werk mit entsprechender Hilfestellung als perfide Kampfrhetorik zu entlarven. Auf diesen Vorschlag, der für eine Entmystifizierung des Führers am geschrieben Original plädiert, ist auch Greiner aus, wenn er behauptet, Kinder hätten eine gewissermaßen angeborene Sensibilität „in Sachen Wortwahl“.

Während Greiner wissenschaftliche Arbeiten zum Thema ausblendet oder die Kritikpunkte führender Forscher wie Wolfgang Benz schlicht als realitätsferne Nischenspinnerei abtut, hat die ZEIT eine “Umfrage” unter Hamburger Schulkindern durchgeführt. Leider muss Greiner selbst feststellen, dass diese keineswegs repräsentativ ist. Dennoch “ermutigen” ihn die zweifelhaften Ergebnisse zu der Behauptung, Kinder müssten lediglich noch „ihre Erfahrungen mit der Geschichtlichkeit von Texten sammeln“. Und was könnte sich dafür besser eigenen als Kinderbücher mit spannenden Geschichten, in denen ganz beiläufig rassistische Begriffe fallen? An den entsprechenden Textstellen hätten Eltern beim Vorlesen die Gelegenheit, ihre Kinder für rassistische Begriffe zu sensibilisieren.

Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass mit der Lektüre von “Mein Kampf” ohne Änderungen am Wortlaut exemplarisch das rassistische Gedankengut Adolf Hitlers thematisiert werden kann (in der Geschichtswissenschaft Quellenkritik genannt), während wir im Falle von Astrid Lindgren immer noch über Kinderbücher sprechen, die Eltern ihren Kleinen im Bett vorlesen. Es darf deshalb bezweifelt werden, wie viele Eltern ihren Kindern tatsächlich erklären, dass das Wort, das sie da gerade vorgelesen haben, “problematisch” ist. Dass nicht wenige Eltern höchstens verlegen schlucken – oder sich eben nicht weiter daran stören – zeigt die Vielzahl erregter Kommentare in der aktuellen Debatte. Offenbar finden es viele Erwachsene schlicht zu anstrengend, sich selbst mit der rassistischen Tragweite ihres alltäglichen Sprachgebrauchs auseinanderzusetzen – schließlich gibt es laut Greiner Dringlicheres, auf das Eltern ihre „pädagogische Energie“ verwenden sollten.

Letztlich stellt sich die Frage, was so so schlimm daran wäre, eindeutig rassistische Wörter aus Kinderbüchern zu verbannen. Würden entsprechende Korrekturen etwas an der jeweiligen Szene oder am Inhalt – geschweige denn am Kern der Geschichte – ändern? Die rebellische Pippi Langstrumpf vermittelt Kindern, wie wichtig es ist, sich gegen soziale Hierarchien aufzulehnen und erinnert Erwachsene daran, sich ein Stück Kindheit zu bewahren. Ob Pippis Vater nun neuerdings den Titel „Südseekönig“ trägt oder wie in der Originalausgabe als „[N]-König“ hofiert wird, spielt für die Handlung keine Rolle. So bliebe zwar immer noch reichlich Raum für Kritik am weiß dominierten Weltbild und unzähligen Exotisierungen – bis diese in neuer Literatur vermieden werden, sollten wir zumindest die grässlichsten Wortschöpfungen aus Kinderbuchklassikern entfernen.

 

* Ja, auch die stereotpyen Darstellungen (inkl. der Illustrationen) in Tim und Struppi und anderen “Klassikern” der Kindebruchliteratur sind Ausdruck “kulturell” verwurzelten Rassismus. Das gleiche gilt übrigens für die “haltlos-unschuldige Spielerei” mit dem “Phantasma des naiven Naturvolks” und all die anderen Beschreibungen, deren kolonial-rassistischen Ursprung Greiner und viele andere schlicht nicht wahrhaben wollen.

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About the author

Marius Münstermann is based in Berlin where he works as a freelance journalist. Marius serves as editor-in-chief at eufrika.org.

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6 Comments on “Notwendige Korrektur, nicht Zensur | Kommentar: Rassismus in Kinderbüchern

  • “Mehrheitsgesellschaft”?

    Minderheiten sind Teil der Gesellschaft, die Minderheit der Posche-Fahrer, die der Linshänder usw. – Wer “Mehrheitsgesellschaft” sagt, denkt in parallel existierenden Gesellschaften.

  • Ich mag diesen Beitrag. Ich glaube aber auch, dass die ganze Diskussion am Thema ziemlich vorbeigeht. In meinen Augen geht es nicht um den “Neger”. Ob der jetzt gut oder böse oder sonst was ist.
    Die Frage ist doch: Inwieweit darf ich Originale abwandeln? Wieviel ist “normal”, wieviel ist “notwendig”, wann wird es “böse” oder “Zensur”?
    Beispiel dafür ist der altmodische Begriff des “durchwichsens” (definitiv nicht rassistisch). Sollte man sowas noch verwenden? Ist das “zumutbar”? Oder geht es darum den Verkauf anzukurbeln indem man das ganze etwas neumodischer gestaltet?

    Nochmal sollte man unterscheiden zwischen einer Übersetzung und einem Original. Und auch hier seeeeeeeeeehr vorsichtig sein. Ich habe unlängst in der Übersetzung eines Romans statt des altmodischen “ihrzens” ein neumodisches “siezen” gelesen. Und war der Ansicht, dass das weder zum Roman noch zum Thema oder der Kulisse passt.

    Ein hübsches Beispiel dafür wurde mir erst unlängst verlinkt und ich möchte hier ein und denselben abschnitt einmal im Original, in der alten und der neuen Übersetzung als Beispiel bringen:

    Original:
    Whatever may be the changes produced by man, the eternal round of the seasons is unbroken. Summer and winter, seed-time and harvest, return in their stated order with a sublime precision, affording to man one of the noblest of all the occasions he enjoys of proving the high powers of his far-reaching mind, in compassing the laws that control their exact uniformity, and in calculating their never-ending revolutions.

    Altmodisch:
    Welche Veränderungen und Verwandlungen auch durch die Menschenhand mögen bewirkt worden seyn, der ewige Kreis der Jahreszeiten ist nicht zerrissen worden. Sommer und Winter, Saat- und Ernte-Zeit kehren mit erhabener Genauigkeit immer wieder in der ihnen gesetzten Ordnung, und bieten dem Menschen eine der alleredelsten und genußreichsten Gelegenheiten, die hohe Macht seines weitreichenden Geistes zu bestätigen, indem er die Gesetze erfaßt, welche ihre strenge Gleichförmigkeit beherrschen, und ihre nie endenden Umkreisungen berechnet

    Neu:
    [...]

    Ist die “heutige” Menschheit also nicht fähig diesen Absatz zu erfassen und lässt ihn deswegen gleich weg? Streichen wir einfach mal Sätze aus einem Klassiker weil die Leute “zu dumm” dafür sind? Oder ist es Faulheit? Vielleicht sollte man “den Deutschen” aber acuh einfach mal beibringen Bücher (oder Filme) im ORIGINAL zu lesen? Das setzt allerdings die Hoffnung vorraus, dass das Original nicht verändert wurde (hier enden wir wieder bei Ottfried Preussler).

    Egal wie man es dreht und wendet: durch solche “Vereinfachungen” sorgt man jedenfalls dafür, dass die Menscheit NICHT schlauer wird (ob das Gegenteil der FAll ist könnte man diskutieren). Und natürlich stellt sich die Frage nach dem “Cui bono?”

    Und auch die Beispiele aus der Nazizeit greifen (bei mir zumindest) nicht. Ich hätte sowohl “suum cuique” als auch”Jedem das Seine” eher positiv konnotiert (ich bin allerdings auch kein deutscher Staatsbürger – vielleicht liegts daran?) und ich bin der Ansicht, dass “Mein Kampf” TATSÄCHLICH im Handel erhältlich sein sollte. Weil wie anders soll ich mir meine eigene Meinung darüber bilden können? (Anmerkung: Ich habe aber auch den Hexenhammer im Original gelesen.)

    Gleiches trifft auch auf sämtliche Werke auf dem sogenannten Index zu. Gerade in der heutigen Zeit erhalte ich Bücher, Computerspiele, .. einfach aus dem Ausland wenn ich möchte. Oder im Internet. Wenn ich also brutales, rassistisches, faschistisches, nationalsozialistisches,… lesen/sehen/hören möchte habe ich heutzutage einfacher den je die Möglichkeit dazu. Und vor “einfacher gestrickten” Personen (oder Menschen die diese Möglichkeiten nicht kennen) die Wahrheit (dass es das gibt, dass man sich damit auseinandersetzen sollte) zu verbergen kann ja kaum der Weisheit letzter Schluss sein oder?

  • Sehr geehrter Herr Münstermann,
    ach, hätte ich nur die Zeit Ihnen ausführlich meine Meinung zu Ihrem Kommentar und dem kommentierten Artikel zu geben. Deshalb begrüße ich Ihren Kommentar sehr und hoffe Sie haben diesen auch als Leserbrief an die ZEIT gesendet.
    Wie Sie, ärgerte ich mich ebenfalls sehr über die reißerische und effekthascherische Aufmachung der letzten ZEIT-Ausgabe. Erschreckt war ich nichtmehr, denn ich erinnere nur ungern an die Ausgabe ca. 2 Monate zuvor: „Der weiße Mann stirbt aus“ (http://www.zeit.de/2012/47/Weisser-Mann-Macho-Hegemonie/seite-1).
    Jedem ist bekannt, dass die ZEIT eine eher konservative Zeitung ist, wer anderes Gedankengut haben möchte sollte z.B. Le Monde Diplomatique lesen.
    Jedoch erwarte ich von meiner Zeitung, dass sie mir eine Zusammenfassung der Diskussion gibt, die geführt wird. Das hat die ZEIT eindeutig versäumt denn alle Artikel zu diesem Thema hatten die gleiche Richtung. Somit war diese Ausgabe auch kein sinnvoller Beitrag zur Diskussion. Der „linke“, „progressive“-Blickwinkel fehlte vollkommen.
    Jedoch sollten Sie, Herr Münstermann, Acht geben, in einem sachlichen Kommentar nicht zu emotional zu werden („um diesem idiotischen Haufen“ und ähnliche). Denn Sie laufen dabei Gefahr, Teil des anderen Artikels zu diesem Thema zu werden: „ Wumbabas Vermächtnis“. Ich kenne das Problem und muss ebenfalls oft aufpassen, bei so viel Unrecht und, in meinen Augen, falschen Meinungen nicht etwas lauter zu werden. Doch sachliche Argumentation ist meiner Meinung nach immer noch das überzeugendste.
    Wir (die wir uns bewusst sind über der alltäglichen Rassismus und ihn nach Möglichkeit vermeiden/bekämpfen) sollten uns bewusst sein, dass dies der richtige Weg ist. Und der richtige Weg wird früher oder später immer eingeschlagen werden. deshalb gilt eine Weisheit die wir hier in Mitteleuropa von vielen meiner togoischen Freunde noch lernen können: „la Patience!“: nur Geduld.
    Was ich des Weiteren noch anmerken möchte ist der irrsinnige Satz, dass sich die Mehrheit nicht einer Minderheit unterwerfen sollte. Ich möchte hier an die Grundsätze der Demokratie erinnern: Die Mehrheit herrscht, aber die Minderheit wird berücksichtigt und nicht diskriminiert.
    So funktioniert Solidargemeinschaft: ich gebe etwas ab, damit ein/e andere/r davon profitiert. Ich verzichte auf ein Wort damit ein/e andere/r sich wohlfühlen kann. Dadurch gewinne ich wieder an Lebensfreude und Wissen (um die Problematik des Gedankenguts dieses Wortes).

    Mit freundlichen Grüßen

  • In der hochgepriesenen us-amerikanischen Serie “THE WIRE”, übrigens ein linkes Projekt eines linken Autors (David Simon), kommt das Wort “Nigger” ungefähr 10.000mal vor.

    Ich bin dafür, es durch durch das Wort “Südseekönig” zu ersetzen.

    Wenn das nicht gelingt, könnte man zumindest beim Anschauen der Serie jedesmal das Wort “Südseekönig” denken.

    Dann würde man sich nicht strafbar machen und käme eventuell doch noch in den Himmel.

  • Wenn es hier einen Dislike-Button gäbe, würde ich ihn klicken.

    Der Grund, warum ich es ablehne, Literatur zu ändern, ist, dass Literatur in einer bestimmten Zeit spielt. Und in dieser Zeit haben Menschen eine bestimmte Sprache gesprochen. Und ich glaube nicht, dass beispielsweise amerikanische Kinder im 19.Jahrhundert von “Afroamerikanern” geredet hätten.
    Versuche, ein Stück Literatur aus der Vergangenheit mit einer Sprache der Gegenwart zu verfälschen, ist gleichbedeutend damit, die Mona Lisa mit Farben zu restaurieren, die Andy Warhol oder Roy Lichtenstein benutzt hätten. Natürlich ist das möglich, und vielleicht kommt dabei auch ein Kunstwerk raus; aber es ist nicht mehr das Original, das Da Vinci intendiert hatte. Für Literatur gilt das Gleiche. Eine “bereinigte” Fassung kann zwar immer noch literarisch wertvoll und unterhaltsam sein; aber sie ist nicht mehr authentisch.

    Deshalb kann ich die Frage aus dem Artikel:
    “Würden entsprechende Korrekturen etwas an der jeweiligen Szene oder am Inhalt – geschweige denn am Kern der Geschichte – ändern?”
    guten Gewissens mit Ja brantworten.

    Zu Grimms Märchen, die als Beispiel für Zensur angeführt werden: Der Vergleich hinkt aus mehreren Gründen.
    Erstens gibt es die Originalfassungen heute immer noch zu kaufen. Wer will, kann sich die Urfassung der Grimm-Brüder mit sämtlichem Sex und Gewalt besorgen. Zweitens sind diese Volksmärchen mündlich überliefert. Die Brüder Grimm haben sie nur gesammelt; und sie waren nicht die Einzigen. Bechstein oder Perrault wären noch zu nennen. So gibt es z.B. von den Bremer Stadtmusikanten dermaßen viele Varianten, dass es heute nicht mehr möglich ist, ein Original festzustellen.
    Bei Büchern von Mark Twain, Astrid Lindgren oder Otfried Preußler ist das nicht der Fall. Da gibt es Manuskripte.

    Womit ich leben könnte, wäre, wenn es beide Fassungen nebeneinander gäbe. Also eine “bereinigte” Fassung mit politisch korrekter Sprache, wo Pippis Vater Südseekönig ist; aber auch die Originalfassung, wie von den AutorInnen intendiert.
    Leider hatte ich bei der Lektüre des Artikels von Marius Münstermann den Eindruck, dass er die Originale gerne ganz verbannen würde. Hoffentlich irre ich mich.

  • In der Südsee gab (und gibt) es “Menschenfresser” – deren frühere Könige entschieden, wer zuerst “gebraten oder gekocht” oder einfach nur zerstückelt wurde. Also nein, ein Südsee-König kann nichts schönes für mich sein, eher eine schlimme Beleidigung – ich verabscheue Menschenfleisch! Bitte sofort dieses Wort aus allen Publikationen entfernen! Am besten per Gesetz! Auch sollten Worte wie Banker, Manager, Politiker, Soldat etc. neu definiert werden – wir wollen unsere Gesellschaft schließlich neu strukturieren. Sorry Herr Münstermann, meine Pause ist vorbei und ich muss leider weiter arbeiten. Hab für diesen absurden Quatsch keine Zeit mehr.

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