Gastbeitrag: Das Afrikanische Viertel in Berlin

Friday 02nd, September 2011 / 14:57 Written by

 DER EUROZENTRISCHE BLICK

Wie in den Debatten um die so genannte Griechenland-Krise oder um den EU-Beitritt der Türkei sind Diskussionen um Europa meist von Bildern eingenommen, die sich auf ein westliches, fortschrittliches und aufgeklärtes Europa berufen. Außerdem ist es ein weißes Europa mit vermeintlich christlichem Fundament. Auf der Suche nach der, oder besser einer europäischen Identität werden spezielle Gründungsmythen herangezogen. Sie bedienen sich an Vorstellungen von kultureller Verwandtschaft, wobei sie sich auf dem Fundament von (vermeintlich großen, zivilisatorischen) Erfolgsgeschichten inszeniert, in denen Antike und Aufklärung, christlich-humanistische Werte und römisches Recht, Zivilisation und Rationalismus, Kapitalismus und Moderne die zentralen Dreh- und Angelpunkte darstellen. Die Kehrseite der glänzenden Medaille, namentlich Unterdrückung und Versklavung von anderen Menschen, Vergewaltigung und Mord, Ausbeutung und Raub von Land, wird dabei wohlwollend ausgeblendet. Vielmehr wird auf die Exportschlager Bildungseinrichtungen, Eisenbahnlinien und Verwaltungsapparate in den kolonialisierten Gebiete verwiesen; die „deutschen“ Werte Ordnung, Pünktlichkeit, Sauberkeit inbegriffen.

Die europäische Erfolgsgeschichte wird häufig als eigenständige zivilisatorische Entwicklung verstanden, deren moralische Verpflichtung es war, ihre Errungenschaften in vermeintlich zurückgebliebene Regionen dieser Erde zu bringen. Wenn nötig mit Gewalt.

Diese Regionen des Nicht-Europas wurden – im Gegensatz zum emanzipierten und zivilisierten Westen – zum „Rest“ deklariert. Bis heute verbindet den Westen und den Rest eine ambivalente Beziehung, in der Ersterer nicht erst durch koloniale Großprojekte europäischer Mächte sich selbst zum universellen Maßstab erklärte.

 

DAS AFRIKANISCHE VIERTEL

„Der Wedding wird schwarz,“ schrieb die TAZ euphorisch im Jahr 2008. „Der Arbeiterbezirk legt seine rote Farbe ab und wird bunt, international, afrikanisch.“ Und zelebriert die Idee vom harmonischen Multikulti – trotz des faden Beigeschmacks der kolonialen Vergangenheit, auf die der afrikanische Wedding fußt.

Das Afrikanische Viertel liegt im Ortsteil Wedding, im Nordosten Berlins. Seit der Bezirksreform im Jahr 2001 gehört der Wedding zum Bezirk Mitte. Die Straßen und Plätze des Afrikanischen Viertels erinnern

  • an (ehemalige) deutsche „Kolonie- und Schutzgebiete“, wie die Kameruner Straße, Samoastraße, Togostraße und Ugandastraße,
  • an strategisch wichtige Orte und Landschaften in den kolonialisierten und besetzten Regionen, wie die Dualastraße, Mohasistraße, Damarastraße, Otawistraße, Swakopmunder Straße, Tangastraße, Usambarastraße und Windhuker Straße,
  • an – weiße, männliche – Größen aus Forschung, Kolonialpolitik und Kolonialhandel, wie die Lüderitzstraße, der Nachtigalplatz und die Petersallee, die 1986 umgewidmet wurde)
  • sowie an politisch-strategische geografische Räume, die für die deutsche Kolonialpolitik von Bedeutung waren, so die Sambesistraße, die Sansibarstraße, die Senegalstraße und die Transvaalstraße.

Durch den Verein Berlin Postkolonial kamen wir erstmals in Berührung mit der Brisanz, die das Afrikanische Viertel umgibt. Unser weißes Privileg der Unkenntnis konnte bisher postkoloniale Auseinandersetzungen ausblenden, da wir uns in einer sozialen Position befinden, in der wir nicht wissen müssen und darüber hinaus wir den Freiraum beanspruchen können, nicht wissen zu wollen (Schwarzenbach-Apithy 2005).

 

KOLONIAL(T)RÄUME

Die Benennung der ersten Straßen des neu entstandenen Wohnviertels im Jahr 1899 in Togo- und Kamerunstraße zeugen von den kolonialen Allmachtsfantasien des Deutschen Kaiserreiches. Diese Benennungspraxis ist ebenso in anderen ehemaligen Kolonialmetropolen, wie Paris, London und Brüssel anzutreffen. In Deutschland ist sie Ausdruck der Politik des Wilhelminischen Kaiserreichs, der Weimarer Republik und – in ihrem Extrem – des nationalsozialistischen Deutschlands.

Die 1939 unter nationalsozialistischer Feder benannte Petersallee erinnerte bis 1986 an den deutschnationalen Kolonialpolitiker und sogenannten Entdecker und Afrikaforscher Carl Peters, der wegen seines brutalen Vorgehens in den afrikanischen Kolonien beim Kaiser in Ungnade gefallen und 1896 unehrenhaft aus dem Staatsdienst entlassen worden war. Erst 1986 wurde auf Druck von Anwohnenden zwar keine Umbenennung, aber eine Umdeutung des Straßennamens durchgesetzt. Heute erklärt eine kleine Tafel die Petersallee zur Erinnerung an Hans Peters, Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime, später CDU-Politiker und bis 1948 Abgeordneter der Gesamtberliner Stadtverordnetenversammlung.

Anders verhält es sich mit dem 1910 benannten Nachtigalplatz. Kein Hinweisschild erläutert, dass sich der Platz auf Gustav Hermann Nachtigal bezieht, der heute als einer der Wegbereiter des deutschen Kolonialismus gilt. Mit Blick auf den nahegelegenen Möwensee könnte man eher an den Singvogel, als an den Kolonialisten denken, der 1884 Togo und Kamerun die damals sogenannten Schutzverträge aufzwang.

 

POST/KOLONIALE ERINNERUNGEN

Schild der Dauerkolonie Togo im "Afrikanischen Viertel" in Berlin

Verwunderung, Unverständnis und Empörung waren unsere ersten Reaktionen auf den kritischen Stadtspaziergang von Berlin Postkolonial, der einerseits den Teilnehmenden helfen soll, ihre Wahrnehmung für post/koloniale Bezüge in der Stadtlandschaft zu schärfen und andererseits verdeutlicht, dass die deutsche Kolonialvergangenheit ungebrochen, unkommentiert und unkritisch in verschiedenen Formen fortbesteht. Die Dichte kolonialistischer Symbole im Afrikanischen Viertel krönt die Kleingartenanlage mit dem provokanten Namen „Dauerkolonie Togo e.V.“, in der weithin sichtbar gehisste Flaggen der kaiserlichen Kriegsmarine, eine Piratenflagge und eine Flagge mit dem Templerkreuz sich in ihrer historischen Bedeutung einer klaren politischen Aussage in der Gegenwart nicht entziehen.

Ein anderes Beispiel dieser Raumaneignung durch kolonialhistorischen Bezug ist die Apotheke in der Otawistraße, benannt nach einem kleinen, aber kolonialpolitisch strategisch wichtigen Ort im nördlichen Hereroland in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika. In Otawi wurden damals Kupfer, Blei und Zink in Eisenbahnwagons verladen, die dann gen Hafen, gen Deutschland gebracht wurden. Der Inhaber der Otavi-Apotheke begreift diese Kolonialgeschichte als identitätsstiftenden Teil der eigenen Lokalgeschichte. Die Schaufenster sind aufwändig mit afrikanisch anmutenden Stoffen und Masken, Landkarten und Giraffenfiguren geschmückt. Unter der Überschrift „Die Schätze Otawis“ sind in einem alten Koffer Diamanten, Kupfer, Erdnüsse und andere exotische afrikanische Produkte zusammengepackt. Bereitwillig gab uns der Apotheker Auskunft über die Geschichte Otawis, mit der er sich intensiv beschäftigt, und schlug einen alten Atlas auf. Ironisch meinte er, mit Blick auf die großen Masken an der Wand hinter der Theke, dass die sowieso aus China kämen. Die Giraffe auf der gelben Tragetasche, die er uns mitgab, verspricht den Kunden der Apotheke „den Überblick zu behalten“.

So kann das Afrikanische Viertel mit seinen kolonialen Bezügen keinesfalls als bloßes Überbleibsel kolonialpolitischer Bestrebungen des Deutschen Kaiserreiches und des nationalsozialistischen Regimes verstanden werden. Vielmehr verweist die Beflaggung in den Kleingartenanlagen Rehberge e.V. und Dauerkolonie Togo e.V. auf eine bewusste Inszenierung historischer Symbole, die in ihrer politischen Aussage in soziale Praktiken übersetzt werden.

 

DIE ANDERE GESCHICHTE

Seit 1958 würdigt die Ghanastraße, als einzige Straße des Afrikanischen Viertels mit postkolonialem Bezug, die Unabhängigkeit der einstigen Kolonie Goldküste vom 6. März 1957. Ihre postkoloniale Bedeutung – in Form der Würdigung der Unabhängigkeit Ghanas – geht jedoch im Ensemble der übrigen Namen unter. Es scheint so sehr symbolisch für den Umgang mit dem kolonialen Erbe und der daraus erwachsenden Verantwortung für die Gegenwart, was im öffentlichen Diskurs wenig, wenn nicht sogar gar keine Beachtung findet.

Es sind andere historische Ereignisse, die besonders für das deutsche Selbstverständnis und der deutschen Auseinandersetzung mit (ihrer) Geschichte im Vordergrund stehen, wie der Holocaust oder die sogenannte Wiedervereinigung Deutschlands 1989.

Die deutsche Kolonialvergangenheit, die sich als eine Geschichte des Auslassens und des Ver/Schweigens erzählen lässt, hat nicht nur bei den Kolonialisierten immense Veränderungen hinterlassen, die bis zum heutigen Tag fortwirken und reproduziert werden.

 

1994 erklärt Stuart Hall anhand seiner eigenen Biographie, die ihn von Jamaika nach England führte:

Menschen wie ich, die in den 1950ern nach England kamen, waren schon seit Jahrhunderten da. Symbolisch waren wir schon seit Jahrhunderten da. Ich kam nach Hause. Ich bin der Zucker auf dem Boden der englischen Teetasse. Ich bin die Süßigkeit und die Zuckerplantagen, die Generationen von englischen Kindern die Zähne ruiniert haben. Neben mir gibt es Tausende Andere, die der Tee sind. Weil, Ihr wisst ja, sie bauen keinen Tee in Lancashire an. Es gibt keine einzige Teeplantage im Vereinigten Königreich. Aber Tee ist das Symbol englischer Identität – was weiß man in der Welt über eine englische Person außer, dass sie den Tag nicht ohne Tee überstehen kann? Aber wo kommt er her? Ceylon – Sri Lanka, Indien. Das ist die äußere Geschichte, die im Inneren der Geschichte Englands ist. Es gibt keine englische Geschichte ohne diese andere Geschichte.

 

Vielerorts wird diese gemeinsame, komplex verflochtene Geschichte jedoch als voneinander getrennte Geschichte erzählt; die Kolonialgeschichte wird zur abgespaltenen Geschichte. Die Regionen außerhalb eines geografisch definierten Europas werden zum soziokulturellen Nicht-Europa, zum Anderen, zum Fremden.

 

VERFLECHTUNGEN

Es gibt zahlreiche Beispiele, die von den vielfältigen Verstrickungen, Verwebungen und Verflechtungen der geteilten – also getrennten und gemeinsamen – Geschichte Europas und ihres nicht-europäischen Gegenübers erzählen. Ein Blick für historische Verflechtungen zwischen Berlin und seinem Anderen lässt uns „den Imperialismus als den gemeinsamen Rahmen der wechselseitigen Konstitution“ (Conrad & Randeria 2002: 10), als verbindendes Element einer gemeinsamen, geteilten Geschichte begreifen. Denn bis heute wirken die kolonialen Begegnungen auch auf die Kolonisierenden, auf Deutschland, auf Europa zurück. Sie haben Berlin, als Hauptstadt des ehemaligen Kolonialreiches, konstitutiv geprägt und geformt.

So schreibt Joshua Kwesi Aikins 2004: „Die verdrängte deutsche Kolonialzeit hat Berlin mitgeprägt. Diese Vergangenheit und die daraus erwachsende Verantwortung ist überall in Berlin gegenwärtig”. Dass dies meistens nicht in harmonischem Multikulti endet, sondern in aufgeladenen politischen Auseinandersetzungen zeigen die Debatten um die Umbenennung des alten Gröbenufers in Berlin Kreuzberg, der erbitterte Streit mit dem Bayrischen Staatsministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst in München um Rückgabeforderungen der Kameruner Königsinsignien oder die heftigen Auseinandersetzungen um die sogenannten „Afrika-Tage“ in deutschen Zoos, wie in Augsburg, Eberswalde und Berlin, die erschreckend an die rassistischen Kolonialausstellungen von Schwarzen Menschen erinnern.

Ebenso wie Stuart Hall als personifiziertes Beispiel für die Realität verflochtener Welten, verwobener Geschichte/n von Europa und Nicht-Europa gilt, gibt es zahlreiche Orte in Berlin, an denen jene post/koloniale verwandtschaftliche Beziehungen offensichtlich werden. Nicht nur die Straßennamen im Afrikanischen Viertel erzählen davon. Die Kleingartenanlage „Dauerkolonie Togo e.V.“ gehört – angesichts ihrer vorgeschobenen Naivität, man beziehe sich nur auf die angrenzende Togostraße – zu den schockierendsten Beispielen. Bei genauerem Hinsehen zeigen sich weitere Details der Verwobenheit Berlins, der Verflechtung unserer Geschichten, die auch in der Stadtlandschaft sichtbar werden:

  • So zum Beispiel die Geschichte der Festung „Fort Groß Friedrichsburg”, die 1680 in der gleichnamigen, kurbrandenburgischen Kolonie an der Küste des heutigen Ghana errichtet wurde und seit 1979 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört.
  • Oder der sogenannte Hererostein, der auf dem Garnisonsfriedhof am Columbiadamm an den Heldentod der deutschen Besatzer erinnern soll, die im Kolonialkrieg in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, der schließlich im Völkermord an den Herero und Nama endete, umkamen.
  • Oder der sogenannte „Sarotti-Mohr“ als Logo des Schokoladenproduzenten, der seine Confiseur-Waaren-Handlung Felix & Sarotti 1852 in der Friedrichstraße eröffnete.
  • Oder das ehemalige Reichskanzlerpalais in der Wilhelmstraße 77, unweit der heutigen Britischen Botschaft, in das Otto von Bismarck 1884 Vertreter der europäischen Großmächte, der USA und des Osmanischen Reichs zur Konferenz geladen hatte, um ihre kolonialen Interessen auf dem afrikanischen Kontinent abzustecken.
  • Oder die zwölf jungen Afrikaner, die Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. 1717 von Niederländern kaufte und die in seiner Regimentskapelle den Schellenbaum tragen sollten. An den europäischen Herrscherhäusern des 18. Jahrhunderts galten sogenannte „Hofmohren“ als Prestigesymbol. Nach ihnen ist heute noch die Mohrenstraße benannt, in der damals ihre Kaserne und heute unser Institut für Europäische Ethnologie zu finden ist.
  • Oder die Humboldt-Universität, früher Friedrich Wilhelm-Universität, selbst, an der William E.B. Du Bois, einer der wichtigsten Vordenker der schwarzen US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, zwischen 1892 und 1894 studierte.

 

UN/SICHTBARE VERBINDUNGEN

Stuart Hall spricht von einer symbolischen Genealogie, von einer gemeinsamen Geschichte der Kolonialisierung, die seither ungleiche ökonomische und politische Verhältnisse des Westens zum „Rest der Welt“ reproduziert. Im Sinne Halls sind Migranten wie er keine Fremden, sondern alte Bekannte, die in einer kolonialen Weltordnung längere Zeit auf räumlichen Abstand gehalten wurden. Die postkoloniale Ankunft der Migranten in Europa bringt diese gemeinsame, geteilte Geschichte unaufhaltsam zum Vorschein.

Welche verdeckten Bande gibt es hinter der Fassade Europas? Hinter der Fassade, die scheinbar so einfach erklären kann, was vertraut und was fremd, was eigen und was anders ist. Wie fremd sind die Fremden, die Ausgeschlossenen, wirklich?

Der afrikanische Wedding heute: „Ur-Berlin trifft Multikulti“ verspricht die Imagekampagne der Stadt zuversichtlich. Wer ist dieses Ur-Berlin? Und wer ist Multikulti? Sind jene postkolonial Zugewanderten gemeint, die dem Afrikanischen Viertel so augenscheinlich seinen Namen geben? „Warum das Afrikanische Viertel so heißt? Vielleicht wegen der Afrikaner, die hier leben?“ hörten wir ein paar Mal bei der Straßenumfrage. Kehren die Menschen, die schon seit 1899, seit mehr als 100 Jahre im Wedding symbolisch präsent sind, nach Hause?

Nicht erst seit der postkolonialen Ankunft von veranderten (zu Anderen gemachten) Menschen, Lebensstilen und Produkten (vgl. Ege 2007) in den europäischen Metropolen wird, im großen Rahmen von Globalisierungsdiskursen, um Zugehörigkeiten, Grenzen und das Wesen Europas gestritten. Um in einer globalisierenden, kosmopolitischen Moderne anzukommen, versteht sich Berlin heute als internationales, multikulturelles Aushängeschild der Bundesrepublik Deutschland. Beim näheren Hinsehen wird jedoch deutlich, dass nicht jeder Andere Teil dieses Multikulti-Projekts der Moderne sein darf.

 

DAS LOKALE IM POSTKOLONIALEN BLICK

Diese (ethnologischen) Überlegungen über kursierende und diskutierte Vorstellungen von Globalisierung und Kosmopolitisierung, von Moderne, Tradition und Diversität, von Migration und transnationalen Netzwerken verdichten sich im konkreten, physischen Raum des Afrikanischen Viertels. Das Viertel ist jedoch mehr als nur ein lokaler Ort in der urbanen Landschaft Berlins, an dem migrantische Beziehungsnetzwerke, kosmopolitische soziale Praktiken und politische Programme sichtbar werden. Als ein historisches Produkt politischer Praxis ist es darüber hinaus eine Metapher; ein symbolisches Spannungsfeld postkolonialer Auseinandersetzungen verschiedener Akteure und Akteursgruppen (wie Anwohnende, Aktivistengruppen und Initiativen, Menschen in der Lokalpolitik), die in diesem Konfliktfeld verortet sind.

Das Afrikanische Viertel ist ein abstrakter Raum, in dem sich gewisse Diskurse materialisieren; ein Feld postkolonialer Verflechtungsbeziehungen, in dem verschiedene sinnstiftende Geschichtserzählungen aufeinandertreffen, sich überlappen und miteinander konkurrieren. Den Wedding als relativ armen und sozial schwachen Bezirk Berlins zu erkennen, macht deutlich, dass die simplifizierte duale Kategorisierung von „reichen Kolonialisierenden“ und „verarmten Kolonialisierten“ nicht tragbar ist. Werden die Überlappungen diverser Ebenen, wie Sozialstruktur, ethnischer Verortungen oder sozioökonomischen Zuschreibungen, erkannt, können alte Dualismen in einem nächsten Schritt aufgebrochen werden.

Das Afrikanische Viertel als ein abstraktes, aber real umkämpftes Feld postkolonialer Verflechtungsbeziehungen zu begreifen, eröffnet den Blick für mannigfaltige Spannungen, Konflikte und Bruchlinien, an denen verschiedene Konzeptionen von Welt, von Europa, vom eigenen Selbstverständnis, sichtbar werden.

 

 

 

Ein Gastbeitrag von:

Pantelis Pavlakidis und Maria Hoffmann

Institut für Europäische Ethnologie

Humboldt-Universität zu Berlin

Im Rahmen des Projekts: „Andere Europas: Soziale Imagination in transnationalen Bewegungen und urbaner Öffentlichkeit”

August 2011

 

 

 

Weiterführende Literatur:

Appadurai, Arjun (1998): Globale ethnische Räume. Bemerkungen und Fragen zur Entwicklung einer transnationalen Anthropologie. In: Beck, Ulrich (Hrg.): Perspektiven der Weltgesellschaft. Frankfurt (Main): Suhrkamp. S. 11 – 38.

Bauche, Manuela (2010): Postkolonialer Aktivismus und die Erinnerung an den deutschen Kolonialismus. Die Forderungen nach Repräsentation und sozialer Gleichstellung als zwei Pole einer neuen postkolonialen Bewegung. In: Phase 2. [Nummer:37/2010 ]ULR:_http://phase2.nadir.org/index.php?artikel=821&print=ja (Zugriff: 26.07.2011)

Comaroff, Jean & John L. Comaroff (2002): Hausgemachte Hegemonie. In: Sebastian Conrad & Shalini Randeria (Hg.), Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften. Frankfurt a.M., New York: Campus. S. 247-282.

Conrad, Sebastian & Shalini Randeria (2002): Geteilte Geschichten – Europa in einer postkolonialen Welt. In: Dies. (Hg.): Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 9-49.

Dietze, Gabriele (2006): Critical Whiteness Theory und Kritischer Okzidentalismus. Zwei Figuren hegemonialer Selbstreflexion. In: Tißberger, Martina (Hg.): Weiß – Weißsein – whiteness. Kritische Studien zu Gender und Rassismus. Frankfurt am Main: Lang. S. 219 – 247.

Eckert, Andreas & Shalini Randeria (2009): Vom Imperialismus zum Empire? Globalisierung aus außereuropäischer Sicht. URL: http://www.ethno.uzh.ch/publications/pdfs/2009Vom ImperialismusZumEmpire.pdf (Zugriff: 16.08.2011)

Ege, Moritz (2007): Schwarz werden: „Afroamerikanophilie“ in den 1960er und 1970er Jahren. Bielefeld: transcript.

Hall, Stuart (1992): The West and the Rest. Discourse and Power. In: Ders. & Bram Gieben (eds.), Formations of Modernity. Cambridge: Polity Press, S. 275-320.

Hall, Stuart (1994): Rassismus und kulturelle Identität. Ausgewählte Schriften 2. Hamburg, S. 74.

Honold, Alexander (2003): Afrikanisches Viertel. Straßennamen als kolonialer Gedächtnisraum. In: Kundrus, Birthe (Hg.): Phantasiereiche. Zur Kulturgeschichte des deutschen Kolonialismus. Frankfurt am Main: Campus-Verlag. S. 305 – 321.

Schwarzenbach-Apithy, Aretha (2005): Interkulturalität und anti-rassistische Weis(s)heiten an Berliner Universitäten. In: Eggers, Maureen Maisha; Grada Kilomba; Peggy Piesche; Susan Arndt (Hrsg.): Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland. Münster: Unrast-Verlag.

Diesen Artikel empfehlen bei:
  • Facebook
  • Twitter
  • MisterWong
  • Google Bookmarks
  • del.icio.us

eufrika on Facebook