Tunesien: Start der verfassungsgebenden Nationalversammlung

Tuesday 22nd, November 2011 / 09:59 Written by

 Die verfassungsgebende Nationalversammlung in Tunesien, gewählt am 23. Oktober, nimmt heute ihre Arbeit im ehemaligen Parlament in Tunis auf. Damit beginnt die Arbeit an der Bildung einer neuen Staatsverfassung zehn Monate nachdem der dikatorisch regierende Präsident Ben Ali in Folge anhaltender Proteste zurückgetreten war.

217 Mandatsträger aus elf Parteien und verschiedenen unabhängigen Listen haben die Aufgabe, eine neue Konstitution zu erarbeiten, und eine Exekutive für den Übergang zu stellen. Im September hatten sich die elf großen Parteien dafür auf einen Zeitraum von maximal einem Jahr beschränkt. Die erste verfassungsgebende Versammlung des Landes, die in Folge der Unabhängigkeit 1956 zusammen trat, arbeitete drei Jahre an einer neuen Verfassung. Bei einer Wahlbeteiligung von enttäuschenden 54,1% haben im Oktober elf Parteien mindestens einen Sitz erlangt.

Mit 89 Sitzen bekommt En-Nahda die meisten Sitze, darauf folgt der “Congrès pour la république” (CPR) mit 29 Sitzen. Als drittgrößte Fraktion stellt die “Pétition populaire” 26 Abgeordnete, gefolgt von Ettakatol (FDTL) mit 20 Sitzen. Die “Parti démocrate progressiste” (PDP) kommt mit 16 Sitzen in die Versammlung, der “Pôle démocratique moderniste” (PDM) und ” l’Initiative” mit jeweils fünf. “Afek Tounes” und die “Parti communiste des ouvriers de Tunisie” (PCOT) sind mit vier und drei Abgeordneten vertreten,  ”Achab” und das “Mouvement des démocrates socialistes” (MDS) mit jeweils zwei. Die restlichen 16 Sitze gehen jeweils an verschiedene Parteien und Listen.

Die drei größten Parteien haben sich Berichten zufolge bereits auf eine Verteilung der wichtigsten Ämter geeinigt, die noch durch die Versammlung bestätigt werden muss. Demnach soll Moncef Marzouki, Chef des CPR und langjähriger Oppositioneller Ben Alis, der neue Präsident Tunesiens werden. Hamadi Jebali, Generalsekretär En-Nahdas, wäre sodann Premierminister, und Mustafa Ben Jaafar der Partei Ettakatol Präsident der Nationalversammlung. Diese Einigung hat aber stark provisorischen Charakter, da die Funktionen dieser drei Ämter noch nicht feststehen und jede Entscheidung durch die Nationalversammlung bestätigt werden muss. Diese Fragen bestimmen die heutige, erste Sitzung.

In der tunesischen Zeitung “La Presse” mahnte Abdellatif Ghorbal, die Arbeit an der Verfassung in den Vordergrund zu stellen. Zudem sollten, so Ghorbal weiter, alle Entscheidungen betreffs der Verfassung mit Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen werden, und nicht mit einfacher Mehrheit, wie zuletzt von Mohamed Abbou von der CPR gefordert. Dass die tunesische Bevölkerung der Nationalversammlung nicht vorbehaltlos vertraut und den Prozess verfolgt, ist daran zu erkennen, dass heute auch ein großes Sit-In von Bürgerrechtsassoziationen geplant ist.

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