Stadionkatastrophe in Port Said – mit politischen Folgen?
Gestern Abend kam es nach dem Spiel al-Masry gegen al-Ahly zu enormen Gewaltausbrüchen. Über 70 Menschen starben. Beobachter rätseln über das ausgebliebene Eingreifen der Sicherheitskräfte und vermuten den regierenden Militärrat hinter der Katastrophe.
Als der FC Bayern München in der Wintervorbereitung unter anderem in Kairo zwischenlandete, um sich mit Afrikas „Klub des Jahrhunderts“, al-Ahly Kairo, zu messen (Endstand: 2-1 für die Münchner), hielt sich das mediale Interesse stark in Grenzen. Die al-Ahly-Fans hatten es jedoch um die gleiche Zeit bereits geschafft, gänzlich abseits des Fußballplatzes erwähnt zu werden. Laut BBC haben die berüchtigten Ultras des Vereins eine eigene Partei gegründet. Dass diese wohl nicht nur für „Fußball als Volkssport erhalten“ und „bezahlbare Ticketpreise“ eintreten wird, lässt sich aus den Ultra-Aktivitäten im vergangenen Jahr ableiten.
Die 2007 gegründeten Ultras al-Ahwy sind nicht nur herausragend gute Unterstützer ihrer Mannschaft, sondern verteidigten auch gemeinsam mit vielen tausend anderen Demonstranten den Tahrir-Platz. Die Bedeutung der Fußballfans (die im Straßenkampf mit den Sicherheitskräften weit mehr Erfahrung als der Großteil der anderen Demonstranten vorzuweisen hatten) im Kampf um den Tahrir-Platz wurde von verschiedenen Aktivisten hervorgehoben. So zitierte die taz den Journalisten Davy Lane, dem aufgefallen war, dass die demonstrierenden Hooligans „Spezialisten im Steinewerfen, im Autoumwerfen und -anzünden und in der Verteilung von Projektilen waren“.
Wen die al-Ahly-Ultras in Zukunft unterstützen sollen, ist noch nicht ganz klar, da sich große Teile ihrer Mannschaft in der gestrigen Nacht dazu entschlossen haben, die Fußballschuhe an den Nagel zu hängen. Nach dem Spiel al-Masry gegen al-Ahwy, das übrigens mit einem 3:1-Heimsieg endete, kam es in und um das Stadion von Port Said zu massiven Krawallen mit 74 Toten und hunderten Verletzten. Angeblich von Schmähgesängen der Gästefans provoziert, stürmten unmittelbar nach dem Abpfiff tausende Anhänger al-Masrys den Rasen und griffen Gästespieler, deren Betreuer und Fans an. Diese schützten einander und ergriffen die Flucht. Dutzende Fernsehkameras filmten die bizarre Situation im Stadion. Noch minutenlang spielt die Musik, erst nach einigen Augenblicken erkennen die Kommentatoren, was auf dem Spielfeld passiert. Später fällt das Flutlicht aus, die meisten Aufnahmen brechen ab. Die Situation gerät derart außer Kontrolle, dass es Militärhubschraubern bedarf, um die Sicherheitslage zu entschärfen. Fernsehbilder zeigen, dass die zahlreich vorhandenen Sicherheitskräfte nichts gegen die Gewalt unternahmen.
Wie viele der Opfer bewusst totgeprügelt und wie viele in dem Chaos zu Tode getrampelt wurden ist noch ungeklärt. Ebenso unklar ist der Hintergrund der Katastrophe – ein derartiger Gewaltausbruch, verursacht durch fußballtypische Schmähgesänge?
Ein Sprecher der ägyptischen Sozialdemokraten vermutet den regierenden Militärrat hinter dem Gewaltausbruch. Der habe die Ausschreitungen provoziert oder zumindest ein Durchgreifen der anwesenden Sicherheitskräfte verhindert, um die Fragilität des ägyptischen Staates und die Handlungsunfähigkeit der Polizei zu demonstrieren und nun die eigenen Befugnisse erweitern zu können. Erst vor einer Woche hatte der Militärrat angekündigt, den seit 30 Jahren ausgerufenen Ausnahmezustand weitestgehend aufzuheben. Dieses Vorhaben könnte nun in weite Ferne gerückt sein.
Wenige Wochen nachdem die Ergebnisse der ersten freien Parlamentswahlen veröffentlicht wurden, spekulieren nun erneut viele Beobachter, ob der ägyptische Staat wieder einige Schritte zurück gegangen sei auf seinem langen Weg zu einer stabilen Demokratie. Inwiefern diese Einschätzung stimmt, bleibt abzuwarten. Die nächsten Tage müssen nun Aufschluss über die Ursache der Katastrophe, sowie das Verhalten der Sicherheitskräfte im Stadion geben. Sie werden auch zeigen, ob der Militärrat sich die Katastrophe tatsächlich zu eigen macht. In jedem Fall ist es eine erste Probe für die Handlungsfähigkeit des neuen Parlaments unter der Regierung des Militärs.
Stadionkatastrophen brachten Veränderungen in Belgien, England und ganz Europa. Dazu zählen unter anderem die Abschaffung von Stehplätzen, Rauchverbot, erhöhte Ticketpreise und eine ausgeweitete Polizeipräsenz. Was sie nicht mit sich brachten: Ausruf des Ausnahmezustands und Ausweitung der Befugnisse für das Militärs.