Harlem Shave – Gefällt mir nicht

Tuesday 17th, December 2013 / 00:18 Written by

 

Wieso ist die einzig besonnen handelnde Frau in dem ganzen Zirkus bitte eine lesbische Diversity Trainerin, die es ja besser wissen muss? - Screenshot

Wieso ist die einzig besonnen handelnde Frau in dem ganzen Zirkus bitte eine lesbische Diversity Trainerin, die es ja besser wissen muss? – Screenshot YouTube

Ein Barber-Salon in Harlem, ein interracial couple, ein Fernsehteam des US-Senders ABC. Eine neue Folge der Hidden-Camera Show „What Would You Do?“ des Newsmagazines Primetime erfährt in den letzten Tagen große Aufmerksamkeit in sämtlichen sozialen Netzwerken: Die Interventionen einzelner Schwarzer Anwesender in eine fingierte Situation, in der ein interracial couple in einem Schwarzen Raum Anfeindungen ausgesetzt wird, werden überwiegend als Fortschritt zur Überwindung rassistisch-geprägter Zustände interpretiert. Emotionale Reaktionen auf einen situativen Sieg der Menschlichkeit über politische Verhältnisse sind die Folge. Die afrodeutsche Autorin fragt sich: Wer feiert hier was, und warum eigentlich?

von Natalie Ofori
In Denny Moe’s Barbershop in Harlem herrscht alltägliche Betriebsamkeit. Schwarze Harlemer frisieren, und lassen frisieren, man kennt sich. Die Stimmung ist unaufgeregt. Jäh gestört wird der Frieden, als die unbedarfte Kristin (white!), die Freundin des Kunden Gabriel (Black!), den Salon betritt, und alsbald den Schmähungen von Friseurin Rachael (Black!) ausgesetzt ist.

Rachael moniert nicht nur die bloße Anwesenheit Kristins bei Moe’s, sondern erklärt sogleich die biracial Beziehung zwischen Kristin und Gabriel zum Gegenstand ihrer offensiven Kritik, und beschimpft die beiden. Hass bricht sich Bahn. Kristin kann die Situation nicht ertragen, und verlässt den Salon traurig und verstört.
Wer hat Mitleid mit Kristin?

Rachael, Gabriel und Kristin sind Lockvögel in der Hidden-Camera Show „What would you do?” (WWYD). Das Format unter der Schirmherrschaft John Quiñones hat es sich zur Aufgabe gemacht, öffentlich soziale Problemfelder zu inszenieren, Anwesende auf das Maß an Zivilcourage zu prüfen, und anschließend für ihr mutiges Einschreiten zu loben, oder für ihre mangelnden empathischen Reaktionen zur Rede zu stellen.

In diesem Fall ist das Problem offenbar: Vereinzelte weiße Menschen in genuin Schwarzen Räumen.
In mir regt sich Unbehagen, es stellen sich Fragen: Ist das tatsächlich ein gesellschaftlich relevantes Problem, dem diese Form der Aufmerksamkeit gebührt? Wie werden hier Akteurinnen und Akteure dargestellt, und vor welchem Hintergrund? Wem ist diese Art der Inszenierung zuträglich? Was möchte uns das Produzierenden-Team sagen? Und vor allem: Warum nur gefällt das so vielen so gut?

Was geschieht, ist doch Folgendes:
Wenngleich mensch offenbar darauf bedacht war, innerhalb der Dialoge den Term Rassismus nicht auftauchen zu lassen, vermutlich, um schon per Drehbuch die Fähigkeit zu Empathie als menschlicher Regung isoliert darzustellen, und bar von jedwedem sozialen Unterdrückungsverhältnis greifbar zu machen, scheint es nichtsdestoweniger gleichzeitig genau darum zu gehen.
Um Rassismus. Irgendwie. Um das Leben danach. Ganz konkret.

In Quiñones Theaterstück wird ein Setting als Brennpunkt inszeniert, vor dem das „Rassismus-Problem“ und seine Folgen ein spezifisches Problem Schwarzer Menschen geworden ist. Die Verantwortung für dessen Überwindung wird allein in ihre Hände gelegt. Oder genauer: In die Hände derjenigen Schwarzen Personen, die moralisch integer genug sind, über ihre Betroffenheit hinauszuwachsen, und endlich Vergebung zu lernen.
- Und zwar, während draußen alles weiter brennt. Die ganze Zeit. In echt! Ein klassischer Fall von Derailing also?

Ich fürchte, nicht nur.
Schauen wir uns das Video inhaltlich nochmal genauer an, stellt sich heraus:

Das Lehrstück, das uns vorführen möchte, wie Menschlichkeit und Größe funktionieren, und wo es dieser Eigenschaften scheinbar aktuell in besonderem Maße bedarf, kommt selbst nicht aus, ohne uns seinerseits rassistisch gefärbte Zuschreibungen unterzujubeln, und so die eigene Fragmentierung von Anfang an vorwegzunehmen.

Um das ganze Elend an dieser Stelle nicht einmal mehr zu reproduzieren, sei hier nur noch einmal abstrakt auf die integralen Entwürfe der „Angry Black Woman“, und ihrem weißen Konterpart hingewiesen.
Daran anschließend möchte ich stattdessen weiter fragen: Warum ist Kristin so völlig unbedarft? Warum ist sie vollständig hilflos, und unternimmt nicht zumindest den Versuch, für sich selbst zu sprechen? Warum kommen zwei der drei Schwarzen Darstellerinnen per Script, so ist zu vermuten, nicht umhin, sich in ihrer Weiblichkeit anzugehen? Warum ist die Szene genau darauf ausgelegt, die weiße Rolle kein boyfriend? Und wieso überhaupt, ist die einzig besonnen handelnde Frau in dem ganzen Zirkus bitte eine lesbische Diversity Trainerin, die es ja besser wissen muss?

Die Inszenierung und ihr gewünschter Effekt funktionieren nicht nur deshalb so prima, weil wir zunächst alle das zu sehen bekommen, was wir zu (über)sehen gewohnt sind, und uns deshalb nicht bereits da schon wundern.
Das besondere Highlight, das, wie dieser Tage so oft zu lesen ist, zu Tränen rührt, ist vielmehr die ungeahnte Wendung: Klugheit, Wärme, Empathie, da wo man sie nun wirklich nicht mehr erwartet hatte!
Schwarze Zivilcourage als Überraschungseffekt?!

Was schließlich bleibt ist: HUGS – Help Us Grow Spiritually.
Abertausendfach gereblogged und geshared.
Die Worte der Diversity Trainerin, die es schließlich schafft, die Kontrahentinnen zu versöhnen, indem sie Rachael, die also offenbar spiritueller Gesundung bedarf, dazu bringt, sich zu entschuldigen, wiegen am Ende schwer.

H.U.G.S.
Ob sich spirituelles Wachstum durch Umarmungen einstellt, das möchte ich hier dahingestellt lassen. Dass dadurch reale, schmerzlich erfahrene soziale Ungleichheitsverhältnisse obsolet würden, kann indes ja wohl kaum angenommen werden.

Ein allzu seichter Allgemeinplatz, auf dem sich derzeit so viele willig versammeln, wie ich finde.
Eine einfache Botschaft des Friedens, auf die man sich schnell einigen kann.
Die dargestellte Situation ist es nicht. Sie ist komplex. Rachaels Gefühle sind komplex.
Das mitzudenken, ändert nichts daran, dass sie sich in diesem Moment unangemessen verhält, aber es erschwert, die Situation auf vielfältige Weise misszuverstehen, zu vereinfachen, oder in einen Diskurs zu ordnen, in den sie nicht gehört.

Rassismus ist weder vorbei, noch obliegt die Hauptverantwortung ihn zu überwinden
Schwarzen Menschen.
Weder befinden wir uns an irgendeinem öffentlichen Ort außerhalb der Wirkmacht dieses Verhältnisses, noch gehört diese Tatsache durch vorweihnachtliche „Wir sind alle Menschen“-Plattituden verschleiert.

Inspiriert durch den unnötigen Film, der es trotz allem nicht schafft, die Frage nach Zivilcourage im Allgemeinen und Solidarität im Speziellen unnötig erscheinen zu lassen, versuche ich nun, mich in dieses oder in ein ähnliches Szenario zu versetzen.

What would I do?

Bisher habe ich mich in keiner Lage befunden, in der es gegolten hätte, eine weiße Frau in einem Schwarzen Raum vor Anfeindungen zu schützen. Damit möchte ich keinesfalls sagen, dass ich der Meinung bin, diese Situation würde sich mir nie, und niemals-nicht stellen, geschweige denn, sie könne nirgendwo sonst eingetreten sein, oder sei es unter keinen Umständen Wert, beantwortet zu werden. Der Grund ist vielmehr, dass ich nicht aus Harlem komme, sondern aus einem Ort in Südwestfalen, und auch heute, überall in Deutschland, halböffentliche Schwarz-dominierte Räume selten sind.

Stattdessen befinde ich mich täglich, so wie wir alle, in Situationen, die von vielfältigen Herrschaftsverhältnissen durchzogen sind, die Marginalisierte hervorbringen, und somit sehr konkret ihre Opfer fordern. Dass ich dann, egal wo ich stehe, Solidarität, Zivilcourage, und ja, natürlich Menschlichkeit, nicht vermissen lasse, kann ich mir nur wünschen.

Die in diesem spezifischen Kontext aufgeworfene Frage, in dem es um Rassismus geht, möchte ich nun abschließend in leicht, aber wesentlich abgewandelter Form dahin zurückgeben, wo sie gegenwärtig tatsächlich strukturell umfänglich relevant wird, und sie denjenigen stellen, die sie in den herrschenden Verhältnissen vorrangig bedeutungsvoll beantworten können:

Weiße Mitmenschen, Freund*innen, und alle, die ihr das Video geliked und geteilt habt: What do you do? Hm?

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