Buchrezension: Sanaa Mtaani – Art in the City
- Inhalt
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Layout & Design
- Fotografie & Bild
- Sanaa Mtaani – Art in the City ist ein Buch für Kunstliebhaber*innen und Kulturinteressierte Es ist eine Empfehlung für Menschen , die Nairobi als Beispiel einer afrikanischen Metropole kennen lernen wollen; ganz abseits üblicher Klischees. Es ist keine Slumtour, es ist keine Elendspräsentation - es ist eine Tour in die Kunstszene des ostafrikanischen Big Apples.
Das Buch “Sanaa Mtaani – Art in the City: Einblicke in die gegenwärtige Kunst Nairobis” von Philipp Günther, Stefanie Habben, Michau Kühn, Anna Lafrentz, Sabrina Loll, Nadine Lorenz und Isabella Schulz ist im deutschsprachigen Raum einzigartig: Auf 192 Seiten geben die Autor*innen Einblicke in die Kunstszene der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Durch Fotografien, Interviews und selbst verfasste Essays versuchen sie ihre Vielfalt widerzuspiegeln.
Kunst als Türöffner
28 Interviews sowie zahlreiche visuelle und schriftlich-essayistische Eindrücke stellen eine gute Ausgangsbasis für eine Beschäftigung mit der nairobianischen Kunstszene dar.
„Mit seinen Erwartungen gegenüber Menschen und Orten zu brechen ist ein Grenzgang. Man tritt für Momente zwischen sich selbst und das Gegenüber, in der Bereitschaft sich auf alles und nichts einzulassen. Diese Bereitschaft ist wie ein hauchdünner Faden, bis zum Ende und zum Reißen gespannt.“ (Stefanie Habben)
Doch kann eine in sich so widersprüchliche und vielschichtige Großstadt wie Nairobi innerhalb von zehn Tagen verstanden werden? Kann daraus ein Buch entstehen, das nicht nur an der Oberfläche kratzt und schon existierende Klischees bestätigt? Die Antwort ist überraschenderweise „Ja, es geht!“. Den Macher*innen von Sanaa Mtaani – Art in the City ist eine schwierige Aufgabe gelungen: Sie ermöglichen ihren Leser*innen einen möglichst vorurteilsfreien Zugang über den Weg der Kunst, da sie vor allem die Künstler*innen selbst zu Wort kommen lassen. So zeichnen sie ein Bild Nairobis, das fern ab der sonst üblichen medialen Darstellung liegt und in Kombination mit den eigenen Beiträgen eine Brille ergibt, durch die eine Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Kunst-Community der Hauptstadt ermöglicht wird. Sie haben ein Buch geschaffen, das vor spannenden Gesprächen und fesselnden Werken strotzt.
„Afrikanische Kunst“ – gibt es das überhaupt?
Immer wieder tritt sie auf, schleicht sich durch die Farben der Bilder und das Papier der Seiten, durch das Werk wie ein roter Faden, wird von manchen explizit verneint, von anderen absolut bejaht: Gibt es so etwas wie eine spezifisch „afrikanische Kunst“ überhaupt? Die junge Künstlerin Jackie Karuti wehrt sich vehement dagegen als afrikanische Künstlerin bezeichnet zu werden. Zu viele Stereotypen gingen mit dieser Bezeichnung einher. Kunst, nicht Lokalität, steht für sie an erster Stelle:
„People should focus more on what the art’s about, as opposed to where the artist is from. I believe that whenever you describe yourself as an artist, you shouldn’t put the location first in the description. That is, don’t say ‘I am a Kenyan artist’. Instead say, ‘I am an artist from Kenya’.“ (Jackie Karuti)
Diese Position wird nicht von allen geteilt. Während Cyrus Kabirus noch eine auffallende Ähnlichkeit mit Jackie Karuti aufweist („I’m a Kenyan artist. No, I´m not a Kenyan artist, I´m an artist from Kenya“) geht Rahab Shine, Mitbegründerin der 1992 gegründeten Banana Hill Gallery, davon aus, dass afrikanische Kunst ganz allgemein so etwas wie ein verbindendes Element besitze. Eine abschließende Antwort bietet das Buch nicht. Wohl zeigt es aber, wie wichtig und gleichzeitig absurd diese Frage sein kann:
„She [Ruth Schaffner] actually didn’t like my work, because she said, I painted like a European.“ (Patrick Mukabi)
Ruth Schaffner, eigentlich Ruth Staudinger, floh zu Beginn des zweiten Weltkriegs aus Deutschland nach Frankreich und landete nach verschiedenen Zwischenstopps in New York City, Los Angeles und Santa Barbara, schließlich in Nairobi. Dort erwarb sie 1985 die damals einzige Galerie Nairobis aus den Händen der Gründer Jony Waite, Robin Anderson und David Hart: die legendäre Gallery Watatu. Obwohl sie dem ausgebildeten Graphikdesigner Mukabi fehlende Authentizität vorwarf, verkaufte sie schließlich sein erstes Bild. Die zwiespältige Rolle Europas wird im Buch auch an anderen Stellen deutlich:
„If I leave Nairobi and probably go to Europe or America and do my work there, I get reputation for something small that I have done and then get an award and recognition. Once one moves here, it feels like you have established your reputation. […] If you are able to work with people locally and become fortunate to join foreign organizations, then you get promoted and start to rise. Most of the successful artists have had to travel out[.]“(Joel Lukhovi)
Es ist tragisch, nein, eher ärgerlich, dass westliche Organisationen und Institutionen massiv zum Rise and Fall kenianischer Künstler*innen beitragen können und dadurch neue Abhängigkeiten schaffen oder alte aufrechterhalten. Sollte Kunst in Kenia aber weiterhin an Popularität gewinnen und der lokale Kunstmarkt in den nächsten Jahren weiter zunehmen, wie die Leiterin des Kunstzentrums Kuona Trust Sylvia Gichia glaubt, so wird sich die kenianische Kunstszene hoffentlich auch aus diesen Fesseln lösen können.
Nairobis Kunstszene in einem Buch? Kaum zu schaffen!
Sicherlich, es ist nur ein kleiner Einblick. Nairobi ist zu schwer zu fassen, um es in ein Buch zu packen. Es gibt unzählige weitere Akteure, auch innerhalb der Kunstszene, die nicht genannt werden. Und hier zeigt sich ein Kritikpunkt des Buches. Innovative Konzepte wie der Artivismus von the NEST wurden nicht berücksichtig und die Fotografie als Kunstgenre hat kaum Eingang gefunden, obwohl es in Nairobi eine entsprechende Szene gibt: der Architektur- und Stadtfotografen Mutua Matheka lebt beispielsweise im Schmelztiegel Ostafrikas, und die Kenyan Photography Awards werden hier verliehen. Die Musik- und Filmszene wird ebenso nur kurz gestreift. Darstellende Künste wie Theater oder Performance wurden völlig außer acht gelassen, ebenso die Spoken-Word-Szene, die vor Ort boomt. Es zeigt sich, dass Sanaa Mtaani – Art in the City zwar laut Titel den Anspruch hat Nairobis Kunstszene umfassend zu präsentieren, an diesem aber scheitert.
Wirklich schade ist, dass viele verwendete Fotografien qualitativ nicht einwandfrei bis mangelhaft sind. Obwohl oder gerade weil die Portraits der Künstler Anthony Wanjau und Joel Lukhovi emotional ansprechen sind, verärgert ihre Unschärfe. In Kombination mit Formatierungs-, Namens- und Rechtschreibfehlern schadet dies dem professionellen Ersteindruck des Buches. Ebenso stellt sich schnell die Frage, wer denn eigentlich die Zielgruppe der Autor*innen ist und wieso die Interviews nicht ins Deutsche übersetzt wurden, die eigenen Textbeiträge hingegen schon. Sollen Kenianer*innen angesprochen werden? Wieso dann nicht einfach nur Englisch? Oder doch die Deutsch sprechende Leser*innenschaft? Dann wird es an den Interviews scheitern. Apropos Interview: Ross Franks von der in Ostafrika beliebten Satire-Sendung XYZ-Show, behauptet in seinem Interview doch glatt, dass es keinen kulturellen Referenzpunkt und eigentlich auch keine Geschichte der Künste in Afrika gibt:
“[T]here is no artistic background, no cultural points of reference. There is no architecture, no philosophy, no sculpting – nothing of the fine arts that are well-known in Europe. There is a different construction here.” (Ross Franks)
Es ist verständlich, wenn die Künstler*innen uneingeschränkt zu Wort kommen sollen und die Autor*innen sich selbst möglichst zurücknehmen möchten. Aber im Fall dieser krassen und falschen Thesen des Weißen Australier Ross Franks wäre eine Intervention wünschenswert gewesen. Stattdessen wird die These nur durch ein lapidares “Yes, but there is art”, bestätigt, woraufhin Franks antwortet: “Yes, but different art.” Orientalismus in seiner Höchstform.
Erfreulich wäre es gewesen, wenn die Texte und Fotos unter einer freien CC-Lizenz veröffentlicht worden wären. Nicht nur, weil das Buch als stipendiatisches Projekt sowieso durch die Hans-Böckler-Stiftung, also durch öffentliche Gelder gefördert wurde, sondern auch, da so mehr Menschen hätten erreicht werden können. Auch oder gerade in Kenia. So sind die Texte zwar separat im Internet auffindbar und ein e-Book zum Download vorhanden, eine Weiternutzung oder Wiederveröffentlichung ist jedoch nicht ohne Weiteres möglich.
Fazit
Sanaa Mtaani – Art in the City ist ein Buch für Kunstliebhaber*innen und Kulturinteressierte, Es ist eine Empfehlung für Menschen, die Nairobi als Beispiel einer afrikanischen Metropole kennen lernen wollen; ganz abseits üblicher Klischees. Es ist keine Slumtour, es ist keine Elendspräsentation – es ist eine Tour in die Kunstszene des ostafrikanischen Big Apples. Sicherlich, es ist nur ein begrenzter Einblick, ein Blick durch eine Brille – alles was außerhalb des Sichtfelds liegt erscheint unscharf. Ebenso unscharf bleibt die Zielgruppe. Wen wollten die Autor*innen eigentlich erreichen und wieso vertreiben sie das Buch nicht unter einer freien Lizenz? Und eine Bitte für die Zukunft an die Autor*innen: Interveniert wenn es nötig ist und bestätigt nicht indirekt krude Theorien wie im Fall Ross Franks. Das Buch ist übrigens auch in gedruckter Form erhältlich und gegen (freiwillige) Spende über anna[at]sanaamtaani.org erhältich.
„Nairobi is a great city. It´s one of those few cities in the world where it can be raining and there’s sun at the same time.“ (Khoisan Hassan)
Weitere Informationen: Homepage von Sanaa Mtaani – Art in the City