Hintergrund: Äthiopier kämpfen mit steigenden Preisen

Monday 07th, February 2011 / 13:47 Written by

 Die Hauptstadt Äthiopiens war vergangene Woche die glänzende Bühne für große und kleine Sterne der internationalen Politik bei der jährlichen Konferenz der Afrikanischen Union. Außerhalb des Rampenlichts kämpfen die Äthiopier jedoch mit Preisanstieg und Inflation. Die Regierung gibt den Händlern die Alleinschuld und bezichtigt sie der Gier und illegalen Preisabsprache. Dabei gibt es Anzeichen, dass die Wirtschaftspolitik zwar der Regierungspartei nutzt, nicht aber den Bewohnern des Landes.  Unser Korrespondent berichtet.

„Ein Kilo Tomaten für 20 Birr“ so hieß es bis vor kurzem noch in zahlreichen „Suks“, den kleinen Lebensmittelläden Addis Abebas, in denen die Bewohner der fünf-millionen-Stadt täglich einkaufen. 20 Birr sind knapp 0,90 Euro. Bei diesen Preisen mögen Europäer mit den Schultern zucken. Viele Äthiopier aber mussten auf das rote fruchtige Grundnahrungsmittel  verzichten. Kein Wunder, erhält ein Rentner hier doch ganze 300 Birr im Monat, ein Arbeiter 20 Birr am Tag. Und nicht nur Tomaten waren unerschwinglich geworden. Auch die Preise weiterer Lebensmittel und Produkte des täglichen Bedarfs stiegen in astronomische Höhen. Viele Familien sahen sich in ihrer Existenz bedroht. Das Land ächzte unter dem rasanten Preisanstieg. Da erschien Premier-Minister Meles Zenawi wie der Retter in der Not, als er am 6. Januar – dem Vorabend des äthiopischen Weihnachtsfestes – überraschend und ohne Kabinettsbeschluss oder parlamentarische Zustimmung Höchtspreise für 16 Grundnahrungsmittel und Produkte verkündete. „Meles draws the line“ hieß es in einer großen unabhängigen Wochenzeitung des Landes. Regierungschef Meles trat als entschlossener  Landesvater auf und zog die Linie: bis hierhin und nicht weiter.

Drohung an die Händler

Der Adressat für diese klare Ansage war schnell gefunden, denn die Regierung hatte die in ihren Augen Verantwortlichen für die hohen Preise gleich als Zuhörer geladen: Mehrere hundert führende Vertreter des Handels nahmen zunächst überrascht die neu eingeführten Preisgrenzen zur Kenntnis und ließen sich anschließend widerspruchslos von der Regierung an den Pranger stellen. „Die Mehrheit der Geschäftsleute legt eine mangelhafte Einstellung an den Tag und begeht Betrug“, so Handelsminister Ahmed Tusa, der den Premier-Minister gemeinsam mit dem Vorsitzenden der Finanz- und Zollbehörde Melaku Fenta bei seinem Auftritt flankierte. Letzterer führte aus, die wesentlichen Faktoren für den Preisanstieg seien nicht ökonomischer Natur, sondern lägen in Preisabsprachen der Händler begründet. Diese nutzten den freien und deregulierten Markt schamlos aus, hielten Waren zurück und spekulierten auf steigende Gehälter und Renten, so Melaku Fenta.  Internationale Preiserhöhungen und die steigende Inflation des äthiopischen Birr seien nur vorgeschobene Argumente, um sich die Taschen zu füllen, so Melaku weiter. Und Regierungschef Meles wurde noch deutlicher: „I will cut your fingers“ wandte er sich direkt an die geladenen Handelsvertreter. Diese ließen die Anschuldigungen still über sich ergehen.

Schweigen ist Gold

„Silence is golden today in ethiopia“ äußert ein Kommentator auf der Homepage einer äthiopischen Tageszeitung. „Schweigen ist Gold heutzutage in Äthiopien“. Das wussten auch die Handelsvertreter, hatten sie doch erst 2009 miterlebt, wie private Kaffeehändler unter ähnlichen Anschuldigungen von der Regierung im großen Stil enteignet wurden und ihre Handelslizenzen verloren. Wie heute warf Meles den Kaffeehändlern vor, sie würden Waren horten und dem Markt vorenthalten, um die Preise zu steigern. Auch das Ergebnis ist im Lande wohl bekannt: Die „Guna Trading PLC“ hat den Kaffeemarkt in Äthiopien fast vollständig unter ihre Kontrolle gebracht. Das war sicherlich im Sinne der Regierung, ist doch dieses Firmen-Konglomerat im Besitz der größten Partei der Regierungskoalition: „Tygrian People’s Liberation Front“ (TPLF). Einige Kommentatoren der hiesigen Zeitungen fürchten nun einen ähnlichen Eingriff der TPLF in lukrative Bereiche des Lebensmittelhandels und vergleichen Meles bereits mit dem bolivianischen Regierungschef Hugo Chavez.

Zweifelhafter Nutzen

Fest steht zumindest, dass ein Nutznießer der jüngsten Wirtschafts- und Finanzpolitik die TPLF war. Denn unter dem Beifall der Weltbank hat die äthiopische Regierung im September letzten Jahres den Birr um fast 17% entwertet, um den Export des Landes anzukurbeln. Wichtigstes Exportprodukt Äthiopiens ist Kaffee.

Die Entwertung der äthiopischen Landeswährung hielt die Inflation aber nicht etwa auf. Vielmehr schritt sie seitdem im November um 10.2%, im Dezember um 14.5% fort. Warum diese beachtliche Inflationsrate keinen wesentlichen Einfluss auf die Preisentwicklung haben soll, wie die Regierung behauptet, ist vielen Analysten ein Rätsel. Ebenfalls äußerst fraglich ist, ob ein steigender Export den Bürgern Äthiopiens zugute kommt. Denn zu den großen Exporteuren des Landes gehören auch internationale Konzeren, die weite Landflächen vom Staat pachten, um Blumen und Lebensmittel für den Export anzubauen, während das Land auf Lebensmittelimporte angewiesen ist, um seine Bevölkerung zu ernähren. Ein sinkender Birr macht das Land für große Agrar-Investoren noch attraktiver. So ist es kein Zufall, dass der indische Konzern „Chadha Agro PLC“ dieser Tage mit der Regierung um die Nutzung von 100.000 Hektar Ackerland verhandelt – eine Fläche doppelt so groß wie Addis Abeba. Sollte dieser Handel zustande kommen, wären bereits 300.000 Hektar fruchtbares Ackerland an internationale Großinvestoren verpachtet, während in Äthiopien zahlreiche Menschen an Unterernährung leiden.

Geglücktes Weihnachtsgeschenk

Währenddessen sorgt das Weihnachtsgeschenk der Regierung bei vielen Äthiopiern für Zustimmung und Erleichterung. In Fernsehen und Radio machen Passanten ihrem Ärger über die vermeintlich gierigen Händler Luft: „Es ist inakzeptabel! Der Preisanstieg bei den Grundnahrungsmitteln übt Druck auf unser aller Leben aus. Ich denke, dass die Händler dieses Problem verursachen“ äußerte sich ein Kunde beim Fernsehsender ERTA. Meles Strategie, die Händler als Sündenböcke zu nutzen, scheint aufzugehen. Inwiefern der von der Regierung eingeschlagene Weg aber langfristig zum Erfolg führen wird, ist zweifelhaft. Denn bereits  jetzt, vier Wochen nach dem Eingreifen der Regierung in die Preisentwicklung, häufen sich die Nachrichten über das, was Kritiker prophezeit haben: Produkte, die unter dem Höchstpreisedikt stehen, werden in den Geschäften knapp und sind zunehmend auf dem Schwarzmarkt zu finden. Zu höheren Preisen als jemals zuvor.

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