Unterhalb der Gürtellinie
Viele der Anwesenden scheinen amüsiert. Manche zücken ihre Handys, filmen und fotografieren die bizarre Szene. Vor Schmerzen wimmernd und schreiend windet sich der Kopf des Künstlers Makode Aj Linde auf einem niedrigen Tisch. Sein Gesicht ist dank Blackfacing unnatürlich geschwärzt, zwischen den tief roten Lippen stehen riesige Zähne hervor. Der Rest des Körpers ist aus Kuchen und nicht weniger klischeebeladen geformt. Dunkle Schokoladenglasur und überproportionierte Züge vervollständigen das stereotype Bild, wie es der Feder eines herrischen Kolonialbeamten aus dem 19. Jahrhundert entsprungen sein könnte.
Zwischen weiteren essbaren Installationen macht sich die Ministerin schließlich ans Werk und schneidet mit einem Messer ein Stück aus dem Genitalbereich der Kuchen-Frau. Blutrotes Kuchenfleisch kommt zum Vorschein. Andere Gäste tun es ihr gleich.
Was als Kampagne gegen Genitalverstümmelung gedacht war, ist längst einer hitzigen Debatte um Rassismus und ein einfältiges Gutmenschentum gewichen. Über das ursprüngliche Anliegen der Ministerin redet jedenfalls kaum noch jemand.
Nicht nur in Schweden wird aufgeregt diskutiert. Feministinnen und afro-schwedische Gruppen zeigen sich empört. Ein Sprecher der National Afro-Swedish Association (NAFA) sprach von einem „rassistischen Spektakel“. Seit ein Video von der Aktion auf YouTube aufgetaucht ist, werden Rücktrittforderungen auch im Internet immer lauter.
Bombendrohung und helle Empörung
Am Tag nach der Szene im Stockholmer Museum für Moderne Kunst wird die Polizei von einer Bombendrohung alarmiert. Das Museum wurde evakuiert. Die Drohung stellt sich als falsch heraus, soll jedoch im Zusammenhang mit der Aktion vom Vortag angekündigt worden sein.
Gleichzeitig gibt es jene, die auf die künstlerische Freiheit pochen. Die Ministerin, bislang in Schweden für ihren Einsatz gegen Ausländerfeindlichkeit bekannt, weist den Vorwurf des Rassismus jedenfalls entschieden zurück. Sie verweist stattdessen auf die Verantwortung des Künstlers.
Ähnlich sehen es viele Beobachter und erkennen keine Schuld bei der Ministerin, zumal diese einer offiziellen Einladung des Museums gefolgt war und kurz vor dem aufsehenerregenden Vorfall im Rahmen der selben Veranstaltung Lobhymnen auf die Bedeutung der Provokation in der Kunst applaudierte.
Makonde Aj Linde habe bewusst auf rassistische Stereotype zurückgegriffen, um einer naiven schwedischen Gesellschaft mit seiner grotesken Inszenierung einen Spiegel vorhalten zu wollen, argumentieren einige. In der Tat experimentiert der Künstler bereits seit längerem mit Stereotypen. Aj Linde beschäftigen rassistische Einstellungen gegenüber Schwarzen, seine Taten verarbeiten Klischees in einer Gesellschaft, der die Realität des Post-Kolonialismus offenbar nachwievor fremd ist. Das unreflektierte Gelächter hochrangiger Vertreter aus Staat und Gesellschaft über das (gespielte) Leiden während einer Beschneidung dürfte die Parodie der Performance jedenfalls auf die Spitze getrieben haben.
Bald darauf meldet sich der Künstler im schwedischen Radio in einem Interview zu Wort:
It’s sad if people feel offended, but considering the low number of artists in Sweden who identify as Afro-swedish I find it sad that the Afro-Swedish Association haven’t followed my artistry and do not understand what my work is about.”
Nach den Gründen für seine Inszenierung befragt, äußert sich Makonde Aj Linde wie folgt:
I wanted to somehow make the cake more human, not just a silent object. More interactive, simply.“
Ob gewollt oder nicht, in Schweden ist eine öffentliche Debatte über den Irrglauben entbrannt, es gebe so etwas wie eine nachvollziehbare Grenze zwischen eindeutig überholten Weltbildern aus vergangenen Jahrhunderten und dem latenten Rassismus der heutigen Gesellschaft.